Sterbende Sprachen:Weisheit der Worte

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Uraltes Wissen das noch heute Wissenschaftlern helfen kann, steckt in Redewendungen die bald verloren sind. Neben den Sprachen geht meist auch ein ganzer Kulturkreis verloren.

Tina Baier

90 Prozent aller Sprachen werden wahrscheinlich noch in diesem Jahrhundert verschwinden. Allein in Nordamerika sind in den vergangenen 30 Jahren 51 Sprachen ausgestorben. ,,Sprachen sind stärker bedroht als Tiere'', sagte David Harrison, Linguist am Swarthmore College in Pennsylvania auf der Wissenschaftstagung AAAS in San Francisco.

Die Indianersprache Potawatomi etwa beherrschen nur noch 25 Menschen, die teils im Mittleren Westen der USA, teils in Kanada leben. Auch Tofa wird nur noch von weniger als 30 Menschen gesprochen, die in den Sajanbergen im Süden Sibiriens leben. ,,Wenn solche Sprachen aussterben, gehen Besonderheiten verloren, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt'', sagte Gregory Anderson, Spezialist für bedrohte Sprachen in Sibirien.

Das Volk der Udike beispielsweise hat ein einzigartiges Zahlensystem. Für die Zahl zwei etwa gibt es unzählige verschiedene Wörter, je nachdem ob etwa ,,zwei Ski'', ,,zwei Leute'' oder ,,zwei Yaks'' gemeint sind. Bei den Tschuktschen benutzen Frauen und Männer für eine Sache unterschiedliche Begriffe; eine weitere Besonderheit dieser Sprache sind extrem lange Wörter.

Harrison machte deutlich, wie viel Wissen mit solchen Sprachen verloren geht: In der Sprache der Musqueam etwa, einem Volk im kanadischen British Columbia, gibt es einen Begriff, der zwei Lachs- und zwei Forellenarten zusammenfasst. Lange war unklar, warum das so ist - bis genetische Analysen ergaben, dass diese Fischarten näher miteinander verwandt sind, als Taxonomen geglaubt hatten.

Sprachen zu retten ist schwierig

Umgekehrt haben die Hanunoo, ein Volk auf den Philippinen, vier verschiedene Ausdrücke für die Raupen eines bestimmten Schmetterlings. Auch in diesem Fall gab die DNS-Analyse dem uralten Wissen der Hanunoo Recht: Demnach schlüpfen aus den verschiedenen Raupen Schmetterlinge, deren Aussehen sich unterscheidet und die andere Fressgewohnheiten haben.

Auch in der Sprache der Tofa, die Jäger und Rentierzüchter sind, ist viel Wissen gespeichert. Die Tofa-Ausdrücke für die verschiedenen Monate beispielsweise enthalten Informationen über die beste Jagdstrategie in der entsprechenden Zeit. So heißt ,,März'' auf Tofa ,,der Monat, in dem man mit Hunden auf die Jagd geht''. Die Tofa haben zudem ein ausgeklügeltes System, um sich knapp über ein Rentier auszutauschen. Ein Wort genügt, um etwa ein dreijähriges weibliches Rentier zu charakterisieren, das noch kein Kalb hatte.

Derlei Sprachen zu retten oder ihr Aussterben zumindest hinauszuzögern, ist schwierig. Hilfreich könnte dabei das Internet sein, sagt Laura Welcher. Die Leiterin des Rosetta-Archivs, dessen Ziel es ist, aussterbende Sprachen aufzuzeichnen, hat inzwischen zahlreiche Webseiten von Menschen registriert, die vom Aussterben bedrohte Sprachen beherrschen.

Zudem gebe es immer mehr Chatrooms, in denen diese Sprachen auch noch aktiv benutzt würden. So entspann sich vor nicht allzu langer Zeit im Internet ein angeregtes Gespräch zwischen einem Potawatomi aus dem Mittleren Westen und einem Stammesangehörigen, der in Kanada lebt.

© SZ v. 21.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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