Tierschutz:Das Ei im Kernspin

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Mehr als 45 Millionen männliche Küken werden in Deutschland jedes Jahr nach dem Schlüpfen durch Kohlenstoffdioxidgas erstickt. Eine neue Technik soll das ändern.

Von Stephanie Göing

Mehr als 45 Millionen männliche Küken werden in Deutschland jedes Jahr direkt nach dem Schlüpfen durch Kohlenstoffdioxidgas erstickt. Sie haben keinen wirtschaftlichen Nutzen, da sie keine Eier legen, aber auch nicht genug Fleisch ansetzen. Früher wurden die Tiere geschreddert, heute werden sie vergast. Die Regierung will laut Koalitionsvertrag das maschinelle Massentöten "bis zur Mitte der Legislaturperiode beenden" - nur wie? Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert Methoden, die das Geschlecht der Hühner im Ei, also bereits vor dem Schlüpfen, bestimmen. Diese stehen jedoch bislang vor einer Schwierigkeit, die eine breite Nutzung in der Praxis hinauszögert: Sie kommen nicht ohne eine Öffnung des Eis oder zumindest der Eierschale aus. Dadurch können Keime hineingelangen, und die Entwicklung des Embryos kann gestört werden.

Nun haben Forscher aus Sachsen und Bayern Methoden entwickelt, nichtinvasiv, das heißt, ohne das Ei zu öffnen, das Geschlecht des Huhns zu bestimmen. Ein Team der TU München um Benjamin Schusser nutzt eine Technik aus der Medizin: Sie verwenden Magnetresonanztomografie, auch bekannt als Kernspin, um das Geschlecht im Ei zu erkennen, ohne dieses zu verletzen oder die Entwicklung zu stören. Da sich das Blut männlicher und weiblicher Embryos in einigen Bestandteilen unterscheidet, dient dieses Bildsignal als Kennzeichen. Künstliche Intelligenz kann dann mittels "Deep Learning" bei der Auswertung helfen. Noch sei kein Prototyp für die Praxis fertig, da die Genauigkeit des Verfahrens noch etwas verbessert werden müsse. Doch die Forscher hoffen, in etwa einem Jahr Tests in Brutbetrieben starten zu können.

"Wir planen ein Gerät, das etwa 20 Millionen Eier pro Jahr untersucht", sagt Schusser. Dieses würde in gut zwei Minuten 150 Eier gleichzeitig messen, für maximal einen Cent pro Ei, wenn man die Kosten für den Kernspintomografen und anfallende Verbrauchsmittel umrechnet.

Seit Jahren arbeitet auch eine Forschungsgruppe der TU Dresden und der Universität Leipzig an einer Methodik zur nichtinvasiven Geschlechtsbestimmung. Mithilfe von Spektroskopie ist das Team um Gerald Steiner in der Lage, innerhalb weniger Sekunden das Geschlecht des winzigen Embryos festzustellen. Dafür wird das komplette Ei beleuchtet und das von den Blutgefäßen reflektierte und transmittierte Licht spektroskopisch analysiert. Einige komplizierte mathematische Verfahren später lässt sich über das Blut-Spektrum das Geschlecht benennen. Bislang gelang dies nur nach Schalenöffnung - eines der Verfahren, die vom BMEL gefördert werden. Vollautomatisiert können mehrere Eier parallel geöffnet und dann gescannt werden. Die Methode wird gerade schon von der Industrie zur Praxisreife gebracht und soll im Herbst einsatzfähig sein. Gerald Steiner bezweifelt jedoch, dass es so schnell geht.

Sein Team hat inzwischen die Weiterentwicklung der Technik vorgestellt, die nach dem gleichen Prinzip nun auch bei intakter Schale funktioniert. Es ist eine schnelle Methode - und eine kostengünstige zudem, denn einfache Spektrometer genügen. Sie kosten nur wenige Tausend Euro, benötigen keinerlei Verbrauchsmittel. Diese Entwicklung sei schon ein riesiger Fortschritt, so Steiner: "Vor fünf Jahren war es noch gar nicht denkbar, das Geschlecht direkt im Ei zu bestimmen." Für seine neue nichtinvasive Technik erhält er allerdings keine Förderung vom BMEL, weshalb er im Moment noch nicht einschätzen kann, ob die Anwendung im großen Maßstab realistisch wäre. Denn Eierschalen sind sehr variabel, und im Labor können nur wenige Eier untersucht werden. "Da ist noch ein bisschen was zu tun."

Etwa 100 Millionen Eier werden pro Jahr in Deutschland bebrütet und müssten untersucht werden

Die Methoden zur Früherkennung funktionieren alle bereits vor dem siebten Entwicklungstag des Embryos und damit bevor von Schmerzempfinden ausgegangen werden kann. Eier, in denen sich männliche Küken entwickeln, könnten somit sofort aussortiert und zum Beispiel als Futtermittel verwendet werden. Die Betriebe würden also sogar Geld und Zeit damit sparen, das qualvolle Kükentöten endlich zu beenden.

Etwa 100 Millionen Eier werden pro Jahr in Deutschland bebrütet und müssten demnach untersucht werden. Es ist ein sehr lohnendes Geschäft für denjenigen, dessen Methode sich in der Industrie durchsetzt. Das BMEL fördert aktuell nur Unternehmen mit den bisherigen Verfahren, bei denen stets ein Loch in die Schale gefräst wird. Grundsätzlich stehe es zwar nach eigener Aussage "allen Ansätzen offen gegenüber, mit denen der Ausstieg aus dem Kükentöten beschleunigt werden kann". Von den geförderten Methoden sei aber eine Einführung in die Praxis am schnellsten zu erwarten. Auch die Geflügelwirtschaft spricht sich nicht explizit für eine bestimmte Methode aus, bekenne sich aber allgemein "zum Ausstieg aus der Praxis des Tötens männlicher Eintagsküken, sobald eine praxistaugliche Alternative vorliegt", so ein Pressesprecher des deutschen Geflügelbunds.

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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