Vom Schädlingsbekämpfer zur Plage:Krieg der Käfer

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Setzt sich gegen einheimische Arten immer mehr durch: der Asiatische Marienkäfer (Foto: dpa)

Der Asiatische Marienkäfer sollte Obst- und Gemüseplantagen in Europa und Amerika von Blattläusen befreien. Doch die Tiere vermehren sich weltweit explosionsartig - und verdrängen heimische Arten. Die Invasoren setzen auf biologische Kampfstoffe.

Von Monika Offenberger

Amerikanischer Ochsenfrosch und Spanische Wegschnecke haben es geschafft, Kanadische Goldrute und Indisches Springkraut sowieso. Sie alle stammen aus fremden Ländern und haben sich dauerhaft in Deutschland niedergelassen. Jetzt machen sie den hiesigen Tieren und Pflanzen Konkurrenz und gelten daher als invasive Arten. Ihrem Beispiel folgt nun auch der Asiatische Marienkäfer Harmonia axyridis. Mit schwarzen Punkten auf rotem Grund sieht er ebenso harmlos aus wie seine heimischen Verwandten. Doch mit diesen führt er einen harten Kampf ums Überleben - und setzt dabei auf biologische Waffen, wie ein deutsches Forscher-Team nun in der Fachzeitschrift Science berichtet (Bd. 340, S. 862, 2013).

Die Erfolgsgeschichte von Harmonia begann 1916 in Kalifornien. Die exotischen Krabbler heißen dort Harlekin-Marienkäfer, weil sie in allerlei Farbvarianten vorkommen. Man holte sie ins Land, damit sie Obst- und Gemüseplantagen von Blattläusen frei hielten. Die sechsbeinigen Gastarbeiter machten ihre Sache gut, und so brachte man sie schließlich auch nach Europa und Südamerika. Jahrzehntelang ging alles glatt - bis es die Käfer hinaus in Wald und Flur zog. Dort breiteten sie sich hemmungslos aus, von 1988 an in Nordamerika, elf Jahre später in Europa und seit neun Jahren auch in Südafrika. In Deutschland wurden sie 1999 erstmals in freier Natur gesichtet, seit 2002 bevölkern sie die ganze Republik.

Einheimische Arten unter Druck

Bei Gärtner und Biobauern sind diese Feinde der Blattlaus noch immer hoch im Kurs. Anderswo machen sie sich zusehends unbeliebt. Zum Beispiel bei Hausbesitzern. Denn im Herbst drängen die bunten Käfer oft zu Tausenden zum Überwintern in Häuser und lösen Ekel oder sogar allergische Reaktionen aus. Winzer fürchten Ertragseinbußen, weil die Insekten mit den Trauben in die Maische gelangen und dem Wein eine unangenehme Note geben. Und Naturschützer schließlich sehen heimische Marienkäfer - noch gibt es von ihnen 78 verschiedene Arten - durch die Import-Käfer bedroht. Dass diese Sorge berechtigt ist, zeigt eine Studie aus England. Seit 2006 sind die dortigen Populationen von Zweipunkt-, Siebenpunkt- und Schachbrett-Marienkäfern infolge der Harlekin-Invasion merklich zurückgegangen.

Andreas Vilcinskas, Erstautor der aktuellen Science-Studie, findet das schlechte Image des Asiatischen Marienkäfers von Berufs wegen inspirierend. Der Biologe leitet das Institut für Phytopathologie und Angewandte Zoologie der Universität Gießen, und Harmonia axyridis kommt ihm gerade Recht: "Eine Art, die sich weltweit ausbreitet, muss ein Top-Immunsystem haben. Sie trifft auf allen Kontinenten neue Krankheitserreger, an die sie sich nicht anpassen konnte. Wir wollen wissen, wie sie dort überlebt."

Ein simpler Versuch zeigt die hohe Abwehrbereitschaft der Harlekin-Marienkäfer. Schüttelt man sie in einem Glasröhrchen, dann scheiden sie an den Beingelenken übel riechende Bluttropfen aus. Träufelt man nun diese Tröpfchen auf eine Schicht aus E.coli-Bakterien, so bilden sich keimfreie Stellen. Diese sind um ein Vielfaches größer als wenn man den gleichen Versuch mit dem Sekret von Zweipunkt- oder Siebenpunkt-Käfern macht. Grund ist eine antibakterielle Substanz namens Harmonin, die Vilcinskas' Mitarbeiter in hohen Konzentrationen in den Käfern fanden. Im Labor lässt sie viele Mikroorganismen absterben. "Die beste Wirkung hat sie gegen Tuberkulose-Bakterien und die Erreger der Malaria", sagt Jochen Wiesner, der die Testreihe betreute.

Wiesner entwickelt seit 15 Jahren Anti-Malaria-Medikamente und hält Harmonin für einen interessanten Kandidaten für neue Therapeutika. Eine direkte Verwendung des Naturstoffs als Medikament sei aber nicht möglich. Denn im Labor hemmt er schon in niedrigen Konzentrationen das Wachstum verschiedener Säugetier- und Insektenzellen. "Um Harmonin als Arznei-stoff zu nutzen, müsste man die im Käfer vorkommende Form erst in geeigneter Weise chemisch abwandeln. Wir verstehen im Moment noch nicht, über welchen Mechanismus die Substanz die Krankheitserreger tötet", sagt der Wissenschaftler.

