Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz:Krebsgefahr in der Nähe von Kernkraftwerken

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Man hat es geahnt, gefühlt, gewusst, aber noch nicht beweisen können. Eine neue Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, legt es jetzt offen: Im Umkreis der 16 deutschen Reaktor-Standorte erkranken Kleinkinder überdurchschnittlich häufig an Leukämie.

Werner Bartens und Michael Bauchmüller

Kleinkinder, die in der Nähe von Kernkraftwerken leben, erkranken offenbar häufiger an Krebs. Das geht aus einer Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz hervor, die der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt. Demnach steigt die Zahl krebskranker Kinder, je näher ihr Wohnort an einem der 16 deutschen Reaktorstandorte liegt. Dieser Zusammenhang sei "statistisch signifikant".

Deutsche Kernkraftwerke: In ihrer Umgebung erkranken Kinder der Studie zufolge häufiger an Krebs (Foto: Foto: SZ-Grafik)

Forscher der Universität Mainz stellten fest, dass im Fünf-Kilometer-Umkreis der Reaktoren 37 Kinder neu an Leukämie erkrankt sind. Im statistischen Durchschnitt wären im Untersuchungszeitraum zwischen 1980 und 2003 aber lediglich 17 Fälle zu erwarten gewesen. Daher stünden 20 zusätzliche Leukämiefälle laut Analyse der Forscher im Zusammenhang damit, dass die Kinder so nah an den Kernkraftwerken wohnten.

"Unsere Studie hat bestätigt, dass in Deutschland ein Zusammenhang zwischen der Nähe der Wohnung zum nächstgelegenen Kernkraftwerk zum Zeitpunkt der Diagnose und dem Risiko, vor dem fünften Geburtstag an Krebs (bzw. Leukämie) zu erkranken, beobachtet wird", schreiben die Forscher. Ein Mitglied des Expertengremiums, das die Studie betreut hat, hält die Schlussfolgerungen sogar für untertrieben. Ihm zufolge weisen die Daten sogar auf ein erhöhtes Krebsrisiko für Kinder im Umkreis von 50 Kilometern hin.

Die Studie dürfte einen alten Streit wieder anfachen. Mehrfach hatten Wissenschaftler in den vergangenen Jahren das Krebsrisiko in der Umgebung von Kernkraftwerken untersucht. Vor allem der schleswig-holsteinische Reaktor Krümmel stand in dem Ruf, Krebserkrankungen von Kindern mitverursacht zu haben.

In vorangegangenen Studien kamen die Forscher aber zu widersprüchlichen Erkenntnissen und Interpretationen. Zudem gab es Kritik an der Methodik. Daher hatte das Bundesamt für Strahlenschutz, das die neue Untersuchung in Auftrag gegeben hatte, Kritiker wie Befürworter der Kernkraft früh in die Planung der neuen Studie miteinbezogen.

Die Mainzer Wissenschaftler hatten für ihre Studie eine aufwendige Vorgehensweise gewählt. Dem Deutschen Kinderkrebsregister entnahmen sie sämtliche Fälle von Kindern unter fünf Jahren, die zwischen 1980 und 2003 an Krebs erkrankt sind und in der Nähe von Reaktoren aufgewachsen waren. Bis auf 25 Meter genau bestimmten sie deren Wohnort.

Den 1592 krebserkrankten Kindern stellten die Forscher 4735 gesunde Kinder gegenüber, die zur selben Zeit in derselben Gegend aufgewachsen waren. Diese als "Fall-Kontroll-Studie" bezeichnete Vorgehensweise gilt für derartige Fragestellungen als besonders zuverlässig. Je näher die Kinder am Reaktor aufgewachsen waren, desto höher lag ihr Risiko, an Krebs zu erkranken - und umgekehrt.

Ob die Kernkraftwerke für die erhöhte Tumorhäufigkeit verantwortlich sind, kann aus der Studie allerdings nicht abgeleitet werden - die Strahlenbelastung ist aus medizinischer Sicht eigentlich zu gering dafür. "Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand" sei das Ergebnis "nicht strahlenbiologisch erklärbar", heißt es in der Studie. Eine Kausalität sei also nicht bewiesen.

Anders als nach den früheren Studien vermutet, lässt sich die erhöhte Zahl der Krebserkrankungen in der Nähe der Kernkraftwerke aber nicht auf einzelne statistische "Ausreißer" zurückführen, etwa die hohe Zahl von Leukämiefällen in der Umgebung des Krümmel-Reaktors. Gegenkontrollen ergaben, dass sich der Effekt im Durchschnitt bei allen Standorten einstellte.

© SZ vom 08.12.2007/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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