Wahrnehmung:Ich bin Du

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Schwedische Wissenschaftler haben bei Testpersonen die Illusion erzeugt, sie befänden sich in einem fremden Körper. Ihre Arbeit wirft ein neues Licht auf unsere Selbstwahrnehmung.

Markus C. Schulte von Drach

In Filmen ist es ein beliebtes Motiv: der "Body Switch", bei dem zwei Seelen ihre Körper tauschen. Wissenschaftlern des schwedischen Karolinska-Instituts in Stockholm haben es nun immerhin geschafft, Menschen die Illusion zu verschaffen, in einem anderen Körper zu stecken als dem eigenen.

Die Versuchsperson sieht ... (Foto: Foto: PlosOne/Petkova)

Zwar wird es uns trotzdem nicht möglich sein, in Zukunft als George Clooney oder Julia Roberts herumzulaufen - abgesehen davon, dass es dann in deren begehrten Körpern vermutlich auch ziemlich eng würde.

Aber immerhin werfen die Experimente der schwedischen Psychologen ein neues Licht auf unsere Selbstwahrnehmung und unser Ich.

Die Illusion des neuen Körpers konnten Henrik Ehrsson und Valeria Petkova mit Hilfe eines einfachen Tricks erzeugen: In einem ersten Versuch trugen ihre Versuchspersonen Spezialbrillen mit einer Kamera.

Das Aufnahmegerät selbst war am Kopf einer Schaufensterpuppe befestigt und zeigte deren nackten Körper so, als würde sie an sich herunterschauen. Richtete nun der Proband die Augen auf seinen eigenen Bauch, erblickte er dort, wo er seinen Körper erwartete, den fremden, künstlichen Leib.

Nun wurden beide Körper mit einem Stäbchen angestupst. Sahen und spürten die Versuchspersonen dies gleichzeitig, hatten sie innerhalb von zwei Minuten das Gefühl, in der Schaufensterpuppe zu stecken ( PloS ONE, 3(12), 2008).

Und als die Forscher den Unterleib oder eine Hand der Schaufensterpuppe mit einem Messer berührten, fühlten sich die Versuchsteilnehmer offenbar bedroht, wie die Veränderung der elektrischen Leitfähigkeit ihrer Haut zeigte. Ein Löffel dagegen löste diese Reaktion nicht aus.

Doch damit waren Ehrsson und Petkova noch nicht zufrieden. Die Puppe hatten sie nur eingesetzt, um zu vermeiden, dass die Versuchspersonen durch unpassende Bewegungen des Gegenübers abgelenkt wurden.

Männer in Frauenkörpern und Frauen in Männerkörpern

Jetzt setzten sie ihren Probanden jeweils einen Wissenschaftler gegenüber. Die Kamera zeigte diesmal den Körper der Versuchsperson selbst, und zwar ab den Schultern abwärts. Dann gaben sich die zwei Personen die Hand und drückten sie gleichzeitig.

Obwohl die Probanden ihren eigenen Körper sehen konnten, hatten sie schnell das Gefühl, es sei ihr Arm, der sich ihrem Leib entgegenstreckte.

Hielten die Wissenschaftler nun ein Messer an die Arme der Beteiligten, so war die Erregung bei den Probanden größer, wenn das eigentlich fremde Handgelenk bedroht war.

Die Illusion war bei Männern und Frauen unabhängig davon, ob es sich bei dem Gegenüber um einen weiblichen oder männlichen Leib handelte. "Dies deutet darauf hin, dass das Geschlecht und Unterschiede in der exakten Körperform keine wichtigen Faktoren sind, wenn es darum geht, einen anderen Körper als den eigenen wahrzunehmen", erklären die Forscher.

Schon lange bekannt ist, dass Menschen, die eine Hand aus Gummi anstelle ihrer eigenen sehen, diese als Teil ihres Körpers wahrnehmen, wenn beide gleichzeitig auf identische Weise berührt werden.

Und selbst die Vorstellung, zwei Arme auf einem Computerbildschirm seien die eigenen, führt zu einer starken Reaktion auf eine Verletzung der pixeligen Gliedmaßen mit einem virtuellen Messer, wie Wissenschaftler der Universität Zürich kürzlich berichteten.

"Wir sehen hier die Möglichkeit, einen Mann in einen weiblichen Körper zu stecken, einen jungen Menschen in einen alten, einen weißen in einen schwarzen, und umgekehrt", erklärte Ehrsson der New York Times.

Ehrsson hatte bereits im vergangenen Jahr gleichzeitig mit einer Gruppe von Wissenschaftlern aus Deutschland und der Schweiz ähnlich spektakuläre Versuchsergebnisse in Science veröffentlicht. In beiden Studien sahen die Versuchspersonen über Videobrillen Bilder ihres eigenen Körpers, als würden sie sich selbst von hinten beobachten.

