Wundersame Wirkung:Märchen vom Mond

Lesezeit: 7 Min.

Geburten, Verbrechen und Selbstmorde häufen sich angeblich bei Vollmond. Und auch auf Hygiene, Diäten und sogar Investitionen soll der Mond einen Einfluss haben. Was ist dran? Ein Interview mit dem Soziologen Edgar Wunder von der Universität Heidelberg.

Markus C. Schulte von Drach

sueddeutsche.de: Gesichtspflege nach dem Mond - diese Meldung war kürzlich bei Yahoo im Ressort Wissenschaft zu lesen. Demnach soll "spezielle Pflege durch Peelings sowie das Entfernen von Mitessern und Pickeln besonders bei zunehmendem Mond und Vollmond gelingen." Dann, so war dort zu lesen, sei die Haut gut durchblutet, feucht und prall. Was halten Sie davon?

Besser Radfahren bei Vollmond? (Foto: Foto: dpa)

Wunder: Vor einigen Jahren hat das Freiöl-Institut in Nürnberg mal eine repräsentative Bevölkerungsumfrage in Auftrag gegeben, die herausfinden sollte, wieviele Deutsche an einen Einfluss des Mondes unter anderem auf die Hygiene glauben.

Vielleicht wollte man damit feststellen, ob man eine Haut-Creme als "Mond-Creme" besser verkaufen kann. Der Umfrage zufolge glauben immerhin etwa acht Prozent an einen Einfluss auf die Haut.

sueddeutsche.de: Und nun kommt eine solche Meldung, die genau das behauptet. Wo soll denn der Mond sonst noch überall Einfluss haben?

Wunder: Die Zahl der angeblichen Einflüsse ist schier unendlich.

sueddeutsche.de: Einige Beispiele?

Wunder: Das fängt an bei den Ergebnissen von politischen Wahlen. Wichtig ist der Mond angeblich auch für den Ausgang von Fußballspielen. Das geistert jedenfalls immer wieder durch die Boulevard-Blätter.

Allgemein lassen sich die allermeisten behaupteten Einflüsse auf drei große Bereiche aufteilen: Den Gesundheits-Bereich, den Haushalt und den Wellness- bzw. Fitness-Bereich. Da haben vor allem die Autoren Johanna Paungger und Thomas Poppe mit ihrem Mond-Beststeller "Vom richtigen Zeitpunkt" Anfang der 90er Jahre einen Trend gesetzt.

Dann gibt es noch einen weiteren Bereich, in dem es gewissermaßen um statistische Zusammenhänge geht. Da wird etwa behauptet, dass es eine höhere Selbstmordrate bei Vollmond gibt, mehr Geburten, mehr Verbrechen, mehr Verkehrsunfälle, mehr Einlieferungen in psychiatrische Anstalten, mehr Anrufe bei der Telefonseelsorge und so weiter.

sueddeutsche.de: Bleiben wir bei den Ratschlägen, die uns helfen sollen, unser Leben im Einklang mit den Mondphasen zu leben. Hygiene nach dem Mond in Abhängigkeit von der Durchblutung der Haut. Was steckt dahinter?

Wunder: Die Grundlage der Behauptungen ist fast immer ein einfacher Analogie-Schluss: Was zunehmen soll, hängt mit dem zunehmenden Mond zusammen, was abnehmen soll, mit dem abnehmenden Mond. Wenn Sie Geld investieren wollen, dann sollten Sie das bei zunehmendem Mond tun - schließlich soll auch das Geld zunehmen.

Eine Diät sollten Sie natürlich bei abnehmendem Mond beginnen.

Auch der Kampf gegen eine Krankheit sollte demnach in dieser Zeit starten. Voll- und Neumond sind dann nur noch die Tage mit einer besonderen Intensität.

Natürlich lässt sich diese Logik häufig leicht umdrehen. Soll man nun seine Wäsche bei abnehmendem Mond waschen, weil dann auch der Schmutz abnimmt, oder bei zunehmendem Mond, damit die Sauberkeit zunimmt?

sueddeutsche.de: Und diese simple Logik steckt hinter diesen ganzen Ratgebern?

Wunder: Das wird zwar meist nicht explizit so formuliert, aber die Ratschläge laufen in der Regel nach diesem Prinzip ab.

sueddeutsche.de: Das Eingangs erwähnte Beispiel der Haut-Hygiene spiegelt das tatsächlich wieder: Bei Vollmond soll die Durchblutung besser sein. Gibt es Untersuchungen zu diesen Behauptungen?

Wunder: Zur Durchblutung im Zusammenhang mit der Mondphase gibt es zum Beispiel eine von Michael Schardtmüller, einem Chirurg aus Linz, und mir. Wir haben den Effekt des Mondes auf Blutungen bei Operationen überprüft, die von manchen Patienten befürchtet werden. Wir konnten allerdings keine Mond-Wirkung feststellen.

Ähnliche Studien gibt es inzwischen etwa zwei Dutzend - alle mit negativem Ergebnis.

sueddeutsche.de: Eingriffe sollten also nicht verschoben werden, weil gerade der Mond zunimmt und deshalb angeblich die Blutungs-Gefahr erhöht ist.

