Testflugzeug:Archaeopteryx der Raumfahrt

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Als die Nasa vor 60 Jahren gegründet wurde, hatte ein legendäres Testflugzeug bereits das All im Visier: Die X-15 war wie ein Übergangswesen zwischen Flugzeug und Rakete. Einer der Piloten erlangte besonderen Ruhm.

Von Patrick Illinger

Noch Flugzeug oder schon Rakete? Landen konnte die X-15 jedenfalls nur im Gleitflug – und auf eigenem Fahrwerk, das, um Gewicht zu sparen, am Heck nur aus Kufen bestand. (Foto: NASA)

Sechzig Jahre Nasa, herzlichen Glückwunsch zunächst. Das Akronym dürfte ja eines der bekanntesten der Welt sein. Viele Menschen haben die Erfolge der US-Weltraumbehörde miterlebt, 1969 die erste Mondlandung, 1981 den ersten Spaceshuttleflug oder die diversen Roboter auf dem Mars. Doch wer nachrechnet, mag sich wundern: 60 Jahre? Kann es sein, dass die USA erst 1958 begannen, sich für den Weltraum zu interessieren? Ein Jahr nach dem Sputnik-Schock, dem ersten Piepsen eines sowjetischen Satelliten im Orbit?

Natürlich nicht. Die Gründung der Nasa unter Präsident Eisenhower war vor allem ein Verwaltungsakt. Die Vorgängerorganisation hieß Naca (National Advisory Committee for Aeronautics) und existierte seit 1915. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es Forschungsprogramme der Naca, die das erste Überschallflugzeug hervorbrachten. Die Nasa, bei deren Gründung alle 8000 Naca-Mitarbeiter übernommen wurden, sollte die Luft- und (vor allem) Raumfahrt von einer eher militärisch orientierten zu einer nationalen Angelegenheit erheben. Daher die Gründung der zivilen Bundesbehörde, der National Aeronautics and Space Administration, kurz Nasa.

Mit diesem Schritt wurde zudem der Weltraum noch stärker als zuvor in den Focus genommen, 1961 startete das Mercury-Programm, im selben Jahr kündigte John F. Kennedy die Mondlandung an. Doch war der Schritt von der Luft- zur Raumfahrt, vom Flugzeug zur Rakete bereits zuvor begonnen worden. Der Übergang war gleitender als oft angenommen wird. Am besten illustriert diese Entwicklung ein bizarres, zur Legende gewordenes Fluggerät namens X-15. Zu Naca-Zeiten mit dem Ziel geboren, die 1947 erstmals erreichte Schallgeschwindigkeit noch deutlich zu erhöhen, blieb die X-15 bis weit ins Raketenzeitalter hinein das wichtigste Experimentiergerät für Raumfahrer. Es war der Archaeopteryx der Raumfahrt, kein richtiges Flugzeug mehr und noch nicht ganz Rakete. Bis heute hält die X-15 die Rekorde für den bisher schnellsten wie auch den höchsten Flug. Mach 6,7, also fast siebenfache Schallgeschwindigkeit oder 7200 km/h wurde damit im Jahr 1967 erreicht, ebenso wie eine Flughöhe von fast 108 Kilometer, also über die offizielle Grenze zum Weltraum hinaus. Einige der Testpiloten erhielten aus diesem Grund die offizielle Astronauten-Auszeichnung.

Die waghalsigen Testpiloten bekamen erstmals weltraumtaugliche Druckanzüge

Die X-15 konnte nicht aus eigener Kraft starten, sondern wurde am Flügel einer B -52 in 45 000 Fuß (mehr als 13 000 Meter) Höhe gebracht und ausgeklinkt. Erst dann ging die Post ab, das aber so richtig: Das Raketentriebwerk des Experimentalfliegers verbrannte die etwa 20 Tonnen Treibstoff in nur 80 bis maximal 120 Sekunden. Gelandet wurde dann ohne Sprit, im Gleitflug, so wie es später die Spaceshuttles taten. Viele weitere Entwicklungen, ohne die die spätere Raumfahrt nicht denkbar wäre, wurden mit der gut 15 Meter langen X-15 entwickelt: Die waghalsigen Testpiloten bekamen erstmals weltraumtaugliche Druckanzüge. Wegen der dünnen Luft in extremer Höhe wurde nicht nur mit Steuerflächen, also Klappen an Flügeln und Leitwerk gelenkt, sondern mit kleinen, seitwärts gerichteten Düsen. Um die bei mehreren 1000 Kilometer pro Stunde entstehende Luftreibungs-Hitze zu überdauern, musste für die Außenhaut des Rumpfes ein neuartiges Laminat aus Nickel und Chrom entwickelt werden. Es bekam den Namen Inconel X und blieb bis 650 Grad Celsius stabil. Man experimentierte später sogar mit einer Beschichtung, die während des Fluges verdampft und somit einen kühlenden Effekt hat. Bei einem dieser Versuche schlug sich jedoch der Dampf auf den Cockpitfenstern nieder. Der Pilot musste fast im Blindflug zur Erde zurückkehren. Immerhin wurde die Technik der abdampfenden Beschichtung später zum Standard für Raumkapseln, die aus dem Orbit wieder in die Erdatmosphäre eintreten.

Insgesamt wurden mit nur drei Exemplaren der X-15 zwischen 1958 und 1968 199 Testflüge unternommen. Als Testgelände diente die Umgebung der kalifornischen Edwards Air Force Base, auf der Jahre später auch die Spaceshuttles landeten. Aus diesen Flügen entstanden 765 wissenschaftliche Berichte, erklärt die Nasa bis heute stolz. Eine der Erkenntnisse war, dass die Herzfrequenz selbst der abgebrühtesten Testpiloten auf bis zu 185 Schläge pro Minute hochging, meist kurz bevor das Raketentriebwerk zündete. So manches an der X-15 ähnelte dem Design eines Hyperschallflugzeugs namens A9, an dem deutsche Ingenieure unter dem Naziregime in Peenemünde getüftelt hatten. Doch das ist nicht verwunderlich: Walter Dornberger, ehemals Generalmajor der Wehrmacht und Leiter des deutschen Raketenwaffen-Programms, war, so wie Wernher von Braun, einer der Ingenieure, die nach dem Krieg im Dienst der Vereinigten Staaten ihr Handwerk weiter betrieben. Ein schwerer Unfall läutete schließlich das Ende des X-15-Programms ein: 1967 geriet eine Maschine bei knapp vierfacher Schallgeschwindigkeit außer Kontrolle, zerriss in der Luft und tötete den Testpiloten Michael Adams.

Der Name eines anderen der insgesamt 13 Testpiloten sagt indes einiges über die Bedeutung der X-15 für die spätere Raumfahrt: Ein gewisser Neil Armstrong saß bei sieben Flügen am Steuer des Höllengeräts. Am 21. Juli 1969 war er der erste Mensch, der einen Fuß auf den Mond setzte.

© SZ vom 01.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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