Wurden die Probanden am Rücken mit einem Stab berührt - was sie über die Brillen beobachten konnten -, kam es zu so genannten Out-of-Body-Erfahrungen. Ihrer Wahrnehmung zufolge befand sich ihr Ich hinter ihrem physischen Körper.

... was die Kamera an der Schaufensterpuppe zeigt. (Foto: Foto: PlosOne/Petkova)

Die Wissenschaftler um Olaf Blanke vom Polytechnikum Lausanne und Thomas Metzinger von der Universität Mainz hatten ihren Probanden auch Videoaufnahmen einer Schaufensterpuppe gezeigt, die gleichzeitig mit ihnen berührt wurde. Und bereits hier hatten die Versuchsteilnehmer erklärt, es hätte sich "angefühlt, als sei die virtuelle Figur mein eigener Körper".

"Der Unterschied zwischen diesen Studien hängt mit der visuellen Perspektive zusammen", erklärte Ehrsson der Süddeutschen Zeitung. "Wir untersuchen, wie jemand seinen eigenen Körper aus der Erste-Person-Perspektive wahrnimmt. Blanke und seine Kollegen untersuchen, wie ein Körper aus der Dritte-Person-Perspektive fälschlicherweise als der eigene wahrgenommen wird. "

Ehrsson und Petkova gehen davon aus, dass ihre aktuellen Ergebnisse helfen, grundlegende Fragen zu verstehen: "Wie kommen wir zu der Wahrnehmung, dass wir unseren eigenen Körper besitzen und warum haben wir immer das Gefühl, uns darin zu befinden?"

Dazu reiche es offenbar aus, in der "Erste-Person-Perspektive" die passenden Informationen über die Augen und über Berührungen zu erhalten. Das aber "steht im Gegensatz zu den Lehrbuch-Weisheiten, denen zufolge die Körperwahrnehmung eine direkte Folge der Verarbeitung der Signale von Muskeln, Gelenken und Haut ist".

Dass die Illusion des Körperwechsels so leicht entsteht, hängt ihrer Einschätzung nach gerade damit zusammen, dass der menschliche Geist so effektiv arbeitet und wie wir die Welt unter normalen Umständen wahrnehmen: "durch Augen, die an einer bestimmten Stelle am Schädel fixiert sind".

"Die Illusion rührt daher, dass das Gehirn versucht, den eigenen Körper so schnell wie möglich zu identifizieren und seine Position festzustellen", sagt Ehrsson. "Die große Geschwindigkeit geht dabei auf Kosten der Genauigkeit."

Unser Denkorgan, erklärt der Forscher weiter, greife auf Erinnerungen und Erfahrungen zurück, wie der Körper normalerweise aussieht. "In den meisten Fällen funktioniert das gut, aber wenn ein Wissenschaftler einen Ersatzkörper präsentiert, lässt sich das Gehirn leicht austricksen."

Mit anderen Worten: Scheinen wir uns selbst zu sehen und beobachten und spüren zugleich, wie wir berührt werden ... so schließt unser Gehirn daraus, dass wir uns auch dort befinden müssen, wo in der Umwelt wir uns gerade wahrnehmen.

Die schwedischen Forscher gehen davon aus, dass ihre Ergebnisse "bahnbrechende Bedeutung für Industrie und Medizin besitzen könnten". So hoffen sie, dass ihre Arbeit hilft, Körperschema-Störungen wie Ess-Brechsucht oder Magersucht oder verzerrte Selbstwahrnehmungen zu erforschen.

Auch werden Erfahrungen in der Virtuellen Realität realistischer sein, wenn es gelingt, einen simulierten Körper tatsächlich als den eigenen wahrzunehmen. Dies wieder könnte den so genannten Proteus-Effekt verstärken.

So bezeichnen Wissenschaftler der amerikaniscen Stanford University ihre Beobachtung, dass Menschen sich mit einem künstliches Gesicht auf einem Bildschirm ein Stück weit identifizieren, wenn sich dessen Augen wie ihre eigenen bewegen. Mit interessanten Konsequenzen. So nehmen Weiße, die sich eine Weile mit einem schwarzen Computer-Spiegelbild identifiziert haben, anschließend Rassenunterschiede nicht mehr so wichtig.

Schließlich, so vermuten Ehrsson und Petkova, seien ihre Erkenntnisse auch wichtig für die alte Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Bewusstsein des Menschen und seinem Körper - einer Frage, die bereits seit Jahrhunderten von Philosophen, Psychologen und Theologen diskutiert wird.

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