Wunder: Auch zu anderen Krankheits-Symptomen gibt es eine Reihe von sorgfältigen Untersuchungen - immer mit negativem Ergebnis.

sueddeutsche.de: Aber wie kommen denn diese Ratgeber dazu, ihre Logik mit einer solch großen Überzeugung anzuwenden? Stecken da nicht Erfahrungen dahinter, die sich mit Studien überprüfen lassen müssten?

Wunder: Die Argumentation ist ja immer wieder die, dass man selbst die Erfahrung machen muss. Die Autoren pflegen eine gewisse Wissenschafts-Ferne oder sogar -Feindlichkeit.

Es heißt da: "Ich habe das selbst erfahren. Wenn Sie es nicht glauben, dann haben Sie es offenbar nicht erfahren. Also sollten Sie sich mal endlich der Erfahrung aussetzen."

Und Widerspruch ist zwecklos. Es gibt dort gar kein Interesse, die Behauptungen einmal systematisch zu überprüfen. Das ist aber notwendig, denn subjektive Eindrücke sind nicht sonderlich zuverlässig.

Die ursprüngliche Quelle von Paunggers Mond-Ratgeber ist übrigens lokale Mondfolklore aus dem Ötztal, die inzwischen mit Themen verbunden wird, die heute besonders in sind - Wellness, Gesundheit, Ernährung, Diät.

sueddeutsche.de: In der Wissenschaft gibt es offenbar kaum Bemühungen, diese Zusammenhänge zu überprüfen.

Wunder: Den meisten Wissenschaftlern erscheinen derartige Behauptungen als genauso absurd wie harmlos. Sie meinen, es lohne die Mühe nicht, sich damit überhaupt zu beschäftigen. Eine solche - letztlich dogmatische - Haltung sehe ich aber als ebenso fragwürdig an wie die Behauptungen selbst.

sueddeutsche.de: Kommen wir zu den statistischen Zusammenhängen: Mehr Geburten, mehr Selbstmorde, mehr Verkehrsunfälle bei Vollmond. Was ist da dran?

Wunder: Im Gegensatz zu den Ratgeber-Inhalten sind alle diese statistischen Behauptungen für Menschen sehr umfassend überprüft worden. Es gibt etliche fundierte Studien dazu - fast alle mit negativem Ergebnis.

sueddeutsche.de: Aber einige Studien weisen auf Zusammenhänge hin. In den 80er Jahren gab es zum Beispiel eine Untersuchung zu Geburten in Frankreich ...

Wunder: Auch bei Wissenschaftlern besteht die Gefahr, klassische methodische Fehler oder Fehlinterpretationen zu begehen. Für die Studie, die Sie meinen, wurden die Daten aller französischen Geburten aus fünf Jahren berücksichtigt - und es wurde eine statistisch signifikante Abweichung gefunden. Allerdings erscheinen bei solchen riesigen Fallzahlen selbst winzigste Effekte häufig statistisch signifikant.

Ich habe selbst mal die Daten aus Frankreich überprüft. Es wurden 5.927.978 Geburten analysiert. Bei nur vier Geburten weniger in ganz Frankreich wäre der Effekt schon nicht mehr signifikant gewesen. Außerdem wurden nicht bei Vollmond die meisten Kinder geboren, sondern in der Zeit vor dem Neumond.

Es gibt auch mehrere Studien aus den 60er Jahren zu Geburten in New York mit Stichproben von ungefähr 100.000 Fällen - und jede dieser Studien hat einen winzigen signifikanten Effekt gefunden. Allerdings lagen diese Effekte jeweils in unterschiedlichen Mondphasen.

sueddeutsche.de: Die Wissenschaftler schauen sich bei diesen Studien offenbar einfach nur die Daten an und suchen nach Zusammenhängen. Ist das überhaupt die richtige Methode?

Wunder: Wirklich aussagekräftig sind solche Studien nur dann, wenn die konkrete Hypothese vor der Auswertung der Daten genau formuliert und dann mittels der Daten überprüft wird.

Wer in einem Datensatz erst im Nachhinein nach allen möglichen Zusammenhängen sucht, findet zwar meist irgend etwas, kann aber kaum mehr zuverlässig unterscheiden, ob es sich nun um rein zufällige Abweichungen oder etwas wirklich Bedeutsames handelt.

sueddeutsche.de: Welche Fehlerquellen gibt es noch?

Wunder: Es gibt natürlich auch Studien, deren Fallzahlen viel zu klein sind, oder die viel zu kurze Zeiträume umfassen. Ein Problem ist es auch, wenn die Wochentage nicht berücksichtigt werden. Auf den Straßen ist zum Beispiel an Wochentagen mehr los als am Wochenende - und am Freitagnachmittag gibt es besonders viel Verkehr.

