Weltraumforschung:Seilbahn ins All

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Ein Fahrstuhl, der an einem dünnen Band hängt, soll künftig schwere Lasten in den Weltraum schaffen.

Alexander Stirn

Über die Fahrstuhlmusik wurde noch nicht diskutiert. Ansonsten ist das Projekt aber schon weit fortgeschritten - zumindest auf dem Papier: Anstatt teurer Raketen könnte in 15 Jahren ein simpler Aufzug Menschen und Raumfahrzeuge ins All transportieren.

So könnte der "Space Elevator" einst aussehen. (Foto: Graphik: Space Elevator Visualization Group/Alan Chan)

Aufgehängt an einem langen, durch die Rotation der Erde gespannten Kabel. Mit Kabinen, die selbst für den größten Satelliten nicht zu klein sind. Ein hochfliegender Traum, der nun nicht mehr nur geträumt werden soll.

Gut 40 Jahre lang, seit russische Ingenieure erste Berechnungen aufgestellt hatten, wurden die Anhänger eines Aufzugs mitleidig belächelt. Nette Idee, aber allenfalls etwas für Science-Fiction-Romane. Interessantes Konzept, für die Realität aber viel zu kompliziert. Es blieb bei den Plänen.

Weil Papier jedoch geduldig ist - erst recht in der an Visionen nicht armen Raumfahrt -, soll jetzt ein Wettbewerb den Durchbruch garantieren: "Elevator:2010" heißt der von der US-Weltraumbehörde Nasa gestiftete und von der privaten Spaceward Foundation organisierte Preis.

Die ersten Tüftler, die zeigen, dass die Aufzugspläne nicht länger an einem allzu dünnen Faden hängen, können sich über insgesamt 400000 Dollar freuen. Gerade ist die erste Wettbewerbsrunde abgeschlossen worden.

Mit gemischtem Erfolg: Elf Teams waren Ende Oktober im kalifornischen Mountain View angetreten, um den Kletter-König unter sich auszumachen. Die von der Jury gestellten Anforderungen waren allerdings (noch) zu hoch: Die in Heimarbeit gebastelten Aufzugskabinen offenbarten Höhenangst und kamen nicht weit, die Kabel litten unter mangelnder Standfestigkeit. Keiner der Teilnehmer konnte den Pokal gleich im ersten Anlauf mit nach Hause nehmen.

Privatrennen

Dennoch wollen die Organisatoren des Wettbewerbs "historische Premieren" ausgemacht haben. "Was wir an diesem Wochenende erlebten, ist vergleichbar mit dem ersten Motorflug der Gebrüder Wright", sagt Metzada Shelef, Gründer der Spaceward Foundation. "Diese kleinen Schritte sind hoffentlich der Auftakt zu deutlich längeren Kletterpartien - bis hinauf zum Weltraumfahrstuhl."

"Elevator:2010" eifert dabei einem großen Vorbild nach: dem "X-Prize", dem mit zehn Millionen Dollar dotierten Wettlauf um den ersten vollkommen privat organisierten Flug ins All. Im Oktober 2004 hat ihn sich der US-Konstrukteur Burt Rutan mit seinem Spaceship One und zwei erfolgreichen All-Flügen innerhalb von zwei Wochen geschnappt. Die Raumfahrtbranche hofft, dass damit der Startschuss zu einem neuen, privaten Rennen ins All gefallen ist.

Ähnliches soll nun auch im Aufzugs-Business passieren. "Die Innovationen aus solchen Wettkämpfen helfen bei der Weiterentwicklung von Materialien und Strukturen - und sie erlauben neue Ansätze zur Erforschung anderer Planeten", sagt Brant Sponberg, der bei der Nasa die "Centennial Challenges" betreut, zu denen auch der luftige Lift gehört.

Preisgünstige Alternative

Dessen Idee ist in der Theorie erschreckend simpel, in der Praxis aber ziemlich komplex: Ein feines Band, ein Meter breit und dünner als ein Blatt Papier, erstreckt sich von einer im Ozean schwimmenden Plattform bis in die Weiten des Alls.

Erst in 100.000 Kilometer Höhe wird es von einem Gegengewicht gespannt - ähnlich einem sich im Ring drehenden Hammerwerfer. Trotz der irdischen Rotation zerrt das System am Boden lediglich mit einer Kraft von 20 Tonnen. Fahrstuhlkabinen rasen mit konstanter Geschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde am Band entlang. Angetrieben werden sie von Solarstrom und von einem Lichtstrahl, der parallel zum Kabel in den Himmel gerichtet ist.

Mit allem Drum und Dran wiegt der Aufzug, wie seine Befürworter errechnet haben, nur 1500 Tonnen; in seiner Basisversion soll er einmal am Tag eine bis zu 15 Tonnen schwere Fracht in den geostationären Orbit transportieren können. Der Lift könnte damit schwerere Lasten transportieren als alle derzeit im Handel erhältlichen Raketen - und das zu unschlagbaren Preisen. Anfangs soll das Kilogramm Weltraumfracht rund 200 Dollar kosten; moderne Trägerraketen verlangen mehr als 10 000 Dollar für jedes ins All transportierte Kilogramm.

