Zum Tod von Martin Roth:Stets zur richtigen Zeit am interessantesten Haus

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Martin Roth, geboren 1955 in Stuttgart, war Kulturmanager und Kurator. Er leitete die Kunstsammlungen in Dresden und das Londoner Victoria and Albert Museum. (Foto: Matthias Hiekel/dpa)

Dem großen rastlosen Museumsmann Martin Roth reichte nie nur ein Job. Nun ist er im Alter von 62 Jahren gestorben.

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Dass er nur noch kurze Zeit zum Leben habe, wusste Martin Roth schon länger. Doch das hielt den großen deutschen Museumsmann nicht davon ab, bis zuletzt sein Handy zu bearbeiten, Ausstellungen zu machen und ab und zu Journalisten zu empfangen.

Es ging ihm nicht darum, Bilanz zu ziehen, eher darum, fit zu bleiben und auch aus dieser Situation das Beste zu machen: Martin Roth wollte bis zum Schluss mitreden.

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Noch vor ein paar Wochen sprach er über die leeren deutschen Museen, die Kritik am Kulturgutschutzgesetz, das Desaster des Humboldt-Forums und genoss das eine, was ihm die Krankheit gegeben hatte - Freiheit: "Ich habe nichts mehr zu verlieren." Die Freiheit währte nicht lange. In der Nacht auf Sonntag ist er in Berlin gestorben.

Roth, geboren 1955, hatte nicht Kunstgeschichte studiert, wie die meisten Museumschefs, sondern Kulturwissenschaft. Ihn interessierte an Museen nicht in erster Linie die Kunst, die dort aufbewahrt wird, sondern die Institutionen selbst, die Art und Weise, wie sie erzählen, und welche Effekte diese Erzählungen haben für Vorstellungen von Kunst, Geschichte, Nation.

Diese Fragen waren auch Gegenstand eines Forschungsprojekts, für das er Ende der Achtzigerjahre in Paris mit dem Soziologen Pierre Bourdieu zusammenarbeitete.

Seine Managerqualitäten machten ihn berühmt

Es folgte eine rasante Tour, bei der es Roth gelang, immer zur richtigen Zeit am interessantesten Haus zu sein. Nach drei Jahren am Deutschen Historischen Museum in Berlin, wo er unter anderem die Bismarck-Ausstellung im Gropius-Bau verantwortete, übernahm er 1991, mit gerade 36, das Dresdener Hygienemuseum. 2001 schließlich wurde er Generaldirektor der Dresdener Kunstsammlungen und damit Chef des zweitgrößten deutschen Museumsverbunds.

Beim Elbhochwasser 2002 und bei den Fundraising-Aktionen, die ihm folgten, bewies er die Managerqualitäten, für die er berühmt wurde. Ohne Berührungsängste dealte er mit allen möglichen und unmöglichen Partnern, um Dresdner Schätze gewinnbringend zu verleihen. Außer für die Reparatur der Flut-Schäden brauchte er das Geld für Großprojekte wie die Restaurierung des Grünen Gewölbes und des Albertinums.

Ein Job reichte ihm nie. Noch während seiner Zeit am Hygienemuseum hatte er die Expo 2000 in Hannover organisiert, später war er für die Kulturkonzeption der Hamburger Hafen-City verantwortlich, lehrte Kulturpolitik an der Technischen Universität Dresden, war Mitglied des Deutschen Olympischen Sportbunds.

Auf Kritik reagierte der begnadete Kommunikator einsilbig

Manche Kuratoren sind verhinderte Künstler, Roth wollte Politik machen, ohne Politiker zu sein, wollte das erlahmte, subventionssatte, von der Welt abgeschirmte deutsche Kulturmilieu durchschütteln. Dass bei diesen Aktionen auch viel Naivität, Opportunismus und Geschäftssinn im Spiel waren, lässt sich allerdings nicht leugnen.

Das war 2008 so, als er vor den Olympischen Spielen mit Kollegen aus München und Berlin eine Gerhard-Richter-Ausstellung in Peking organisierte und von Presse und Kollegen für sein Schweigen zu den Übergriffen des Regimes kritisiert wurde. 2011 wiederholte sich das Spiel bei der wieder in Peking gezeigten Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung". Im vergangenen Mai stand Roth erneut unter Beschuss, als er sich als Kurator des Pavillons von Aserbaidschan auf der Biennale von Venedig hatte engagieren lassen. Auf die Kritik reagierte der begnadete Kommunikator einsilbig.

Es war sein geschmeidiger Umgang mit Sponsoren, der ihn unter anderem für seinen letzten großen Job qualifizierte, das Londoner Victoria and Albert Museum, das er 2012 übernahm. Mit Blockbuster-Schauen zum Werk des Designers Alexander McQueen, zu David Bowie oder zum Revolutionsfieber der späten Sechziger brachte er Hunderttausende in das Haus, das immer vom Verstauben bedroht gewesen war.

Zuletzt unterstellte man ihm, sich auf den nächsten Karriereschritt vorzubereiten

Doch trotz guter Zahlen war Roth mit dem V&A nicht warm geworden. Als die Briten für den Brexit stimmten, nannte er das eine "persönliche Niederlage" - und kündigte.

In Deutschland nahm ihm keiner diese Begründung ab. Man unterstellte ihm - er war ja Martin Roth - sich auf den nächsten Karriereschritt vorzubereiten: Kulturstaatsminister. Er leugnete das vehement. Er träume lediglich davon, einen Winter lang Ski zu fahren. Skifahren und Kulturstaatsminister, beides wäre großartig gewesen. Die Zeit reichte nicht.

© SZ vom 07.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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