Wenn der Vollmond in einem Jahr drei- oder viermal auf einen Freitag fällt, dann kann das nach einem Zusammenhang zwischen Verkehrsunfällen und Vollmond aussehen. Einen solchen scheinbaren Zusammenhang hat der Verkehrspsychologe Arno Müller mal aufgeklärt: Der erste Vollmond im Frühjahr bestimmt den Ostertermin - und hängt damit eng mit dem Beginn des österlichen Reiseverkehrs zusammen. Manche Wissenschaftler überprüfen ihre Daten aber leider nicht auf solche Faktoren.

sueddeutsche.de: Der Psychiater Arnold Lieber aus Miami hat in seinem Buch "Der Mondeffekt" in den 70er Jahren erklärt, wenn der Mond schon für die Gezeiten verantwortlich ist, dann muss er auch eine Wirkung auf den Menschen haben, der schließlich zu 80 Prozent aus Wasser besteht. Dieses Argument hört man immer wieder.

Wunder: Von Menschen, die sich nicht ausreichend mit Physik beschäftigt haben. Man kann die Gezeitenkräfte, die auf verschiedene Objekte auf der Erde wirken, genau berechnen - sowohl in Bezug auf den Mond als auch auf die Objekte um uns herum. Das müssen wir aber hier gar nicht tun. Sie müssen sich einfach nur vorstellen, wie diese Kraft mit der abnehmenden Masse der Objekte auf der Erde nachlässt.

Für den Atlantik mit seiner riesigen zusammenhängenden Wassermasse ist sie so groß, dass es zu Ebbe und Flut kommt. Im Mittelmeer sind die Gezeiten bereits schwächer. Im Bodensee sind sie noch nachweisbar, aber minimal. Und in Ihrer Badewanne haben Sie vermutlich noch keine Gezeiten beobachtet. Für den Menschen muss man als einzelne Masse das Wasser in den Zellen betrachten, weil die Flüssigkeit im menschlichen Körper nicht frei schwappen kann. Und diese Masse ist so gering, dass man als hier wirksame Gezeitenkraft faktisch Null herausbekommt.

sueddeutsche.de: Wissenschaftler klingen an diesem Punkt häufig so, als würden sie sagen: Das kann einfach gar nicht sein.

Wunder: Das werden Sie von mir so nicht hören. Ich sage nur: Die Gezeitenkraft ist sicher eine falsche Erklärung. Die haben wir so gut verstanden, dass wir sagen können: Das ist es definitiv nicht.

Es gibt hier aber ein grundsätzliches Problem: Wenn ich lange genug überlege, kann ich mir etliche Wege ausdenken, über die der Mond eine Auswirkung auf den Menschen haben könnte. Aber ich will zuerst sehen, ob es überhaupt einen Effekt gibt. Danach kann ich mir überlegen, wie er sich erklären lässt.

sueddeutsche.de: Sie schließen also eine Wirkung des Mondes nicht grundsätzlich aus?

Wunder: Nein. Ich würde meinen Standpunkt so formulieren: Ich glaube nichts, halte aber alles für möglich. Allerdings fragt man sich ja schon, warum bei allen diesen Studien zum Mond-Einfluss nie etwas herausgekommen ist. Und selbst wenn eine Studie in Zukunft mit den gleichen Methoden Effekte nachweisen würde, müsste man sich fragen, wieso alle anderen Untersuchungen anders ausgegangen sind. Wenn man oft genug testet, findet man auch - zufällig - etwas.

sueddeutsche.de: Können Sie sich erklären, wieso so viele Menschen an die Effekte des Mondes glauben?

Wunder: Wenn wir nur nach unserer subjektiven Wahrnehmung gehen, landen wir fast zwangsläufig bei der Schlussfolgerung, dass es einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Phänomenen und dem Vollmond gibt. Hebammen haben tatsächlich das Gefühl, bei Vollmond mehr Geburten zu begleiten, Polizisten sind überzeugt, dass dann mehr Verbrechen geschehen.

sueddeutsche.de: Wie kommt das?

Wunder: Das hängt damit zusammen, dass diese Berufe sich mit diesen Ereignissen ständig auseinandersetzen. Wir speichern nicht alle Vorfälle aus unserem Alltag gleichberechtigt in unserem Gehirn ab. Dinge, die uns aufgefallen sind, bekommen eine stärkere Bedeutung.

Der Vollmond über einem Unfallort macht das Ereignis für einen Polizisten zu etwas Besonderem, an dass er sich erinnern wird. Einen solchen Vorfall ohne Mond wird er eher wieder vergessen. Aus seiner subjektiven Statistik fällt er heraus. Dadurch kommt es zu Wahrnehmungs- und Erinnerungsverzerrungen.

Wenn man aber eine Strichliste macht und die Beobachtungen damit ein Stück weit objektiviert, werden Sie feststellen, dass der Vollmond keine Bedeutung hat.

Die Medien spielen übrigens auch eine Rolle. Wenn etwas bei Vollmond passiert ist, dann wird das entsprechend berichtet. Sie werden aber nicht lesen, dass der Mond in der Nacht einer Katastrophe nicht am Himmel stand. Oder die Schlagzeile: Es war Vollmond - und alles blieb ruhig.

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