Wahlforschung:Zauberformeln für den Wählerwillen

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Die Wege, über die Wahlforscher den nächsten US-Präsidenten vorhersagen wollen, sind vielfältig. Aber alle sehen Obama vorne.

Hubertus Breuer

Hätten die Demokraten in den USA auf neuseeländische Schulmädchen gehört, wäre ihnen viel Aufwand erspart geblieben. Nach deren monatelangem, Millionen Dollar verschlingenden Vorwahlkampf kam heraus, was Teenager aus dem anderen Teil der Welt schon Mitte 2007 wussten: die Favoriten bei den Demokraten würden Hillary Clinton und Barack Obama sein. Bill Richardson, Jonathan Edwards, Chris Dodd - sie alle hätten gar nicht antreten müssen. Und das lasen die Teenager nur aus den Gesichtern der Kandidaten.

Neuseeländische Schulmädchen wussten schon früh, dass Obama gute Chancen auf eine Kandidatur hat. (Foto: Foto: AFP)

Scott Armstrong, Marketing-Experte von der Wharton Business School an der University of Pennsylvania, hatte den Schülerinnen für wenige Sekunden 24 Kandidatenportraits vorgelegt. Dieser kurze Eindruck genügte, und Hillary Clinton siegte. Auf einer Skala von 1 bis 10 wurde ihre Kompetenz mit 7,2 eingestuft, dicht gefolgt von Obama, der 6,8 erreichte - und zum Zeitpunkt des Experiments in den USA noch krasser Außenseiter war.

Auch bei den republikanischen Kandidaten lagen die Mädchen nah am Endresultat: Sie sprachen dem damals ebenfalls weit abgeschlagenen John McCain die größte Kompetenz zu, gleichauf mit dem Kongressmitglied Duncan Hunter und dem Senator Chuck Hagel.

"Hunter und Hagel hatten allerdings so gut wie kein Geld für ihren Wahlkampf", erklärt Armstrong das Scheitern der beiden. "Das verhinderte, dass sie dem Wähler das Gesicht hinter ihrem Namen vermitteln konnten.

Auch Clinton konnte in der Endphase des Wahlkampfes kaum noch in Wahlwerbung investieren." Finanzen einkalkuliert, liefert die gefühlte Kompetenz also offenbar einen brauchbaren Maßstab für potentiellen Wahlerfolg - 2004 sagten Wahlforscher mit dieser Methode immerhin knapp siebzig Prozent der amerikanischen Kongresswahlen korrekt voraus.

Doch auf intuitive Eindrücke alleine wollen amerikanische Demoskopen nicht vertrauen, um das Ergebnis der in diesem Jahr anstehenden Präsidentschaftswahl mit mehr als 200 Millionen Wahlberechtigten zu vorherzusagen.

"Diese Wahl ist ein Sonderfall", erklärt der Politikwissenschaftler James Campbell von der State University of New York in Buffalo und Herausgeber des International Journal of Forecasting. "Es tritt kein amtierender Präsident an, weshalb Popularitätswerte und die Wirtschaftslage weniger aussagekräftig sind. Die Vorwahlen der Demokraten waren außerdem stark gespalten und die Republikaner sind nur mäßig von McCain begeistert."

Der gängige Weg, eine Prognose zu erstellen, sind bekanntlich Meinungsumfragen. Doch sind diese nur am Wahltag wirklich zuverlässig. Monate vorher ist die berühmte Frage, wen man am Sonntag wählen würde, nicht viel mehr als ein Stimmungsbarometer. Zudem stecken solche Trendumfragen voller Fehlerquellen - abhängig davon wen man fragt, wie man fragt und wie man die Antworten gewichtet.

So kam es schon oft zu Wahlforschungsdebakeln. Einen legendären Fehlschlag lieferte 1936 das US-Magazin Literary Digest, als es den Republikaner Alf Landon als klaren Sieger der Präsidentschaftswahl sah. Überwältigend gewonnen hat dann Franklin D. Roosevelt; er siegte in 46 von 48 Bundesstaaten.

Literary Digest hatte für die Umfrage die eigene Abonnenten-Kartei verwendet, die Liste von KFZ-Zulassungen und Telefonbücher. Viele der Roosevelt-Anhänger besaßen zu jener Zeit jedoch weder einen Fernsprechapparat, geschweige denn ein Automobil oder ein Zeitschriftenabo.

13 entscheidende Fragen

Wer bereits Monate vor einer Wahl deren Ausgang vorhersagen will, orientiert sich daher besser an anderen Modellen. Auf Prognosemärkten beispielsweise kann man wie an einer Börse auf Kandidaten wetten. Das hat den Vorteil, dass es anders als bei Meinungsumfragen nicht um die persönlichen Vorlieben der beteiligten Probanden geht, sondern um deren nüchterne Einschätzung künftiger Entwicklungen.

Der älteste virtuelle Handelsplatz dieser Art im Internet ist der "U.S. Presidential Election Market" der University of Iowa. Den letzten Sieg George W. Bushs sagte dieser Markt erstaunlich genau voraus - nur um ein Viertelprozent lag er Anfang November 2004 daneben. Obama wird seine dortige Notierung zurzeit mit Wohlgefallen sehen: Der Handelsplatz für Kandidaten sagt ihm einen Sieg in Höhe von rund 52 Prozent voraus.

Wer dem Boden schwankender Börsen-Kurse misstraut, kann sich aber offenbar auch vertrauensvoll an Experten wenden. Manche Politikbeobachter richten ihr Augenmerk auf Schlüsselindikatoren, um auf deren Basis fundiertere Vorhersagen zu treffen. Der Politologe Alan Lichtman von der American University in Washington, D.C., nennt dreizehn mit 'Ja' oder 'Nein' zu beantwortende Fragen, die eine sichere Vorhersage liefern sollen.

Dazu gehört, ob ein starker Kandidat für eine dritte Partei antritt wie Ralph Nader 2000 für die amerikanischen Grünen, ob der amtierende Präsident in einen Skandal verwickelt ist oder ob das Wirtschaftswachstum der letzten Amtsperiode das der zwei vorangegangenen übertrifft.

Wenn die Regierungspartei, so Lichtmans Faustregel, weniger als sechs Nein-Antworten einsteckt, stellt sie weiterhin den Präsidenten. Nach diesem Muster konnte Lichtman retrospektiv den Gewinner jeder Präsidentschaftswahl von 1860 bis 1980 korrekt vorhersagen - und seit es den Fragenkatalog gibt, stimmten auch alle Siege zwischen 1984 und 2004.

Nur im Jahr 2000 sah das 13-Fragen-System Al Gore vorne, was vielleicht zu entschuldigen ist. In der Tat konnte der unterlegene Vize von Bill Clinton insgesamt mehr Wählerstimmen gewinnen als der bei Wahlmännern überlegene George W.Bush. 2008 sieht es für die Republikaner allerdings düster aus: Für sie schlagen nach Lichtmans Regeln acht Nein zu Buche.

Etwas mathematischer als solche Ja/Nein-Verfahren wirkt die Prognose-Methode des Alan Abramowitz von der Emory University in Atlanta, Georgia. Der Politikwissenschaftler packt die jüngsten Werte des Wirtschaftswachstums, die Popularitätswerte des amtierenden Präsidenten und die Jahre der Regierungspartei im Weißen Haus in eine kompakte Formel.

Demnach sieht er voraus, dass der Wähler nach einem politischen Wechsel verlangt - gemessen daran, dass ein Republikaner seit acht Jahren das Präsidentenamt innehat, seine Umfragewerte im Keller sind und die US-Wirtschaft lahmt. Insofern könnte Obama den Nerv der US-Bürger getroffen haben.

Sein Wahlspruch "Zeit für Wandel" kam an, auch wenn der Kandidat anfangs nicht immer schlüssig erklären konnte, was genau mit dem Slogan gemeint sei. Doch wen kümmert das schon, wenn der republikanische Konkurrent, wie Abramowitz errechnet hat, am Wahltag mit 43 Prozent Stimmanteil untergehen wird.

Neben solchen Prognoserezepten gibt es indessen auch eine Zauberformel, die leichtfüßig, ohne schweres theoretisches Gepäck, den Wahlausgang genauer als alles andere erahnen lässt. Vor dieser wundersamen Gleichung sind alle Faktoren gleich - egal ob Wirtschaft oder Wähler, Popularität oder Potentaten.

Ihr Name: "Pollyvote" ( www.pollyvote.com). Das einfache Prinzip: den Mittelwert möglichst vieler unterschiedlicher Prognose-Verfahren errechnen. Die findige Idee dahinter: Die Vorhersagefehler der verschiedenen Modelle gleichen sich gegenseitig aus.

Der einfache Weg ist der beste

Nach dieser Methode hat das von Scott Armstrong und Randell Jones von der University of Central Oklahoma initiierte Projekt den Ausgang der Präsidentschaftswahl 2004 mit einer Abweichung von nur 0,3 Prozent fast korrekt ermittelt. Und auch hier werden die Demokraten für diesen November derzeit mit 52,6 Prozent als Sieger gesehen.

Andreas Graefe, Ökonom am Forschungszentrum Karlsruhe und derzeit auf Forschungsaufenthalt bei Scott Armstrong, sieht in der Schlichtheit des Modells seinen Vorteil: "Es ist ein Irrglaube, dass sich komplexe Probleme nur mit komplizierten Verfahren lösen lassen. Oft liefert der einfache Weg die besseren Ergebnisse."

Gewiss, all diese Ansätze lassen einen Aspekt außer Acht: Warum die Amerikaner letztlich diesem oder jenem Kandidaten ihre Stimme geben. Aber womöglich ist das ohnehin nicht so bedeutend, wie eine Studie von Armstrong und Graefe zeigt. Sie erkundigten sich bei amerikanischen Wählern, wen sie als kompetenter erachten, um etwa den Irak-Krieg oder die aktuelle Wirtschaftskrise zu bewältigen. Die große Mehrheit bevorzugte Barack Obama.

Fragte man sie allerdings danach, wie die Probleme gelöst werden sollten, befürworteten viele republikanische Positionen. Offensichtlich ist den Wählern nicht immer bewusst, welche Politik ihr favorisierter Kandidat tatsächlich vertritt. Und wenn Wähler selbst nicht so genau wissen, warum sie einen Präsidentschaftsanwärter wählen, dann gewinnen allerlei Prognoseverfahren an Wert.

© SZ vom 06.08.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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