UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung:Zündeln mit dem Lebensraum

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Das Aufheizen der Erde in den kommenden Jahrzehnten lässt sich nicht stoppen - doch für eine vernünftige Klimaschutzpolitik ist es nicht zu spät.

Martin Urban

(SZ vom 20.08.2002) - Wer auf einem Elektroherd eine Suppe aufwärmt, muss frühzeitig die Kochplatte ausschalten; andernfalls kocht die Suppe über. Die Nachwärme heizt nämlich weiter, auch wenn die Herdplatte bereits ausgeschaltet ist.

Der Weltgipfel von Rio proklamierte 1992 ein globales Leitbild nachhaltiger Entwicklung: die Einheit von sozialer Verantwortung, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und dem Schutz der natürlichen Umwelt. Zehn Jahre danach wird in Südafrika vom 26.August bis 4. September Bilanz gezogen. (Foto: Foto: E.Wolf, Collage: BuG/SZ)

Diese Hausfrauen-Weisheit müssen auch Klimaforscher beachten. Dann können sie ausrechnen, was passiert, wenn die globale Zusatzheizung der Erde durch fossile Energiequellen plötzlich ausgeschaltet würde.

Auch in diesem rein theoretischen Fall würde sich der Globus weiter aufheizen. US-Präsident George Bush schließt daraus, Klimaschutzpolitik sei sinnlos, weil ohnehin nichts mehr zu ändern sei. Das ist etwa so weise, wie den Herd nicht abzuschalten, weil die Suppe sowieso überkochen wird.

Während der vergangenen Monate haben verschiedene Forschergruppen ausgerechnet, wie stark sich die Erde in den kommenden 20 bis 30 Jahren erwärmen wird, und zwar wegen der Reaktionsträgheit der Ozeane unabhängig davon, ob und wie sich der Ausstoß klimarelevanter Abgase verändert.

Temperatur wird weiter steigen

Neuerdings können Klimaforscher nicht mehr nur die Bandbreite möglicher Veränderungen ausrechnen. Sie können zusätzlich angeben, wie wahrscheinlich die jeweiligen Änderungen sein werden.

Vor gut einem Jahr hatte das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das Uno-Gremium der weltweit angesehensten Klima-Experten, bis zum Ende des Jahrhunderts einen globalen Temperaturanstieg gegenüber anno 1990 um 1,4 bis 5,8 Grad Celsius prognostiziert.

Damals konnte man noch keine Aussagen darüber machen, wie wahrscheinlich jeweils der niedrigere und der höhere Wert ist. Mittlerweile kann man solche Aussagen machen, wenn man in Simulationsexperimenten unterschiedliche Konzentrationen von klimawirksamen Gasen in der Atmosphäre annimmt und jeweils mit der beobachteten Entwicklung des Weltklimas in den letzten hundert Jahren und darüber hinaus vergleicht.

Auf diese Weise hat ein Team um Thomas Stocker von der Universität Bern errechnet, dass die vom IPCC als Höchstwert angenommene Temperaturerhöhung von 5,8 Grad mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent noch überschritten wird. Der niedrigste Wert, eine Erhöhung um 1,4 Grad, aber wird nur mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent nicht erreicht.

Mit mehr als 90-prozentiger Sicherheit erwärmt sich nach Berechnungen der Gruppe um Stocker die Erde bis zum Ende der zwanziger Jahre um 0,5 bis 1,1 Grad Celsius gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 1990 bis 2000 - unabhängig davon, wie die Menschheit sich verhalten wird.

Energiewirtschaft zweifelt noch immer

Klimaforscher wie Hartmut Graßl, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg und langjähriger Exekutivdirektor des Weltklima-Forschungsprogramms der Vereinten Nationen, beklagen, dass die Energiewirtschaft immer noch öffentlich anzweifelt, dass der Mensch der Motor des Klimawandels ist.

Geowissenschaftler dienen der Energielobby hierbei als Kronzeugen. Sie verweisen darauf, dass zum Beispiel vor 225 Millionen Jahren der Gehalt an Kohlendioxid in der Atmosphäre vielfach höher lag als heute - gleichzeitig aber eine Eiszeit herrschte.

Dabei berücksichtigten sie freilich nicht, so Graßl, dass sich seit damals die Kontinente verschoben haben, die Sonnenstrahlungsintensität eine andere war und durch Vulkanismus bedingt auch die Zusammensetzung der Atmosphäre.

Ohnehin wollen die Klimaforscher nicht primär wissen, wie das Klima in geologischen Zeiträumen sein wird, sondern welche Folgen der Ausstoß klimawirksamer Gase in naher Zukunft haben werden.

Dabei gibt es durchaus noch unerklärte Zusammenhänge. Die Natur besitzt nämlich quasi ein Gedächtnis für Ereignisse wie zum Beispiel Temperaturextreme. Die Ozeane reagieren darauf träger als Erde und Luft. Es entstehen Fluktuationen.

Deutsche und israelische Wissenschaftler, darunter Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, haben jüngst festgestellt, dass die sieben weltweit maßgeblichen Klimamodelle die Fluktuationen nicht richtig wiedergeben.

