Vogelgrippe:Killer im Anflug

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Zugvögel haben das Virus nach Kasachstan gebracht und könnten es auch nach Deutschland tragen - einen Impfstoff gegen die Vogelgrippe gibt es noch nicht.

Tina Baier

Herbert Schmitz hat als Virologe seit vielen Jahren mit der Vogelgrippe zu tun. Trotz seiner Erfahrung war er geschockt, als er neulich einen Film über das Wüten des Erregers auf einer Truthahnfarm irgendwo in Asien sah.

"Ein Tier nach dem anderen kippte einfach um", sagt er. "Die Hälfte der Puten lag bereits auf dem Boden, schnappte nach Luft und gab krächzende Geräusche von sich. Die Tiere starben so schnell, dass der Farmer mit der Entsorgung nicht nachkam." Nach drei Tagen waren alle Puten tot.

Diese Aggressivität des Vogelgrippevirus H5N1 ist es, die Influenza-Experten Sorgen macht. Sie halten es für ziemlich wahrscheinlich, dass der mit menschlichen Grippeviren verwandte Erreger eines Tages in der Lage sein wird, Menschen zu befallen als seien es Puten oder Hühner. Noch ist das Virus nicht so weit.

Seit die Vogelgrippe zur Jahreswende 2003/2004 in Thailand und Vietnam ausbrach, infizierten sich zwar 109 Menschen mit dem Erreger, 55 von ihnen starben. "Doch das waren alles Personen, die engen Kontakt mit infiziertem Geflügel hatten", sagt Schmitz. Vietnamesische Bauern, die kranke Hühner geschlachtet haben, Kinder in Hongkong, die in Vogelkot spielten.

Alle Opfer haben den Erreger in extrem hoher Konzentration abbekommen. Bei einer Übertragung von Mensch zu Mensch reiche die Virendosis dagegen nicht aus, um eine ernsthafte Erkrankung hervorzurufen, sagt Schmitz. Die Symptome beschränkten sich in den meisten Fällen auf eine mehr oder weniger harmlose Bindehautentzündung.

Das liegt vermutlich daran, dass H5N1 derzeit noch eine Oberflächenstruktur hat, mit der es sich schwer tut, in menschliche Zellen einzudringen. Was sich allerdings schnell ändern kann, wenn der Erreger Kontakt mit menschlichen Grippeviren bekommt; etwa mit H3N2, das im Winter auch in Deutschland grassierte.

Furcht vor dem "Supervirus"

Ein "Supervirus", das so aggressiv ist wie H5N1 und so ansteckend wie H3N2, könnte entstehen, wenn sich ein Mensch mit beiden Erregern gleichzeitig infiziert. Im Körper eines solchen Opfers können die Viren ihre Einzelbestandteile frei miteinander kombinieren. So entstehen neue Virustypen mit Eigenschaften beider Erreger.

Dass ein Supervirus in Deutschland entsteht, ist zurzeit ausgeschlossen, denn noch ist H5N1 nicht bis nach Europa vorgedrungen. Doch es ist von seinem Ursprungsort Hongkong schon ein beträchtliches Stück nach Westen vorgerückt. Im Juli verendeten Tausende Wildgänse auf der Vogelinsel im zentralchinesischen Qinghai-See; Anfang des Monats meldete die russische Region Nowosibirsk ein Massensterben von Hühnern, Enten und Wildgänsen, wenig später erreichte das Virus die noch weiter westlich gelegene Stadt Omsk. Auch die Republik Kasachstan ist betroffen.

Erschreckt hat Grippe-Forscher vor allem die Erkrankung der Wildgänse. Erstens hatte man bis dahin gedacht, dass wilde Wasservögel, von denen ursprünglich alle Grippeviren stammen, immun gegen H5N1 sind.

Eine Analyse des Erregers von der Vogelinsel ergab denn auch, dass es sich um eine besonders aggressive Variante handelt: Hühner, die mit diesem Virus infiziert wurden, starben innerhalb von 20 Stunden, sieben von acht Mäusen waren nach 72 Stunden tot. Zweitens treffen sich auf der Vogelinsel Zugvögel aus verschiedenen Regionen, um dort zu brüten. Im Herbst werden sie in ihre Winterquartiere aufbrechen und mit ihnen möglicherweise das Virus.

Theoretisch könnte H5N1 auf diese Weise auch nach Deutschland gelangen. "Zwar bewegen sich Zugvögel meist entlang einer Nord- Süd-Achse", sagt Ulrich Köppen von der Beringungszentrale Hiddensee in Mecklenburg-Vorpommern. Doch Funde von beringten Vögeln hätten gezeigt, dass es einzelne Reiher-, Krick- und Stockenten gibt, die den Weg aus den Vogelgrippe-Gebieten in Russland bis nach Deutschland zurücklegen.

Vor allem Wasservögel kommen als Virentransporter in Betracht. Denn H5N1 wird durch Kot übertragen, der sich im Wasser überall verteilt.

Nicht auszuschließen ist zudem, dass sich das Virus etappenweise bis nach Europa durchschlägt: über Rastplätze wie dem Wolga- und dem Donaudelta, an denen sich Zugvögel aus verschiedenen Regionen treffen. "Vögel, die bei uns überwintern, könnten dort möglicherweise in Kontakt mit infizierten Tieren kommen", sagt Köppen. Doch das käme sicher nur in Einzelfällen vor.

Leider genügt aber wahrscheinlich schon ein solcher Einzelfall, um das Virus einzuschleppen: Auch der Ausbruch auf der Vogelinsel in China ging wahrscheinlich von einem einzigen infizierten Tier aus.

© SZ vom 12.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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