Synapsen bei Jugendlichen:Schlecht verbunden

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Wenn die Hirnentwicklung gestört ist und Nervenzellen nicht richtig verschaltet sind, kann das psychische Erkrankungen auslösen.

Von Kathrin Zinkant

Manchmal führen die Wege der Erkenntnis auf die andere Seite der Straße. Die Labore der Neuroforscherin Beth Stevens und des Genetikers Steven McCarroll auf dem Campus der Harvard Medical School in Boston liegen nur einen Steinwurf entfernt. Trotzdem wussten die Forscher nicht viel voneinander, geschweige denn, dass sie eine Ahnung gehabt hätten, woran der jeweils andere arbeitet. Bis das Gehirn von Jugendlichen die beiden zusammenbrachte.

Das Denkorgan von Heranwachsenden ist in steter Veränderung begriffen. Mindestens bis zu einem Alter von etwa 15 Jahren bildet es dabei stetig neue Nervenverbindungen als Schnittstellen der Informationsverarbeitung. Forscher nennen diese Schnittstellen Synapsen. Die Zunahme der Synapsenzahl erzeugt bei Teenagern chaotische Zustände in manchen Bereichen des Gehirns, doch in der zweiten Hälfte der Adoleszenz beginnt die Selektion. Überflüssige, weil zu selten genutzte Kontakte zwischen Nervenzellen werden gekappt, nur die viel genutzten, profilierten Verbindungen bleiben bestehen. Es ist ein Prozess, der die Konnektivität im Gehirn erhöht. Zugleich entscheidet er darüber, ob aus renitenten Kindern seelisch gesunde Erwachsene werden. Oder psychiatrisch auffällige. Doch wie dieses sogenannte Synaptic Pruning (von englisch "stutzen") denn vor sich gehen könnte, blieb lange im Dunkeln.

Beth Stevens forschte damals noch an der Stanford University, als sie über eine Gruppe Verdächtiger stolperte: Während des Pruning-Prozesses im Nervengewebe von Ratten entdeckte sie eine Ansammlung von Immunzellen. Normalerweise bekämpfen diese Zellen Krankheiten im Körper. Stevens stellte jedoch fest, dass besagte Immunzellen die entscheidende Rolle im Synaptic Pruning spielen. Die Forscherin konnte zeigen, wie überflüssige Nervenkontakte mithilfe von sogenannten Komplement-Eiweißen für die Immunzellen markiert und von den Zellen dann ausgelöscht wurden. Auch das Komplement gehört zur angeborenen Abwehr von Keimen im Körper. Es war eine verblüffende Arbeit, die im Topjournal Cell  erschien.

Doch damit war es noch nicht vorbei. Auf der anderen Straßenseite beauftragte Steve McCarroll wenig später einen Studenten, nach Kandidatengenen für eine erbliche Ursache der Schizophrenie zu fahnden. Ein möglicher Ort im Genom war eine Häufung von Erbinformationen, welche mit der Immunantwort des Menschen verknüpft sind. McCarrolls Team kreiste schließlich ein Gen für ein Eiweiß der Komplementkaskade ein, ohne sich zunächst einen Reim darauf machen zu können, wie dieses Immuneiweiß namens C4 mit Schizophrenie zusammenhing. Doch bald stießen die Forscher auf die Arbeit der Nachbarin. Plötzlich ergab alles einen Sinn.

Schizophrenie ist ein häufiges psychiatrisches Leiden, einer von 100 Menschen erkrankt, und in den allermeisten Fällen beginnen die zugehörigen Ich-Störungen, Wahnvorstellungen und Halluzinationen in der sehr späten Phase der Adoleszenz. Das Leiden ist nicht rein genetisch, aber es gab seit den 1980er-Jahren die Vermutung, dass Schizophrenien durch eine gestörte Entwicklung der Nervenverbindungen im Gehirn verursacht werden. Die Arbeit von Stevens und McCarroll verknüpfte den genetischen Anteil nun mühelos mit dem Prozess des Synaptic Pruning. Offenbar sind einige Menschen deshalb besonders anfällig für einen extrem starken, fehlerhaften Pruning-Prozess. Das führt schließlich zu einem krankheitstypischen Verlust von grauer Substanz in der Hirnrinde und einer Ausdünnung von Nervenverbindungen. Dank dieser Erkenntnis ist die Krankheit zwar noch lange nicht heilbar. Doch das Wissen könnte schon jetzt helfen, gefährdete Jugendliche noch vor Ausbruch der Krankheit zu erkennen und zu betreuen.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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