100 Jahre Greyhound-Busse:Im Zeichen des Windhunds

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"See America" - schau dir dein Land an: Mit diesem Slogan hat dieses historische Greyhound-Plakat geworben. (Foto: Greyhound)

Greyhound-Busse ermöglichten legendäre Hollywood-Szenen, sie sind bis heute Teil der amerikanischen Popkultur. Nun wird das legendäre Unternehmen 100 Jahre alt. Sein Chef ist überzeugt: Den Bussen gehört auch die Zukunft.

Von Nikolaus Piper, New York

Das amerikanischste aller Verkehrsmittel ist nicht das Auto. Es ist nicht das Flugzeug und schon gar nicht die Eisenbahn, sondern der Bus. Fernbusse haben in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts erst Mobilität für alle möglich gemacht - lange, bevor sich die Mittelschicht Autos leisten konnte. Einige der besten Filmszenen, die sich Hollywood ausgedacht hat, haben mit Bussen zu tun. Vor allem für junge Amerikaner war und ist der Bus das Verkehrsmittel der Wahl.

Nun erleben Busse eine Renaissance. Das Fernbus-Fieber, das inzwischen auch Deutschland erreicht hat, ist in den USA bereits vor zehn Jahren ausgebrochen. Zuerst waren es "Chinatown-Busse", welche die Branche aufmischten: Von chinesisch-amerikanischen Familien betrieben, bringen sie ihre Fahrgäste für weniger als 20 Dollar von New York nach Boston oder Washington. Bei der staatlichen Bahngesellschaft Amtrak muss man 150 bis 250 Dollar zahlen. Dann kamen Billiganbieter wie die britische Megabus - auch in Deutschland vertreten - und Go Bus dazu.

Auch Greyhound will von dem Boom profitieren. Die Mutter aller Busgesellschaften mit Sitz in Dallas/Texas hat einst die Fernreise im Bus erfunden und ist noch heute das größte Unternehmen seiner Art in den USA. Dessen Logo, ein Windhund, gehört zu den klassischen Markenzeichen des American Way of Life, so wie das gelbe "M" von McDonald's oder die alte Coca-Cola-Flasche. In diesem Jahr wird Greyhound 100 Jahre alt. Angesichts seiner Geschichte ist es ein Wunder, dass das Unternehmen überhaupt noch existiert. Greyhound wechselte mehrfach den Eigentümer, musste einmal durch die Insolvenz und machte vor allem durch schlechten Service von sich reden. Heute steht Greyhound erstaunlich gut da - vielleicht gerade wegen der neuen Rivalen. "Die Tatsache, dass wir neue Konkurrenten bekommen haben, gibt mir Vertrauen in die Zukunft", sagt David Leach, 49, Chef und Präsident von Greyhound Lines. "Die Neuen bringen neue Kunden in den Bus, der Markt wächst. Das ist gut für uns."

Jedes Jahr 18 Millionen Fahrgäste

So etwas sagen auch andere Manager, doch bei Greyhound scheint der Satz zu stimmen, bisher jedenfalls. Das Unternehmen transportiert jedes Jahr 18 Millionen Fahrgäste in einem Netz, das von White Horse im Nordwesten Kanadas bis nach Mexiko reicht. 2013 machten die Busse immerhin 132 Millionen Dollar Gewinn vor Steuern, Zins und Abschreibungen (Ebitda), etwas mehr als im Vorjahr.

Die Geschichte von Greyhound begann mit einem schwedischen Einwanderer namens Carl Eric Wickman. Der hatte 1905 zunächst Arbeit in einem Erzbergwerk in Alice (Bundesstaat Minnesota) gefunden, wurde aber 1914 entlassen. Zusammen mit zwei anderen Schweden versuchte er sich daraufhin in einem völlig neuen Gewerbe - er gründete im nahen Hibbing eine Auto-Niederlassung. Doch das Geschäft lief schlecht, Wickman blieb auf seinen Autos sitzen. Darunter war ein siebensitziges Hupmobile, Wagen dieser Marke wurden von 1909 bis 1940 in Detroit gebaut.

In der Not änderte Wickman sein Geschäftsmodell: Er richtete einen Mitfahrdienst für Bergarbeiter ein. Für den Trip von Hibbing zum Bergwerk in Alice verlangte er 15 Cent. Für die Arbeiter war die Autofahrt eine riesige Erleichterung, die Geschäftsidee schlug ein. Wickman verkaufte seine Tickets daher nicht mehr nur an Bergarbeiter, sondern an jeden. 1918 besaß seine "Mesaba Transportation Company" bereits 18 Busse. Für die Werbung dachte sich Wickman den Slogan aus: " The Greyhounds of the Highway" ("Windhunde der Landstraße"). Der kam so gut an, dass Wickman 1929 aus Mesaba die "Greyhound Corporation" machte.