Das heißt, sie überschätzen die langfristigen Folgen von Störungen wie die Anreicherung mit klimawirksamen Gasen in der Atmosphäre und überzeichnen deshalb die Trends der Entwicklung. Doch auch Schellnhuber bezweifelt nicht, dass die globale Erwärmung der Erde bereits begonnen hat.

Starker Regen heute häufiger

Aufzeichnungen der Meteorologen vom Deutschen Wetterdienst auf der Station Hohenpeißenberg in Oberbayern seit 1879 beweisen: Extrem heftige Regengüsse mit mehr als 30 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter nehmen zu. Sie sind heute fast doppelt so häufig wie vor 120 Jahren. Die Temperatur ist in diesem Zeitraum um 0,9 Grad Celsius angestiegen. Die Dekade von 1990 bis 2000 war auf der Nordhalbkugel der Erde die wärmste in den letzten tausend Jahren.

Der Gehalt an Kohlendioxid ist rund 500.000 Jahre lang nicht so hoch gewesen wie heute. Eine wärmere Atmosphäre aber nimmt mehr Wasserdampf auf als eine weniger aufgeheizte. Daher steht mehr Wasser für Niederschläge zur Verfügung. Der Kreislauf von Verdunstung, Kondensation und Niederschlag intensiviert sich.

Hitzewellen und sintflutartige Regenfälle

Mojib Latif, der die Forschungsgruppe Klimamodelle am Max-Planck-Institut für Meteorologie leitet, skizziert die Folgen: Im Mittelmeerraum müssen sich die Menschen an immer stärkere und anhaltende Hitzewellen gewöhnen, zugleich an sintflutartige Regenfälle.

In unseren Breiten nehmen die winterlichen Westwinde zu und bringen mehr Niederschläge, wobei sich, wie bereits zu beobachten, auch im Sommer Extremereignisse mit entsprechenden Hochwassergefahren häufen.

Tim Palmer und seine Kollegen vom Europäischen Zentrum für mittel- und langfristige Wettervorhersage in Reading, Großbritannien, erwarten häufiger extrem nasse Winter in Nordeuropa, sowie andererseits intensivere Regenfälle in Teilen Südasiens, wie Bangladesch, während der sommerlichen Monsunperioden.

Der Geobotaniker Gian-Reto Walther von der Universität Hannover hat zusammen mit Kollegen aus verschiedenen Kontinenten weitere Beobachtungen zusammengefasst: In unseren Breiten sind danach seit den 1960er-Jahren die frostfreien Phasen länger geworden. Die Zahl der frostfreien Tage hat um rund zehn Prozent zugenommen. Das heißt, auch die Vegetationsperiode verlängert sich - statistisch gesehen um acht bis 16 Tage.

Die Vegetationszonen verschieben sich einerseits nach Norden, andererseits steigt in den Alpen die Waldgrenze: Die Nullgradgrenze wandert pro Jahrzehnt um acht bis zehn Meter in die Höhe. Die Gebirgspflanzen kommen mit dem Tempo nicht mit. Die Jungpflanzen können nur um einiges langsamer größere Höhen besiedeln.

Überflutung im Himalaya

Die antarktischen Landökosysteme zeigen infolge dieser Entwicklung eine wachsende Artenvielfalt. Dagegen haben die artenreichsten Ökosysteme der Welt, die tropischen Korallenriffe, immer häufiger die Grenzen ihrer Anpassung an warmes Wasser erreicht oder gar überschritten.

Seit 1979 hat man nach Angaben der Geobotaniker um Gian-Reto Walther sechs Episoden mit massenhaftem Ausbleichen tropischer Riffe beobachtet. Vor vier Jahren sind schlagartig weltweit 16 Prozent der Korallenriffe abgestorben.

Gletscherschmelze in den Alpen und im Himalaja

Die Gletscher hingegen schmelzen nicht nur in den Alpen. Wissenschaftler der Umweltbehörde der Vereinten Nationen (Unep) haben vor wenigen Monaten berichtet, dass seit Anfang der siebziger Jahre die Temperatur im Himalaja um durchschnittlich ein Grad zugenommen hat.

Von den größeren Gletscherseen in Nepal und Bhutan könnten deshalb in den nächsten Jahren gewaltige Überflutungen ausgehen. Forscher um Anthony Arendt von der Universität von Alaska in Fairbanks haben ausgerechnet, dass allein die schmelzenden Gletscher Alaskas den Pegel der Weltmeere um jährlich 0,27 Millimeter ansteigen lassen.

US-Forscher weisen in jüngster Zeit darauf hin, dass die globale Erwärmung die Ausbreitung tropischer Krankheitserreger in gemäßigte Breiten fördern kann - mit unliebsamen Konsequenzen für Menschen, Tiere und Pflanzen.

US-Regierung bestätigt den Klimawandel

Die Tatsache, dass selbst die Regierung in Washington jetzt öffentlich den Klimawandel bestätigt, wertet Schellnhuber auch als Bestätigung dafür, dass die europäischen Wissenschaftler mit ihren Einschätzungen richtig liegen.

So wie Graßl betont auch er, dass es für eine vernünftige Klimaschutzpolitik - anders als die US-Regierung öffentlich erklärt - keineswegs zu spät sei. Zwar könne man die globale Erwärmung in den nächsten Jahrzehnten nicht verhindern, wohl aber den Anstieg insgesamt auf "etwa anderthalb bis zwei Grad Celsius" beschränken.

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