Mit welchen weiteren Substanzen wehrt der Asiatische Marienkäfer feindliche Mikroben ab? Um das zu untersuchen, hat der Molekularbiologe Heiko Vogel vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena einigen der Insekten einen Bakterien-Mix ins Blut gespritzt. Anschließend analysierte Vogel alle frisch von den Käfern produzierten Biomoleküle. "Wir haben mehr als 50 antibakterielle Peptide gefunden, in unterschiedlich hohen Konzentrationen. Das ist der absolute Rekord im Tierreich", schwärmt der Coautor der aktuellen Studie. Weitere Experimente brachten noch eine Überraschung: "Wenn wir den Käfern Bakterien injizieren, dann verschwindet die Aktivität von Harmonin. Offenbar fahren die Käfer die Produktion herunter, sobald sie diese vielen Abwehr-Peptide produzieren", vermutet Vogel. Der Asiatische Marienkäfer verfügt demnach über ein zweistufiges Immunsystem: Mit hohen Dosen von Harmonin hält er vorsorglich eine Art Breitband-Barriere gegen alle möglichen Angreifer aufrecht. Droht konkrete Gefahr, dann wechselt er gezielt zum jeweils passenden Antibiotikum.

Sein Blut ist voller Parasiten

Das flexible System schützt den fremden Käfer gegen eine Vielzahl von Krankheitskeimen. Doch erklärt es auch seine Überlegenheit gegenüber den hiesigen Marienkäfern? Die größte Bedrohung stellen die Insekten füreinander selbst dar. Alle Marienkäfer, gleich welcher Spezies, fressen Larven und Eier von Artgenossen. Doch wie zahlreiche Studien belegen, geht der Harlekin aus diesen gegenseitigen Attacken langfristig als Sieger hervor. "Wenn Harmonia den Nachwuchs anderer Arten frisst, dann überlebt er das. Umgekehrt aber sterben die Räuber, wenn sie sich über Harmonia hermachen", erklärt Vilcinskas. Was haben die Asiaten in sich, das für alle anderen Marienkäfer tödlich ist? Am Harmonin liegt es, anders als zunächst vermutet, nicht - sondern am Blut der fremden Käfer. "Als wir uns das Blut der Asiaten genauer angesehen haben, sind wir erschrocken", erinnert sich Andreas Vilcinskas. "Es war voll mit Parasiten, die wie Pilzsporen aussahen." Eineinhalb Jahre später war der Beweis erbracht, dass es sich um Mikrosporidien handelte, die nah mit einer Art namens Nosema thompsoni verwandt ist. Wie sämtliche Vertreter dieser einzelligen Organismen können sie sich nur in den Zellen ihres Wirtstieres vermehren. Sollte dies die tödliche Waffe sein, mit der Harmonia anderen Marienkäfern den Garaus macht?

Um die zu zeigen, gewannen die Biologen die Parasiten in Reinform aus dem Käferblut. Dann töteten die Forscher die Hälfte der Parasiten durch Hitze ab. "Nachher konnten wir zeigen, dass nur die lebenden Nosema-Sporen für den Siebenpunkt tödlich sind. Alle Käfer, die wir damit infiziert haben, waren zwei Wochen später tot", sagt Vilcinskas. Inzwischen hat der Wissenschaftler Asiatische Marienkäfer aus aller Welt untersucht und weiß: Das Blut der Asiatischen Käfer aus Nowosibirsk sieht genauso aus wie das von Artgenossen aus Paris oder Gießen. Weltweit ist die gesamte Harmonia-Population mit Mikrosporidien infiziert; sie finden sich in jedem einzelnen Käfer, in jeder Larve, jedem Ei. "Das ist ein sehr interessanter Befund. Ein vergleichbarer Befall mit Mikrosporidien ist mir von keinem anderen Tier bekannt", kommentiert Robert Paxton von der Universität Halle die Ergebnisse. Der Zoologe erforscht die Parasiten der Honigbiene; dazu zählen auch zwei andere Arten von Nosema, die ganze Völker vernichten können.

Wenn aber alle Harlekine Mikrosporidien in sich tragen, warum gehen sie dann nicht selbst an ihnen zugrunde? "Offenbar schaffen sie es irgendwie, die Erreger unter Kontrolle zu halten", sagt Max-Planck-Forscher Vogel. "Ich tippe auf Harmonin." Sollte sich Vogels Vermutung als richtig erweisen, könnte das erklären, warum der Käfer stets große Mengen dieses Stoffes produziert. "Der Aufwand würde sich rechtfertigen, wenn er damit seine Parasiten in Schach halten kann", sagt der Forscher. "Und wenn er nach einer Bakterienattacke den Harmonin-Spiegel senkt, dann könnten vielleicht die antimikrobiellen Peptide den Job übernehmen." Doch noch sind das Hypothesen. Um sie zu prüfen, wollen Vogel und Vilcinskas Harmonia-Käfer züchten, die frei von Mikrosporidien sind. So hoffen die Biologen auch zu klären, wie sich die Parasiten in ihrem Wirt vermehren, um von einer Insekten-Generation in die nächste zu gelangen. So wirft der Harlekin-Käfer immer neue Fragen auf. Doch immerhin gibt es nun eine Antwort darauf, wie der Eindringling seine Konkurrenz aus dem Weg räumt: durch biologische Kriegsführung.

© SZ vom 17.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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