Wickman starb 1954 mit nur 67 Jahren. Nach seinem Tod begann der Niedergang des Unternehmens. Die Regierung in Washington baute nach dem Vorbild der deutschen Autobahnen ein Netz von Interstate Highways, Autofahren wurde immer billiger. Wer es sich leisten konnte, stieg auf den eigenen Ford, Chrysler oder Chevrolet um. Der Bus wurde zum Verkehrsmittel für Arme. Im Jahr 1983 antworteten die Gewerkschaften in Seattle mit einem Streik auf Versuche des Managements, Kosten zu senken. Die Eigentümer wechselten mehrfach, 2001 beantragte die damalige Muttergesellschaft Laidlaw Gläubigerschutz. Greyhound schien am Ende.

Trotz des Niedergangs blieben Busreisen für junge Leute ein Stück Lebensgefühl. Greyhound war auch in den wirtschaftlich schlimmsten Zeiten integraler Bestandteil der amerikanischen Popkultur. In ihrem Lied "America" von 1968 sangen Simon and Garfunkel von einem Liebespaar, das im Greyhound durch das Land fährt, raucht (das durfte man früher im Bus), liest und die vorbeifahrenden Autos zählt. Was wollen die beiden jungen Leute? Die Seele ihres Landes finden - "to look for America". In den Siebzigerjahren gab es ein wunderbares Angebot, das sich vor allem an ausländische Studenten richtete: Für 99 Dollar konnte man 99 Tage lang so weit fahren, wie man wollte. Mit so einem Ticket ließ sich leicht die Strecke New York - New Orleans - San Diego - San Francisco und zurück machen.

Greyhound-Reisen waren gut, um sich kennenzulernen. Während der langen Trips herrschte an Bord oft eine Stimmung wie in einer WG. Reisende bekamen aber auch einen Blick auf die rauen Seiten des Landes. Die Busstationen lagen oft in finsteren Ecken der Innenstädte, wo einen spätabends Drogendealer in Empfang nahmen. Die Sicherheitsprobleme waren notorisch. Am 30. Juli 2008 köpfte ein seelisch kranker Greyhound-Passagier einen Mitreisenden während der Fahrt auf dem Trans Canada Highway.

Es waren schließlich Briten, die Greyhound retteten. Im Februar 2007 übernahm die First Group aus Aberdeen/Schottland die Greyhound-Mutter Laidlaw für 3,6 Milliarden Dollar. Anfangs waren sie nur an Laidlaws riesigem Schulbusgeschäft interessiert, beschlossen dann aber, massiv in Greyhound zu investieren. "First Group ist die größte Personentransportgesellschaft der westlichen Welt mit 117 000 Beschäftigten. Die Kraft und Erfahrung helfen uns enorm", sagt Greyhound-Chef Leach. "Wir können in neue Busse, Bahnhöfe und Ausbildung investieren. Unsere Pünktlichkeit lag 2007 bei 70 Prozent, heute sind es 92 Prozent."

Aus Wellblechkisten sind vornehme dunkelblaue Busse geworden. (Foto: Leon Neal/AFP)

Die 1200 Greyhound-Busse sehen nicht mehr wie Wellblechkisten aus, sondern sind in vornehmem Dunkelblau gehalten. Das Innere wurde komplett erneuert. Es gibt keine zerfetzten Bezüge und heruntergekommenen Toiletten mehr, sondern Ledersitze, Sicherheitsgurte und Steckdosen für den Computer. In Washington ist die Greyhound-Station aus einer hässlichen Ecke im Nordosten der Stadt in den Bahnhof Union Station umgezogen und hat die Anmutung eines Flughafen-Gates. Andere Busbahnhöfe sollen folgen. In den meisten Bussen gibt es drahtloses Internet. Wenig genutzte Routen flogen aus dem Fahrplan, dafür gibt es mehr Verbindungen zwischen den Ballungsräumen. Vor allem will Greyhound demnächst die viel beklagte Praxis des Überbuchens beenden. Wie im Flugzeug soll jemandem in dem Bus, für den er gebucht hat, auch ein Sitz garantiert sein.

Dass Greyhound trotz aller Brüche ein besonderes Unternehmen geblieben ist, zeigt sich an David Leach. Er hat nie woanders gearbeitet als bei Greyhound. Im kanadischen Edmonton fing er als Gepäckträger an, weil er so sein Biologiestudium finanzieren wollte. Nach dem Examen sprach er bei seinen früheren Kollegen vor. "Ich machte ihnen Vorschläge, wie das Geschäft besser organisiert werden könnte, und sie fanden diese interessant", sagt Leach. Er bekam einen Arbeitsvertrag, saß am Fahrkartenschalter, war Kundenberater, Aufseher, Dispatcher, und schließlich Regionalchef für Kanada. Als First Group Greyhound übernahm, wurde Leach Firmenchef.

Leach glaubt, dass die Zukunft den Bussen gehört. "Die Menschen ändern ihren Lebensstil, weil es in den Städten so teuer geworden ist, ein Auto zu besitzen. Junge Berufstätige in New York, Boston und Philadelphia steigen auf Busse und Bahnen um. Unter jungen Leuten sinkt der Anteil derer, die ein Auto besitzen". Viele Menschen verstünden den Markt aber nicht. "Unsere beiden wichtigsten Konkurrenten sind das Auto - und das Sofa", sagt er. Das Sofa? "Ja, wir müssen den Leuten zurufen: Komm runter von deiner Couch und schau' dir dein Land an."

© SZ vom 18.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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