Zoologie:Die übersehenen Riesen

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Galten die Giraffen bislang als eine Spezies mit neun Unterarten, stellte sich nun heraus, dass sie eigentlich vier genetisch isolierte Gruppen sind, die sich in der freien Wildbahn nicht miteinander paaren. (Foto: Jean-Francois Monier/AFP)

Bisher waren Zoologen davon überzeugt, dass es nur eine einzige Art von Giraffen gibt. Doch jetzt hat sich herausgestellt: Es sind vier!

Von Kai Kupferschmidt

Als der Naturforscher Carl von Linné im Jahr 1758 erstmals die Giraffe beschrieb, war es nicht viel mehr als ein Phantombild. Er bezog sich auf Jahrhunderte alte Zeugnisse. Heute kennt jedes Kind die riesigen Savannenbewohner aus dem Zoo, doch in mancher Hinsicht ist das Tier unbekannt geblieben - wie jetzt eine Studie im Fachblatt Current Biology zeigt: Galten die Giraffen bislang als eine Spezies mit neun Unterarten, stellte sich nun heraus, dass sie eigentlich vier genetisch isolierte Gruppen sind, die sich in der freien Wildbahn nicht miteinander paaren. Es sind die Südgiraffe, die Massaigiraffe, die Netzgiraffe und die Nordgiraffe.

"Das hat uns total überrascht", sagt Axel Janke vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt, der an der Studie beteiligt war. Doch das Ergebnis beruht auf eindeutigen genetischen Analysen. Die Forscher hatten Hautproben von mehr als 100 wilden Giraffen gesammelt und dann das Erbgut aus diesen Proben an sieben Stellen sequenziert und verglichen. Die Tiere sehen zwar sehr ähnlich aus, sagt Janke. "Aber diese vier Giraffengruppen sind eigenständige Arten."

Die neuen Ergebnisse dürften Anstrengungen einen Schub geben, die Tiere zu schützen. Obwohl die Zahl der wild lebenden Giraffen in den vergangenen 30 Jahren um mehr als ein Drittel zurückgegangen sei, werde das bislang wenig beachtet, sagt der Biologe Julian Fennessy, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Teile man die noch lebenden Giraffen auf vier Arten auf, sei die Situation ernster als angenommen, sagt er. Zwei der neuen Arten wären dann wohl stark gefährdet. Von der Nordgiraffe gibt es weniger als 5000 Individuen, von der Netzgiraffe etwa 8000.

Giraffen werden für ihr Fell und ihr Fleisch gejagt. In manchen Gegenden herrscht der Aberglaube, dass das Gehirn oder das Knochenmark der Tiere Aids heilen kann. Vor allem aber schrumpft ihr Lebensraum. Weniger als 100 000 Tiere leben noch in der freien Wildbahn. Auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion sind sie bislang dennoch nicht als gefährdet eingestuft. Das liege zum Teil daran, dass es keine guten Zählungen gegeben habe. Hinzu komme, dass Giraffen in gewisser Weise ein Imageproblem hätten, sagt Fennessy: Sie erschienen vielen Menschen langweiliger als Pandas oder Tiger. Allerdings könnte sich schon bis Ende dieses Jahres der Status von Giraffen auf der Roten Liste ändern. Fennessy hat diesen Sommer einen Antrag gestellt.

Janke interessiert jetzt vor allem, warum sich vier Arten entwickelt haben. Könnte es in der Vergangenheit etwa ausgedehnte Flusssysteme gegeben haben, die Giraffengruppen voneinander abschnitten? "Man weiß zwar sehr wenig über Giraffen, aber eines weiß man: sie durchqueren keine Flüsse", sagt Janke. Die durch das Wasser getrennten Tiergruppen könnten sich dann zu eigenständigen Arten entwickelt haben.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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