Störfälle in AKW:Angst vor dem Vertrauens-Verlust!

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Zu viel Transparenz ist unbequem für die AKW-Betreiber, dennoch bleibt ihnen nur die Flucht nach vorne - wenn sie längere Laufzeiten rausschlagen wollen.

Michael Bauchmüller

Manche Dinge kommen im besten Kraftwerk mal vor. Etwa, dass ein Transformator in Brand gerät. Dass ein Kurzschluss eine Schaltanlage lahmlegt. Dass ein Pumpensystem mal ausfällt.

AKW: Vollkommene Sicherheit gibt es nicht, ein Restrisiko bleibt immer. (Foto: Foto: ddp)

Und es gibt Dinge, die dürfen einfach nicht vorkommen. Zum Beispiel, dass Mitarbeiter ein durchautomatisiertes Kernkraftwerk plötzlich von Hand steuern. Dass sie den Druck im Reaktorinneren unterschätzen. Und vor allem, dass die Öffentlichkeit nur peu à peu davon erfährt, nur in dem Maße, wie sie nachbohrt. Nicht in einem Land wie Deutschland. Nicht in einem Kernkraftwerk.

All das ist passiert in den vergangenen zwölf Tagen, in den schleswig-holsteinischen Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel. Betreiber Vattenfall ließ sich viel Zeit, den Hergang aufzuklären.

Als es im Trafo des Kernkraftwerks Krümmel brannte, sollte das zunächst völlig spurlos am Reaktor vorübergegangen sein. Eine Woche später erfuhr die verwunderte Öffentlichkeit, dass es auch Probleme in der Leitwarte gab, dem Hirn des Reaktors. Dort wehrten sich Mitarbeiter mit Gasmasken gegen eindringenden Rauch.

Eine Woche brauchte das Unternehmen auch, um von weiteren Problemen in Brunsbüttel zu berichten. Da war, sicher kein Zufall, der Energiegipfel der Bundesregierung gerade vorbei.

Nein, es drohte (wenn man dem Betreiber noch glauben mag) wohl keine größere Gefahr für Personal und Bevölkerung. Aber es droht der Verlust allen Vertrauens in die Technologie und die vier deutschen Betreiberkonzerne.

Die sichersten Kernkraftwerke der Welt

Paradoxerweise verspielen die Atomkonzerne das Vertrauen ausgerechnet mit dem Versuch, es zu erhalten. Seit Jahren verbreiten sie Jubelmeldungen über die angeblich sichersten Kernkraftwerke der Welt. Nirgends hängen die Reaktoren so ausdauernd am Netz wie hierzulande. Der Begriff der "Störmeldung" hat für die Unternehmen seit jeher eine ganz andere Bedeutung: Solche Meldungen stören nur.

Reflexartig spielen sie daher seit eh und je Störungen herunter. Nur so lässt sich die zögerliche Aufklärung der jüngsten Vorfälle erklären. Nur so lässt sich erklären, dass eine Wasserstoff-Explosion im Kraftwerk Brunsbüttel im Dezember 2001 zunächst als "spontane Leckage" qualifiziert wurde.

Bei Nachforschungen der Atomaufsicht erwies sich das Leck als meterlang zerfetzte Leitung. Das Muster ist international bekannt. Auch die Vorfälle vom vorigen Sommer im schwedischen Forsmark-Reaktor - Betreiber ebenfalls Vattenfall - galten zunächst als harmlos.

Dass das Kontrollpersonal nicht immer so genau kontrollierte und gelegentlich dem Alkohol zusprach, zeigte sich erst später. Vertuschen und verharmlosen - leider begleitet diese Strategie die Kernkraft, seit sie zur Stromerzeugung genutzt wird. Das ist nicht akzeptabel bei einer Technologie, die schlimmstenfalls, siehe Tschernobyl, Tausende Menschen töten kann.

Die Gefahren der Kernkraft sind hinreichend bekannt. Allein deshalb müssen sich die Unternehmen Meldepflichten unterwerfen, wie sie keine andere Branche auch nur annähernd erfüllen muss. Deshalb auch sind alle Vorgänge im Kernkraftwerk doppelt und dreifach gesichert, sind alle bislang denkbaren Probleme in unzähligen Übungen durchgespielt.

Risiko nicht bis ins Letzte kalkulierbar

Doch leider gehört es zu den Eigenschaften des Risikos, dass es sich nicht bis ins Letzte kalkulieren lässt. Viele Störfälle der vergangenen Jahre traten nur deshalb auf, weil sie eben nicht absehbar waren. Allzu oft war das Personal überfordert. Das ist das einzig Gute der jüngsten Fälle: Sie helfen, Sicherheitslücken zu stopfen. Die Angst aber, dass neue, unbekannte Probleme auftreten, ist weiter gewachsen - nicht zuletzt durch die hinhaltende Aufklärung.

Vattenfall, aber auch den drei anderen Betreibern Eon, RWE und EnBW bleibt jetzt nur noch die Flucht nach vorn. Sie werden sich nicht mehr leisten können, die Öffentlichkeit lückenhaft zu informieren; schon gar nicht, wenn sie längere Laufzeiten für ihre Reaktoren erstreiten wollen.

Mag sein, dass zu viel Transparenz unbequem ist, weil sie immer wieder daran erinnert, dass eine 100-prozentige Sicherheit auch bei der Hochtechnologie Kernkraft nicht zu erreichen ist, nie zu erreichen sein wird. Wie die Wähler jene Restunsicherheit, das sogenannte "Restrisiko", bewerten, muss ihnen selbst überlassen bleiben. Einen anderen Weg als diese Transparenz gibt es nicht.

Besonderer Dank für Wahrheit und Klarheit gebührt in diesem Zusammenhang Roland Koch. Mit der ihm eigenen Sorglosigkeit hat er den Neubau von Kernkraftwerken ins Spiel gebracht. Das bedeutet mehr als nur längere Laufzeiten und ist deshalb sehr ehrlich.

Denn wer immer in der Union davon spricht, die Kernkraft sei nur Übergangstechnologie und könne daher gerne länger laufen als geplant, sagt nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, dass längere Reaktor-Laufzeiten Investitionen in andere Energieformen hemmen und eine Struktur zementieren, die vor allem auf die Riesenmeiler ausgerichtet ist.

Schritt eins ist in dieser Logik die längere Nutzung der deutschen Reaktoren, Schritt zwei der Neubau. Diesen Weg kann man wählen, und vielleicht sind neue Kraftwerke ja sicherer als die Siedewasserreaktoren Krümmel und Brunsbüttel. Nur sicher, vollkommen sicher, werden sie nie sein.

© SZ vom 10.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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