Vogelgrippe:Verteilungskampf um Medikamente innerhalb der EU

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Einige Regierungen in Europa befürchten im Ernstfall Mangel an Grippemitteln. Sie beschweren sich, andere Mitgliedsländer hätten die Produktionskapazitäten der Hersteller für mehrere Jahre ausgelastet.

Alexander Hagelüken und Nina Bovensiepen

Damit könnten die Regierungen selbst dann keine Medikamente für ihre Bewohner mehr ordern, wenn die Seuche bei ihnen zuerst ausbrechen sollte. Nach der Ankunft der tödlichen Vogelgrippe in Europa ist der Streit um die knappen Grippemittel zum Schutz der Bevölkerung entstanden.

Eine Packung des Medikaments Tamiflu (Foto: Foto: dpa)

Die britische Gesundheitsbehörde rechnet allein in Großbritannien mit mindestens 50.000 Toten, falls das Vogelgrippevirus mutiert und sich von Mensch zu Mensch überträgt. Nach Angaben der Europäischen Union ist in Rumänien wie in der Türkei der für Menschen gefährliche Virustyp H5N1 aufgetreten, der in Asien bereits 60 Todesopfer gefordert hat. Kommissions-chef Jose Manuel Barroso erklärte, die EU sei zu radikaleren Maßnahmen als bisher bereit.

Brüsseler Diplomaten bestätigten die Auseinandersetzung um die Medikamente. Die Vorwürfe werden in einem internen Bericht von EU-Verbraucherkommissar Markos Kyprianou geschildert, der keine Ländernamen nennt. Kyprianou hatte die Mitglieder aufgefordert, ihre Bestände an Virenschutzmitteln zu melden. Neun Staaten blieben die Antwort schuldig. Sie dürften zum Großteil schlecht auf den Ausbruch einer Massenepidemie vorbereitet sein.

Millionen Packungen bereits geordert

Die übrigen Staaten halten nach Angaben der Financial Times etwa zehn Millionen Packungen vor. Bis Ende 2007 hätten sie weitere 36 Millionen Packungen geordert. Damit sind die Produktionskapazitäten der Hersteller offenbar weitgehend ausgelastet. Die Vorräte der Staaten reichen für jeden zehnten EU-Bewohner. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt eine Abdeckungsrate von 25 Prozent.

Unterdessen wachsen die Zweifel, wie stark das gängigste Antivirenmittel Tamiflu den Ausbruch der Vogelseuche beim Menschen überhaupt bekämpfen kann. Nach einem Bericht der Zeitschrift Nature hat sich der gefährliche Virustyp bei einem vietnamesischen Mädchen re-sistent gegen Tamiflu gezeigt.

Für Kommissar Kyprianou ist die Impfstoffsituation in der EU "unbefriedigend". Polen kündigte eine allgemeine Stallpflicht für Geflügel an. Die EU-Gesundheitsminister beraten an diesem Donnerstag über ihr weiteres Vorgehen.

In Deutschland mahnte die Bundesregierung erneut zur Besonnenheit. Man nehme die Entwicklung ernst, Panik und Hysterie seien aber unangebracht, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums.

Bayern: Nationale Stallpflicht für Geflügel

Verbraucher- und Gesundheitsministerium wiesen zudem Forderungen des bayerischen Umweltministers Werner Schnappauf (CSU) nach einer bundesweiten Stallpflicht für Geflügel und einer Ausweitung der Impfstoffproduktion zurück.

Schnappauf hatte erklärt, er werde sich auf einer Konferenz der Tierseuchenexperten am Dienstag in Berlin für eine nationale Stallpflicht einsetzen. "Der Erreger ist nicht mehr ante portas", sagte der Minister. Deshalb solle Geflügel bis zum 15. Dezember in Ställen gehalten werden. "Bis dahin sind die Zugvögel durch", erklärte Schnappauf. Wenn er die anderen Bundesländer nicht überzeugen könne, werde er zumindest im Freistaat die Stallpflicht durchsetzen, sagte der Minister.

Das Verbraucherschutzministerium hält diese Maßnahme angesichts der Gefahrenlage dagegen nicht für erforderlich. Derzeit sei es an den Ländern, zu handeln. Diese seien aufgefordert worden, Risikogebiete zu identifizieren. Dazu zählen Regionen, in denen Vogelrastplätze und Feuchtgebiete liegen und in denen es Kontakt zwischen Wildvögeln und Hausgeflügel geben kann.

Lediglich in diesen Gebieten müssten Tiere im Stall gehalten oder durch Zäune und Netze abgeschottet werden. Die größte Gefahr gehe aber von illegal eingeführten Vögeln aus. Die Bundesregierung habe den Veterinärbehörden daher angeboten, sie bei den Kontrollen des Reise- und Warenverkehrs zu unterstützen.

Reisende sollten kein Geflügelfleisch in aisen und Türkei essen

Das Bundesgesundheitsministerium warnte Reisende davor, in Asien, der Türkei und Rumänien Geflügelmärkte zu besuchen oder Geflügelfleisch zu essen. Forderungen nach einem Ausbau der Impfstoffproduktion wies das Ministerium dagegen zurück.

Diese vermengten die Gefahr einer durch Vogelgrippe ausgelösten Pandemie mit der durch die normale Wintergrippe. Derzeit verfügbare Impfstoffe helfen nur gegen die bekannte Grippe. Von diesen Mitteln seien genügend vorhanden.

Das Ministerium erteilte zudem den Forderungen Schnappaufs nach einer nationalen Impfstrategie eine Absage. Im Katastrophenfall seien die Länder zuständig. In den Föderalismusverhandlungen über die Zuständigkeiten von Bund und Ländern habe der Bund vorgeschlagen, den Schutz vor globalen Infektionskrankheiten dem Bund zu überlassen. Dies hätten die Länder verhindert. Ohnehin tue der Bund nun schon mehr als er müsse.

© SZ vom 17.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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