Transplantation:Verschwundene Akten

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Es ist noch nicht lange her, da trennten sich Kliniken, in denen Organspendeskandale aufgedeckt wurden, von den verantwortlichen Ärzten. Neuerdings verteidigen sich betroffene Krankenhäuser, indem sie die Prüfer angreifen.

Von Christina Berndt

Als Martin Siess Ende 2011 zum ersten Mal hörte, dass Patienten am Universitätsklinikum Göttingen offenbar bevorzugt Spenderlebern verschafft worden waren, zog er sofort Konsequenzen: Mit dem Chirurgen, der für das Lebertransplantationsprogramm zuständig war, machte Siess als Vorstand Krankenversorgung einen Auflösungsvertrag. Die Akten aller fraglichen Patienten wurden akribisch nach Regelverstößen durchforstet. Ähnlich ging man in Leipzig und Regensburg vor. An allen Universitätskliniken, die 2012 vom Transplantationsskandal erfasst wurden - außer am Münchner Klinikum rechts der Isar, wo man im Chaos versank -, bekundete man Reue, klärte auf und trennte sich von den verantwortlichen Ärzten.

Diese Zeiten sind vorbei. Mittlerweile stemmen sich Kliniken gegen die Prüfungs- und Überwachungskommission (PÜK), die für die Kontrolle des Transplantationswesens zuständig ist. Jüngstes Beispiel ist das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), dem die PÜK Mitte Oktober schwere Unregelmäßigkeiten bei der Transplantation von Lungen vorgeworfen hat. Der Bericht der Prüfer über die Zustände in Hamburg fiel desaströs aus. Bei 14 von 25 Transplantationen aus den Jahren 2010 bis 2012 habe es Unregelmäßigkeiten gegeben. Patienten seien auf dem Papier so krank gemacht worden, dass sie längst tot sein müssten, hieß es. Dadurch seien sie auf der Warteliste für Spenderorgane nach oben gerutscht. Zugehörige Krankenakten seien verschwunden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht nur wegen möglicher Manipulationen, sondern auch wegen Urkundenunterdrückung.

Doch fühlt man sich in Hamburg ungerecht behandelt. "Der Ton des Berichts trifft uns heftig", sagt der Ärztliche Direktor des UKE, Burkhard Göke. Er stellt in Frage, dass an seinem Haus Akten verschwunden seien, spricht lediglich von "Schnittstellenproblemen" zwischen elektronischen Akten und Papier-Akten. Und er vermutet laut Medienberichten sogar persönliche Motive hinter den Vorwürfen. Der Lungenspezialist Jens Gottlieb von der Medizinischen Hochschule Hannover sei einer der Prüfer gewesen - also ein Mann von der direkten Konkurrenz. Dass Hamburg im Bereich Lungentransplantation wachsen wolle, so Göke, "haben andere vielleicht als Bedrohung empfunden".

Diese Botschaften ärgern Torsten Verrel. Der Professor für Kriminologie an der Universität Bonn hat als Mitglied der PÜK die Prüfungen am UKE und der angegliederten Lungenklinik Großhansdorf geleitet. "Dass das jetzt auf so eine persönliche Schiene kommt, gefällt mir gar nicht", sagt er. Es sei das gute Recht der Zentren, sich gegen Vorwürfe zur Wehr zu setzen. Doch an der Elbe, so erscheint es Verrel, werde vor allem mit Nebelkerzen geworfen: "An einer Diskussion über unsere Hauptkritikpunkte scheint da keiner wirklich interessiert zu sein", sagt er. Der UKE-Direktor habe "zum Verschwinden der Akten bisher wenig Erhellendes beigetragen. Und er hat auch die außergewöhnlichen Sauerstoffsättigungswerte im Blut der Patienten nicht erklären können." Wenn solche Werte aber über einen längeren Zeitraum gemessen worden seien, dann sei dies "mit dem Leben der Patienten nicht vereinbar", so Verrel. "Deshalb reichen uns auch keine Einzelwerte, wir müssen die gesamten Behandlungsverläufe sehen." Doch obwohl die Akten gerade bei schwerstkranken Patienten voll sein müssten mit Medikamentenverordnungen, Behandlungs- und Pflegemaßnahmen, hätten die vorgelegten Daten ausgesprochen wenig Informationen enthalten; und die Originale seien zum großen Teil nicht auffindbar gewesen.

Kann das Zufall sein? "Das konnte uns bisher keiner glaubhaft darlegen", sagt Verrel. "Dass mal eine einzelne Akte verschwindet, mal ein Dokument, das kann passieren. Aber der Verlust der gesamten Dokumentation von einer Reihe von Patienten, das ist schon extrem erklärungsbedürftig." Als Erklärung hat UKE-Direktor Göke bislang vor allem die Schnittstellenprobleme bei der Umstellung auf elektronische Akten angeboten. Das geht laut Verrel "vollkommen an der Sache vorbei". In Großhansdorf seien seinerzeit ausschließlich Papierakten geführt worden, sagt er, "und diese Akten sind einfach weg". Für ihn ist deshalb "der Verdacht begründet", dass hier systematische Manipulationen vertuscht werden sollten.

Am meisten aber ärgern den Kriminologen die persönlichen Angriffe aus Hamburg. "Früher hieß es immer, es werde zu schwach geprüft. Jetzt lautet der Vorwurf, dass Sachverständige aus Konkurrenzdenken nicht objektiv prüfen. Ich finde das mehr als verwunderlich", sagt er. Der Prüfer aus Hannover sei bei einer von drei Prüfungen in Hamburg dabei gewesen. "Er war einer von vier Ärzten. Die Behauptung, dass ein Sachverständiger alles in eine Richtung manipulieren würde, erscheint mir abwegig."

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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