Grafing-Bahnhof:Muslime beten für die Opfer

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Muslime aus Kirchseeon treffen sich drei Tage nach der Messer-Attacke in Grafing-Bahnhof zum Gebet

Von Alexandra Leuthner, Grafing

Blumen, Kerzen, Karten: Die Szene am Grafinger Bahnhof, vier Tage nach dem Messerangriff, bei dem ein 56-jähriger Mann aus Wasserburg tödlich und drei weitere schwer verletzt wurden, ähnelt jenen Bildern, die man von den Attentatsorten dieser Welt kennt. Und doch ist sie eine andere, der Attentäter kein Terrorist, sondern ein junger Mann, der aufgrund einer psychischen Störung ausgerastet ist. Was das Geschehene für die Betroffenen nicht besser macht. "Hier ist ein Mensch gestorben, er hatte eine Familie, Kinder. Das ist es, was zählt."

Hasan Yavuz, Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Union in Kirchseeon (Ditib), ist es, der das sagt. Nach dem Freitagsgebet ist er mit Imam Idris Salek und Gemeindemitgliedern nach Grafing gekommen, um am Ort des schrecklichen Geschehens zu beten. Um kurz vor drei Uhr trifft die Gruppe am Bahnhofsvorplatz ein, etwa 20 Männer, die meisten im Anzug, ältere und junge, viele von ihnen haben einen Blumenstrauß in der Hand.

Viele haben Blumen dabei

Rund um den Imam versammeln sie sich vor den Stufen, befreien ihre Sträuße vom Papier und stellen sich zum Gebet auf. Als der Vorbeter die ersten Worte spricht, gesellen sich noch ein paar Frauen zu der Gruppe. Menschen, die von der S-Bahn kommen, halten respektvoll Abstand, stören nicht die stille Konzentration des Augenblicks.

Dann tritt der Vorbeter zurück, das Gebet ist vorbei, doch die Gruppe bleibt noch stehen. Er sei schockiert gewesen, als er von dem Attentat gehört habe, erzählt Yavuz. Und noch mehr, als die Meldung durch die Nachrichten geisterte, es hätte sich möglicherweise um eine islamistische Tat gehandelt. "Natürlich, da sei "immer die Angst, dass irgend so ein Idiot so etwas macht", wirft sein Schwager Mehmet ein.

Er lebt in Grafing, gleich ums Eck, seit 35 Jahren. "Das hier ist meine Haustür", sagt er und deutet auf den Bahnhofsvorplatz. Jeder kenne ihn hier, aber wäre es ein Islamist gewesen, "dann hätte mich jeder plötzlich mit ganz anderen Augen angeschaut, selbst meine Nachbarn." Einige Männer nicken dazu. "Dabei ist Terror doch Terror für alle", sagt Yavuz, "auch für uns." Deshalb sei es ihnen ein Bedürfnis gewesen, hierher zu kommen. "Es ist etwas anderes, ob so etwas weit weg passiert oder in der Nähe", sagt Hasan Yavuz. "Wir haben gerade für die Welt gebetet, denn im Islam heißt es, tötest du einen Menschen, dann tötest du die ganze Welt."

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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