Superrechner:Der 700-PS-Computer

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Europas schnellster, industriell genutzter Superrechner dient nur einem einzigen Ziel: die Rennwagen von BMW-Sauber einige Bruchteile von Sekunden schneller zu machen.

Alexander Stirn

Etwas unbeteiligt steht Albert, der Zweite, in der Ecke. Dabei soll sich heute alles um ihn drehen. Aus ganz Europa sind sie ins Schweizer Örtchen Hinwil gekommen, um Albert, das neue Wunderkind, zu bestaunen. Doch große Auftritte, gar Emotionen, sind nicht sein Ding. Der kühle Rechner hält es lieber mit Zahlen. Und mit Formeln.

Albert, der Zweite, ist jüngster Spross des Formel-1-Teams von BMW-Sauber. Ein Superrechner, Europas schnellster in Diensten der Industrie. Wenn Mitte März die nächste Saison startet, will der deutsch-schweizerische Rennstall mit seiner Hilfe noch etwas schneller im Kreis fahren. Albert, wie das Rechengenie in Reminiszenz an Albert Einstein getauft wurde, soll sich dabei vorrangig um Berechnungen zur Aerodynamik kümmern.

Aerodynamik als Schlüsselfaktor

"Aerodynamik ist zum Schlüsselfaktor bei der Entwicklung eines modernen Formel-1-Fahrzeugs geworden", sagt BMW-Motorsportchef Mario Theissen. Das Reglement lässt sonst nicht mehr viel Spielraum: Die Autos haben ein Mindestgewicht, die Entwicklung der Motoren ist weitgehend eingefroren, ab dieser Saison wird mit Einheitsreifen gefahren.

Bleibt nur noch die Karosserie, an der gefeilt werden kann - wie bisher im realen, verstärkt aber auch im virtuellen Windkanal. Theissen sagt: "Die Zukunft liegt in der Vernetzung von Versuch und Simulation."

Fast doppelt so groß wie ein Handballfeld ist der Hightech-Windtunnel, den das Sauber-Team vor drei Jahren am Stammsitz in Hinwil gebaut hat - zwischen Kehrrichtverbrennungsanlage und Bauernhof. Knapp zehn Meter Durchmesser haben die Röhren, auf 300 Kilometer pro Stunde beschleunigen sie die Luft. Seit Oktober wird das neue Auto getestet, in drei Schichten, rund um die Uhr.

Doch nicht alle Situationen lassen sich im Luftstrom nachstellen; besonders Kurvenfahrten machen Probleme. Wenn die Vorderräder einlenken, wenn das Auto driftet, wenn sich die Reifen verbiegen, beeinflusst auch das die Aerodynamik. Nur wie? Antworten auf solche Fragen soll Albert, der Zweite, liefern. "Windkanäle sind eines der schönsten Spielzeuge, mit denen ein Junge Spaß haben kann - nur ein neuer Supercomputer ist noch aufregender", sagt Willem Toet, Aerodynamik-Chef des Teams.

Viel Spielspaß und Rechenpower

Und - Albert, von seinen Entwicklern in einer ruhigen Ecke des Windtunnelbaus aufgestellt, bietet jede Menge Spielspaß: Auf der Suche nach der perfekten Aerodynamik zerlegt der Computer die Oberfläche des Autos und die umgebende Luft in mehr als 100 Millionen winzige Zellen. Anschließend berechnet er, wie sich diese Elemente in unterschiedlichen Fahrsituationen verhalten. "Um sich durch all diese Gleichungen zu kämpfen, braucht es jede Menge Rechenpower", sagt Toet.

Die kommt von 512 Intel-Xeon-Prozessoren, aus denen Albert zusammengesetzt wurde. Ein jeder hat zwei Kerne und tickt mit drei Gigahertz. Zusammen bringt es der Supercomputer so auf 12 288 000 000 000 Berechnungen in der Sekunde. Um dieselbe Leistung zu erzielen, müsste jeder Einwohner Münchens ein ganzes Jahr lang alle dreieinhalb Sekunden zwei achtstellige Zahlen multiplizieren - ohne Pause. Damit das Elektronenhirn bei seinen windigen Berechnungen nicht zu qualmen beginnt, wird es mit Wasser gekühlt. Bis zu 220 Kilowatt an Wärme führt die Klimaanlage ab.

Was das Silizium-Monstrum gekostet hat, darüber schweigt sich BMW-Sauber aus. Über Geld spricht man nicht im Formel-1-Zirkus, das hat man. Albert, der Erste, das deutlich langsamere Vorgängermodell, soll jedenfalls mehr als drei Millionen Euro gekostet haben. Erst vor zwei Jahren wurde es in Betrieb genommen - inzwischen ist es so nutzlos wie ein Formel-1-Wagen aus dem Vorjahr.

Albert, der Zweite, ist dreimal so schnell. Doch was die schiere Menge an Daten angeht, wird auch er vom realen Windkanal noch immer abgehängt: Wenn am Modell 350 Sensoren jeden Luftzug registrieren, fallen pro Sekunde acht Megabyte an Daten an. Für die Erkenntnisse, die ein voller Tag im Wind liefert, sind mehr als 1000 Simulationen nötig.

Selbst Albert schafft nur ein Bruchteil davon. Die Ingenieure setzen ihn daher - neben den Kurvensimulationen - vor allem als Entscheidungshilfe ein: Müssen sie, wie für diese Saison, einen komplett neuen Frontflügel entwickeln, simuliert der Rechner zunächst alle denkbaren Varianten.

Nur die aussichtsreichsten werden schließlich aus Karbon gebaut und im Windkanal getestet. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse fließen später wieder in die physikalischen Modelle des Simulationsprogramms ein. "Noch sehen wir im Windkanal, welches Teil besser ist", sagt Willem Toet, "aber erst mithilfe des Computers verstehen wir auch, warum das so ist."

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