Verwechslungsfall Dennis:Fehlgriff im Dunkeln

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Sieben Jahre lang hat Ute Hönscheid für die Wahrheit über den Tod ihres Sohnes Dennis gekämpft. Die Ursache für das Sterben des Dreijährigen war die Folge eines allzu banalen Fehlers.

Christina Berndt

Für ihren Sohn konnte Ute Hönscheid nichts mehr tun. Aber sein viel zu früher Tod sollte wenigstens nicht umsonst gewesen sein. Deshalb hat Hönscheid jahrelang gegen das Universitätsklinikum in Frankfurt am Main prozessiert - es war ein Krimi mit verschwundenen Akten, eingeschüchterten Zeugen und einer befangenen Richterin. Schließlich erkannte das Gericht an, dass Dennis infolge eines Behandlungsfehlers gestorben war. Aber das war nicht Ute Hönscheids wichtigster Sieg.

Die Frau des früheren Surfweltmeisters Jürgen Hönscheid, die noch drei Töchter zwischen 15 und 27 Jahren hat, hat ein Buch über ihren Kampf um die Wahrheit geschrieben. Und als ihren größten Erfolg empfindet sie es, dass "Drei Kinder und ein Engel" (Pendo-Verlag) nun in der Bibliothek des Frankfurter Klinikums steht, wo das Unglück 1997 seinen Lauf nahm. Da war Dennis gerade drei Jahre alt.

"Menschen machen Fehler"

Sein Tod war die Folge eines allzu banalen Fehlers. Eine Krankenschwester hatte im Dunkeln zwei bereitgelegte Infusionen verwechselt. So ließ sie statt eines Antibiotikums Kalium in die Vene des Jungen laufen, der sich gerade von einem Hirntumor erholte. Das Kalium brachte Dennis' Herz zum Stehen - eine Dreiviertelstunde lang wurde sein Gehirn nicht mit Sauerstoff versorgt. Danach wachte er nie mehr richtig auf, wurde von Krämpfen geschüttelt und starb schließlich nach qualvollen Monaten zu Hause auf Sylt.

"Menschen machen Fehler", sagt Ute Hönscheid heute tapfer. "Aber wenn man Fehler macht, muss man sie zugeben und nicht vertuschen." Eben das aber hat die Frankfurter Klinik getan. Für die Eltern unfassbar, verschwanden die Protokolle der Unglücksnacht spurlos; Ärzte versuchten den Hönscheids weiszumachen, dass der Zustand ihres Jüngsten auf seinen Tumor zurückzuführen war und nicht auf die falsche Infusion.

Dabei hatte sich Dennis von der erfolgreichen Krebsoperation bereits erholt, als die Verwechslung geschah. "Er konnte schon wieder Kinderpuzzles lösen und Kassetten mit dem Rekorder abhören", erinnern sich seine Eltern. Nach der falschen Infusion aber vegetierte Dennis nur noch dahin. Es war Eingebung, dass sich der Vater Dennis" anfängliche Fortschritte schriftlich von einzelnen Schwestern, Ärzten und Physiotherapeuten bestätigen ließ. Ein Glück, denn im Laufe des Prozesses knickten viele Zeugen ein.

Sieben Jahre lang haben Ute und Jürgen Hönscheid um die Wahrheit gekämpft. Sie wollte "anderen Menschen ein ähnliches Schicksal ersparen", sagt die Mutter mit heller, lebendiger Stimme, ohne einen Anflug von Verbitterung. Bis heute setzt sich Ute Hönscheid für eine bessere Fehlerkultur an deutschen Kliniken ein - für ein anonymes Fehlermelderegister etwa, wie es andere Länder längst etabliert haben. Zumindest in Frankfurt schien der fatale Zwischenfall nämlich keinen Sinneswandel ausgelöst zu haben.

So mussten die Hönscheids nach der falschen Infusion noch zwei weitere schwer wiegende Fehler bei der Behandlung ihres im Sterben liegenden Kindes feststellen: Einmal wurde Dennis ein Tropf angehängt, der für ein anderes Kind bestimmt war. Ein anderes Mal sollte eine belastende Chemotherapie statt vier Stunden lang 16 Stunden in den Arm des geschwächten Jungen getropft werden.

"Der Schwester hatten wir längst vergeben"

Besonders erschüttert hat die Hönscheids der respektlose, zum Teil hämische Ton, dem sie in der Klinik ausgesetzt waren. "Es war ohnehin eine grausame Zeit, die durch das unsensible Verhalten vieler Ärzte und Schwestern noch schlimmer wurde", sagt die Mutter. So raunzte ein Arzt sie an: "Was wollen Sie denn, Ihr Sohn hatte doch sowieso gute Chancen am Tumor zu sterben."

Wäre es nach den Hönscheids gegangen, dann wäre es nicht die Krankenschwester gewesen, die schließlich eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung erhielt. "Der Schwester hatten wir längst vergeben", sagt Ute Hönscheid. Sie hatte ihren Fehler noch in der Unglücksnacht eingeräumt.

Die Hönscheids hätten lieber die Klinikleitung oder den zuständigen Professor auf der Anklagebank gesehen, die die Folgen des Fehlers immer bestritten. "Nur wenn wir es schaffen, dass jeder zu seiner Fehlbarkeit steht, wird sich wirklich etwas ändern", sagt Ute Hönscheid. Der Klinik hat sie auf großzügige Art Mut gemacht: 40.000 Euro Schmerzensgeld bekamen die Hönscheids nach dem Prozess. Aber um Geld war es ihnen ohnehin nie gegangen. Sie spendeten die gesamte Summe - die Hälfte davon an die Frankfurter Uniklinik.

© SZ vom 10. Mai 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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