Um alsbald durchstarten zu können, haben sich in Mountain View sieben Aufzugskabinen dem harten Wettbewerb gestellt. Sie mussten - angetrieben vom Licht eines starken Suchscheinwerfers - mitsamt ihrer Fracht ein 70 Meter langes Kabel empor klettern und dabei eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 3,6 Kilometer pro Stunde erreichen.

Zwölf Meter Weltrekord

Das "SnowStar"-Team von der University of British Columbia schaffte gleich zu Beginn des Wettkampfs immerhin sechs Meter - und damit den ersten lichtgetriebenen Fahrstuhlaufstieg überhaupt. Am zweiten Wettbewerbstag brachten es Forscher der kanadischen University of Saskatchewan sogar auf mehr als zwölf Meter. Weltrekord.

Alle Teilnehmer hatten allerdings ihre Probleme, aus dem Scheinwerferlicht genügend Leistung für den beschwerlichen Aufstieg zu gewinnen. Dennoch sagen die Spaceward-Experten voller Überzeugung: "Die wissenschaftlichen Hintergründe des Aufzugs sind allesamt verstanden, und er braucht auch keine fiktionalen Erfindungen - mit Ausnahme des superstarken Materials für seine Konstruktion."

Eine durchaus gewichtige Ausnahme: Aus so genannten Kohlenstoff-Nanoröhrchen soll das Kabel eines Tages bestehen, eine erst 1991 entdeckte Substanz, die leicht und gleichzeitig extrem reißfest ist. Stärker als Stahl und viermal so reißfest wie für den Aufzug benötigt sollen die Mini-Röhren sein. An einer Methode, die winzigen Fäden günstig und zuverlässig zu einem langen Band zu verspinnen, tüfteln die Forscher allerdings noch.

Sechs Monate Entwicklungszeit

Folglich traten in der Kabel-Wertung von Mountain View auch nur vier Teilnehmer an - nachdem sich lange Zeit gar keiner gefunden hatte. Deren Wettbewerbsstricke durften lediglich zwei Gramm wiegen; die Reißfestigkeit musste im direkten Duell bewiesen werden. Damit aber nicht genug: Um den großen Preis zu gewinnen, musste das siegreiche Kabel im Finale auch noch gegen das beste derzeit auf dem Markt erhältliche Produkt antreten.

Dessen Leistung galt es um 50 Prozent zu übertreffen. Bei mehr als 1200 Pfund musste das Kabel des privaten Centaurus Aerospace Teams schließlich abreißen lassen - und schrammte damit nur knapp am Preis vorbei. "Das ist besonders beeindruckend, wenn man bedenkt, dass die Teams nur sechs Monate Zeit zur Entwicklung hatten", sagt Brant Sponberg.

Der Aufbau des kosmischen Aufzugs wird indes deutlich länger dauern, und er gilt als äußerst heikel: Von sich aus entfaltet sich das Band nicht ins All, direkt am Boden ist die Rotationskraft der Erde zu gering. Daher müsste das Kabel von seiner obersten Stelle, aus den Tiefen des Orbits, abgerollt werden. Da aber selbst ein papierdünnes Band, wenn es denn 100.000 Kilometer lang ist, ein gewisses Volumen einnimmt, ist der Transport an Bord einer Rakete nicht eben einfach.

Nur nicht stecken bleiben

Möglicherweise, so eine Idee der Aufzugsmacher, könnte zunächst eine feine Schnur gespannt werden, an der entlang das eigentliche Kabel in die Höhe gezogen würde. Rund zehn Milliarden Dollar haben die Planer für die notwendigen Installationsarbeiten einkalkuliert, 2020 könnte die Jungfernfahrt starten.

Nur stecken bleiben darf die Kabine dabei nicht, denn an eine Reparatur in orbitalen Höhen ist nicht zu denken. Generelle Sicherheitsbedenken haben die Macher dagegen nicht. Absehbare Kollisionen mit Weltraumschrott ließen sich zum Beispiel leicht verhindern: die Plattform am Äquator ein paar Meter zur Seite manövrieren, schon folgt ihr das gespannte Aufzugskabel, die Gefahr wird umschifft. Leichte Einschläge soll das Wundermaterial sogar wegstecken können.

Und falls das Kabel einmal reißt? Keine Panik, sagen die Fahrstuhl-Fürsprecher. Der Abschnitt oberhalb der Bruchstelle würde einfach in eine höhere Umlaufbahn gleiten, der Teil darunter würde zurück zur Erde fallen und in der Atmosphäre auseinander brechen. Aufgrund seines Gewichts, das ganze System wiegt kaum mehr als 1000 Tonnen, wäre aber auch das keine Katastrophe: Nach seinem Rücksturz zur Erde würde sich das zerfetzte Band einfach über den Planeten verteilen - wie bei einer weltweiten, allerdings ziemlich teuren Konfettiparade.

© SZ vom 18.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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