Transplantation:Das Gesicht der anderen

Lesezeit: 3 min

Der Chirurgin Maria Siemionow gelingt in den USA eine wagemutige Transplantation mit Haut, Knochen und Muskeln einer Toten.

Christina Berndt

Wenn Kinder ihr begegneten, schrieen sie und rannten weg. So furchterregend wirkte die Frau auf sie. Wo einmal das Gesicht war, war nun Schrecken. Nur Nase und Kinn waren übrig von dem, was einem Menschen am meisten Persönlichkeit verleiht, ihn hübsch oder hässlich macht - menschlich eben. Die Frau hatte keine Nase mehr, nicht einmal einen Gaumen. Sie konnte nicht normal essen, und atmen musste sie durch ein Loch in ihrer Luftröhre.

Die aus Polen stammende Chirurgin Maria Siemionow beschäftigt sich seit zwanzigJahren an der Cleveland Clinic in Ohio mit den Möglichkeiten, entstellten Patienten das Gesicht einer Leiche zu transplantieren. (Foto: Foto: dpa)

"Das ist die ideale Kandidatin", dachte sich Maria Siemionow. Die aus Polen stammende Chirurgin beschäftigt sich seit zwanzigJahren an der Cleveland Clinic in Ohio mit den Möglichkeiten, entstellten Patienten das Gesicht einer Leiche zu transplantieren. 2004 schon hatte Siemionow grünes Licht von der Ethikkommission dafür bekommen. Doch sie zögerte lange, bis sie sich schließlich für die Frau entschied, deren Namen, Alter und Schicksal sie auf Wunsch der Patientin nicht öffentlich bekannt gibt. Sie wollte sicher sein, dass ihre erste Patientin den gewagten Eingriff körperlich wie seelisch gut überstehen würde. So nahmen ihr französische Chirurgen in der Zwischenzeit den Triumph, die erste Gesichtstransplantation der Welt durchgeführt zu haben.

80 Prozent ihres Gesichts stammen jetzt von der Toten

Vor zwei Wochen aber war es endlich soweit. In einer 22-stündigen Operation wurde der Amerikanerin so viel von dem Gesicht einer Leiche verpflanzt wie nie zuvor einem Patienten. 80 Prozent ihres Gesichts stammen jetzt von der Toten, nur die Stirn, die Augendeckel, die Unterlippe und das Kinn sind noch ihre eigenen. Bei dem Eingriff wurden neben der Haut fast alle Knochen, Muskeln, Blutgefäße, Nerven und auch einige Zähne ersetzt. Wie die Tote wird die unbekannte Amerikanerin nun trotzdem nicht aussehen: Zu sehr hängt das Erscheinungsbild eines menschlichen Antlitzes davon ab, welche Form ihm Knochen, Muskeln und Bindegewebe verleihen. Deshalb hat die Patientin vor dem Eingriff auch kein Foto der Spenderin zu sehen bekommen. Sie soll erst gar nicht glauben, dass sie nun so aussieht wie die Tote.

Der aufsehenerregende Eingriff war in vielfältiger Hinsicht ein Wagnis. Die Patientin hat ihn zunächst gut überstanden, wie ihre Ärzte sagen, doch weiterhin droht jeden Tag die Abstoßung der fremden Haut; denn diese besitzt als Barriere zur Außenwelt ein besonders aggressives Immunsystem. Die Patientin muss daher ein Leben lang Medikamente nehmen, um das Immunsystem zu unterdrücken, und die damit verbundenen Risiken bis hin zu einer Krebserkrankung in Kauf nehmen.

Auch psychisch ist eine Gesichtsverpflanzung eine besondere Herausforderung. Die Empfängerin sei eingehend psychologisch getestet worden, sagte Eric Kodish von der Bioethik-Abteilung der Cleveland Clinic. Vielen Patienten fällt es schon schwer, die Tatsache zu verarbeiten, die Niere oder Leber eines Toten in sich zu tragen. Das Gesicht aber hat für die meisten Menschen eine ungleich größere Bedeutung.

Gerade deshalb hält Maria Siemionow ihre Tat jedoch für so bedeutungsvoll: "Menschen mit einem entstellten Gesicht haben es besonders schwer. Daher hoffen wir, dass wir eines Tages Zehntausenden Betroffenen helfen können, die jetzt noch still leiden", sagte sie während einer Pressekonferenz am Mittwoch in Ohio. "Man braucht ein Gesicht, um der Welt ins Gesicht zu sehen."

"Dieses Gesicht ist meins"

Die Patientin ist offenbar zufrieden. Sie habe nach dem Aufwachen aus der Narkose sofort ihre Hände zum Gesicht geführt und glücklich festgestellt, dass sie nun eine Nase und einen Kiefer habe, sagte Siemionow. Auch die Familie zeigte sich zufrieden: "Wir hätten nie gedacht, dass unsere Schwester je wieder die Chance auf ein normales Leben haben würde", erklärten die Angehörigen. "Aber dank der wunderbaren Person, die ihre Organe spendete, um einem anderen Menschen zu helfen, hat sie eine neue Chance auf ein normales Leben."

Die Hoffnung, dass alles gut geht, wird durch die bisherigen Erfahrungen gestützt. Die Operation in den USA war die weltweit vierte Gesichtstransplantation. Der ersten Patientin, einer Französin, war im Jahr 2005 zu rund 60 Prozent ein neues Gesicht verpflanzt worden, nachdem ihr der eigene Labrador Nasen-, Mund- und Kinnpartie zerfleischt hatte. Im Jahr 2006 wurde dann ein Chinese operiert, den ein Bär angefallen hatte, und 2007 ein Franzose, dem ein großer Gesichtstumor entfernt worden war. Die erste Patientin zog erst vor kurzem eine positive Bilanz des Eingriffs: "Dieses Gesicht ist meins", sagte sie im Oktober.

In Ohio glauben die Chirurgen, dass ihre Patientin eines Tages wieder allein essen und ganz normal atmen, sprechen und riechen kann. Sie werde sogar eine Mimik haben, meinen die Ärzte. Innerhalb der nächsten sechs Monate werde zunächst Millimeter für Millimeter Gefühl in das Gesicht einwachsen; speziell ausgebildete Physiotherapeuten werden täglich mit ihr üben, die Muskeln ihres neuen Gesichts zu trainieren. Nach einem Jahr, schätzen die Ärzte, werde die Frau langsam lernen, wieder zu lachen.

© SZ vom 19.12.2008/reb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: