Stammzellforschung:Das Zeug zum Embryo

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Im Hoden von Männern gibt es Zellen, die alle Gewebe des Körpers bilden können. Das konnten deutsche Forscher jetzt nachweisen.

Christina Berndt

Der Hoden ist ein ebenso empfindliches wie kraftvolles Organ. Bis ins hohe Alter jedes Mannes produziert er Zellen, die (mit weiblicher Hilfe) zu einem Embryo führen können und neun Monate später zu einem Baby.

Stammzellen aus dem Hoden. (Foto: Foto: Universität Tübingen)

Dass in Zellen aus dem Hoden ähnlich viel Potential steckt wie in Zellen von Embryonen, haben Forscher daher schon lange vermutet. Nun beweist eine Gruppe um Thomas Skutella von der Universität Tübingen: Es gibt im Hoden von Männern tatsächlich Zellen, die alle Gewebe des Körpers bilden können.

Schon vor gut zwei Jahren hatten Gerd Hasenfuß und Wolfgang Engel von der Universität Göttingen solche Zellen in Mäusehoden entdeckt. Die Zellen waren "pluripotent" - sie verhielten sich also wie embryonale Stammzellen.

Der Fund löste Begeisterung aus. Seither hofften Forscher in aller Welt, dass dies auch für Menschen gelten möge. Denn diese Zellen wären ein Ersatz für die embryonalen Stammzellen, welche zwar ethisch umstritten sind, aber auch heißbegehrt:

Womöglich können solche Zellen eines Tages helfen, Krankheiten zu heilen, bei denen Gewebe kaputt gegangen ist - im Herzen etwa nach einem Infarkt, im Gehirn durch Parkinson oder im Rückenmark bei einer Querschnittslähmung. Embryonale Stammzellen können sich ebenso in Herzzellen verwandeln wie in Hirn- oder Nervenzellen.

Dass auch Zellen aus dem Hoden von Männern dieses Potential haben, hat Thomas Skutella nun gezeigt ( Nature online, 8.10.). Er nahm Hoden von 22 Männern, die während einer Operation entfernt worden waren. Das Gewebe löste er auf, so dass sich einzelne Zellen ergaben, von denen manche die Embryo-Eigenschaften hatten.

Andere Wissenschaftler sind an diesem Nachweis gescheitert, auch die Göttinger Pioniere der Hoden-Stammzellforschung. Sie beglückwünschen den Tübinger nun zu seinem Erfolg. Skutella glaubt, dessen Geheimnis zu kennen: "Es waren die glücklichen Händchen von meiner Mitarbeiterin Sabine Konrad, die viel Erfahrung in der Kultivierung von Zellen hat", sagt er.

Ob die Medizin die Zellen aus dem Hoden wirklich nutzen wird, ist allerdings fraglich. Inzwischen ist es gelungen, aus weniger empfindlichem Gewebe ähnlich wandlungsfähige Zellen herzustellen - nämlich aus ganz normaler Haut.

Dazu traktierten japanische Wissenschaftler die Haut allerdings mit harten Methoden: Sie bauten vier Gene mit Hilfe aggressiver Viren in die Hautzellen ein, von denen manche Krebsgene waren. Keine geeignete Methode also, wenn man die entstehenden Gewebe kranken Menschen transplantieren will.

Aber die Methode wurde inzwischen verbessert. Jüngst ersetzte ein Team um Konrad Hochedlinger von der Harvard-Universität die aggressiven Viren durch harmlose Schnupfenviren. Viele Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass sich nun bald für jeden Patienten spezialisiertes Gewebe aus der eigenen Haut herstellen lässt; solches Gewebe wäre für die jeweiligen Patienten ungefährlich, wenn es ihnen verpflanzt wird. Dass so jemals Krankheiten geheilt werden, ist damit allerdings noch lange nicht gesagt.

"Wenn sich solche Zellen darstellen lassen, braucht man unsere Zellen aus Hoden jedenfalls nicht mehr", sagt der Göttinger Wolfgang Engel. Schließlich sei es nicht so angenehm für den Patienten, wenn ihm an dieser empfindlichen Stelle Gewebe entnommen werde. Außerdem gibt es Hodenzellen nun einmal nur von Männern.

© SZ vom 09.10.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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