Stammzellen:Empfängnis im Glas

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Forscher haben im Labor erstmals menschliche Gebärmutterschleimhaut wachsen lassen. Das Miniorgan könnte neue Erkenntnisse über frühe Schwangerschaften und über Krankheiten wie Endometriose ermöglichen.

Von Kathrin Zinkant

Es gibt Momente, die alles entscheiden. Für eine befruchtete Eizelle naht ein solcher Augenblick ungefähr am sechsten Tag ihrer Existenz. War das winzige Gebilde zuvor noch frei und ungebunden im Unterleib der Frau unterwegs, muss es jetzt fest am Körper der Mutter andocken - sich also in die oberste Schicht der Gebärmutter einnisten. In den meisten Fällen scheitert der frühe Embryo an dieser Hürde.

Woran liegt das? Diese und zahlreiche andere Fragen können Wissenschaftler künftig womöglich in vitro, also im Reagenzglas untersuchen: Stammzellforschern der britischen University of Cambridge ist es erstmals gelungen, die sich stetig erneuernde Schleimhaut der Gebärmutter - das Endometrium - als Miniorgan im Labor zu züchten. Wie die Biomediziner in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Nature Cell Biology berichten, gelang es ihnen, die sogenannten Organoide aus jenen Stammzellen wachsen zu lassen, die sich bei erwachsenen Frauen im Originalgewebe befinden. Das Team um Erstautorin Margherita Turco sieht in den Miniorganen die lang ersehnte Chance, den Menstruationszyklus und die frühe Schwangerschaft des Menschen direkt zu untersuchen. "Diese Vorgänge kann man unmöglich in lebenden Patienten einfangen", sagt Turco. Bisher habe man deshalb auf Tiermodelle zurückgreifen müssen.

Der Mensch und seine nächsten Verwandten unterscheiden sich jedoch deutlich von anderen Säugetieren: Nur höher entwickelte Primaten durchleben einen Menstruationszyklus, in dessen Verlauf die Gebärmutterschleimhaut abgestoßen und wieder erneuert wird, falls nach dem Eisprung keine Befruchtung und Schwangerschaft erfolgt. Ein menschliches Modell des Endometriums, mit dem sich alle Phasen dieses Zyklus unter dem Einfluss von Hormonen verfolgen und mit verschiedenen modernen Methoden analysieren lassen, fehlte in der Reproduktionsmedizin bislang vollständig. Die Organoide des Endometriums können außerdem dabei helfen, ein häufiges Leiden von Frauen zu erforschen: Bei der sogenannten Endometriose siedelt sich Gebärmutterschleimhaut auch außerhalb des Uterus - zum Beispiel an den Eierstöcken oder im Bauchraum - an und verändert sich dort dem Zyklus entsprechend. Das Gewebe wächst und erneuert sich. Heftige Regelschmerzen und Unfruchtbarkeit können die Folge sein. Bislang gibt es keine dauerhaft wirksame Behandlung für diese Erkrankung, da ihre Ursachen bislang noch nicht genau untersucht werden konnten.

© SZ vom 11.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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