Angewandter Klimaschutz:Die Neuerfindung des Rades

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Das Rettungsfahrzeug des Planeten? Umweltschützer und Verbände fordern, anstatt des Autos für Kurzstrecken häufiger das Fahrrad zu benutzen, um die CO2-Belastung zu verringern.

Helmut Dachale

Geht es um die - zum Teil durchaus aufgeregt geführte - Diskussion, wie viel Kohlendioxid pro Kilometer ein Neuwagen demnächst ausstoßen darf, können sich Fahrradbesitzer beruhigt zurücklehnen.

Fahrräder in Kopenhagen: Dänemark gilt neben Holland als Radlerparadies. Deutschland hat da noch einigen Aufholbedarf. (Foto: Foto: dpa)

Schließlich sind ihre Vehikel unbestreitbar sauber. Und: Fahrräder sind das verbreiteteste Fahrzeug hierzulande - 66 Millionen Räder fahren oder stehen in Deutschland herum.

Kein Wunder, dass jetzt auch die Fahrradlobby verstärkt betont, wie sehr das Radfahren das Klima schütze - besser: schützen könnte. So hat der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) ein jährliches CO2-Einsparpotenzial von rund drei Millionen Tonnen ausgerechnet. Und in einem Bericht des Umweltbundesamtes (UBA) aus dem Jahre 2003, der wieder topaktuell ist, wird es sogar für möglich gehalten, per anno bis zu zwölf Millionen Tonnen Kohlendioxid wegzuradeln.

Das Rettungsfahrzeug des Planeten

Doch all diese Zahlen bleiben Ergebnisse von Hochrechnungen und Projektionen. Und manchmal entstehen daraus regelrechte Visionen, bei denen das Fahrrad als das Rettungsfahrzeug schlechthin für unseren Planeten erscheint.

In der Realität sieht es bescheidener aus: Das allseits beliebte Radl leidet unter Beschäftigungsmangel. Jeder hält es für ökologisch untadlig, der Gesundheit dienlich, aber anscheinend nur eine Minderheit auch für alltagstauglich. "Kein Verkehrsmittel wird so unterschätzt wie das Fahrrad", heißt es folgerichtig im Nationalen Radverkehrsplan. Und auch die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, die kürzlich eine Große Anfrage zur Umsetzung dieses Plans einbrachte, beobachten das wahre Leben mit Realitätssinn: "Das vorhandene Fahrrad wird von vielen gerade im Alltagsverkehr kaum genutzt."

Niederländer sind trittfester

Lediglich neun Prozent aller Wege, so ist im Radverkehrsplan zu lesen, werden in Deutschland radelnd zurückgelegt. In Kilometer umgerechnet, sind das magere 300 pro Jahr und Bundesbürger. Da sind die Niederländer sehr viel trittfester: Sie bevorzugen für 27 Prozent ihrer Wegstrecken das Velo. Und hier setzen die Vorstellungen des UBA an: Um den von ihm in Aussicht gestellten CO2-Entlastungsbeitrag zu erreichen, müsse die deutsche Pro-Kopf-Kilometerzahl auf dem Rad wenigstens vervierfacht werden.

Dabei ist Fahrradfahren nach Wandern und Schwimmen angeblich schon jetzt die drittliebste Freizeitbeschäftigung der Deutschen. Doch wenn das Rad lediglich sporadisch zum Einsatz kommt, kann von Umweltentlastung kaum gesprochen werden.

An lauen Sommerabenden um den Baggersee oder gemütlich über Land - das mag den Kreislauf stärken, dem Klima ist es egal. Und nur ganz selten ersetzen Radtouren das von vielen gepflegte Autowandern, bei dem auf jedem Kilometer Strecke Kohlendioxid in die Luft geblasen wird. Eher ersetzt das feierabendliche Radfahren Bewegungsloses wie Fernsehen oder das Chillen im Straßencafé - und solche Tätigkeiten sind nicht mit einem CO2-Ausstoß verbunden.

Entscheidend ist vor allem die Verlagerung "vom motorisierten Personenverkehr zum Radverkehr", betonen deshalb die Autoren des UBA-Berichtes. Häufiger mit dem Rad ins Büro oder zum geschäftlichen Termin - das Fahrrad müsse mehr als Verkehrsmittel eingesetzt werden. Dem aber sind oft schlicht praktische Grenzen gesetzt.

Fabrikneue Fahrräder in einem Lager. (Foto: Foto: ap)

Wer 20 Kilometer und mehr bis zum Arbeitsplatz zurückzulegen hat, dürfte bei solchen Vorschlägen abwinken. Das Rad ist, das weiß auch das UBA, "in erster Linie ein Verkehrsmittel für kurze Wege". Tägliche Praxis aber ist dem Bericht zufolge, dass Autos in ungefähr 50 Prozent aller Fälle nur auf einer Kurzstrecke bis zu sechs Kilometer benutzt werden.

Die Menschen sollen Berufsradler werden

Auf solchen Annahmen basiert auch die Kampagne "Mit dem Rad zur Arbeit", die gemeinsam von ADFC, AOK und Bundesverkehrsministerium initiiert wurde. 2001 zunächst in einer kleinen Testregion in Bayern gestartet, war 2006 erstmals eine bundesweite Beteiligung möglich; der bisherige Rekord von 125 000 Teilnehmern soll in diesem Jahr übertroffen werden.

Allerdings wird die Beteiligung auch nicht allzu schwer gemacht: Als Berufsradler gilt jeder, der sich "zwischen dem 1. Juni und dem 31. August an möglichst vielen Tagen" mit dem Fahrrad zur Arbeitsstelle oder immerhin zu einer Haltestelle bewegt. Angesichts des sommerlichen Termins gehen die Organisatoren offensichtlich davon aus, dass bei kälterer Witterung kaum jemand fürs Radfahren zu erwärmen ist. Erst recht nicht vor und nach der Arbeit.

Doch über das Wetter sprechen Fahrradlobbyisten wie der ADFC offiziell nicht so gern. Ihr Thema ist die Förderung des Radverkehrs durch die Politik, da bestehe Handlungsbedarf. "Anreize kann die Bundesregierung mit dem Nationalen Radverkehrsplan schaffen. Sie muss dann aber auch mehr Mittel zur Verfügung stellen", sagt Karsten Hübener, ADFC-Bundesvorsitzender.

Ausbau der noch unvollkommenen Radverkehrsinfrastruktur, Sanierung der vielerorts zu schmalen und holprigen Radwege, bessere Verknüpfung mit dem öffentlichen Nahverkehr - die Wunschliste ist lang. Und offenbart ein Dilemma: Man wolle mit solchen Forderungen nicht abschrecken, sondern motivieren. Sonst klappe es nicht mit dem Einsparen von drei Millionen Tonnen CO2 und mehr.

Die grüne Bundesfraktion hatte deshalb in ihre Anfrage nicht nur Fragen und Forderungen gestellt, sondern auch das Positive nicht vergessen: "Rad fahren macht Spaß."

© SZ vom 3.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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