Der Ruf ist längst ruiniert. Vor Jahren schon ist die Ständige Impfkommission, kurz "Stiko", zum Feindbild all jener mutiert, die Impfungen skeptisch sehen.
Dabei ist die Aufgabe des vom Bundesgesundheitsministerium eingesetzten Gremiums überaus wichtig für die Gesundheit der Deutschen. Die Stiko soll den Nutzen von Impfungen prüfen. Im "Impfkalender" legt sie fest, wann sie welchen Piks gegen welche Krankheit für sinnvoll hält.
Doch viele Bürger mögen dem Rat der Stiko nicht folgen, auch wenn die meisten der empfohlenen Impfungen sinnvoll und wissenschaftlich unumstritten sind. Sie vermuten hinter der Kommission einen unheilvollen Sumpf aus korrupten Ärzten und gieriger Pharmaindustrie.
Irritierender Jobwechsel
Da wirkt es kaum förderlich, dass einige Mitglieder der Stiko allzu große Nähe zu Impfstoff-Herstellern suchen. Ende 2007 versetzte eine Personalie sogar Freunden des Gremiums einen Stich: Da wechselte der langjährige Chef der Stiko, Heinz-Josef Schmitt, zum Pharmariesen Novartis - einem Unternehmen also, dessen Produkte er zuvor kritisch bewertet haben will.
Nach Schmitts Weggang ist die 16-köpfige Kommission neu besetzt worden, aber der neue Vorsitzende, der Arbeitsmediziner Friedrich Hofmann aus Wuppertal, zeigt wenig Verständnis für Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Kommission. Die Zusammenarbeit mit der Industrie sei nötig, sagt Hofmann, und wenn er Firmengelder für ehrliche Arbeit erhalte, beeinflusse das sein Urteil nicht.
"Jeder Lehrer, dem man ein Buch schenkt, zuckt zusammen, weil er Angst hat, es könnte als Bestechung ausgelegt werden", sagt Wolfgang Becker-Brüser vom unabhängigen Arznei-Telegramm. Die Stiko habe da überhaupt kein Unrechtsbewusstsein: "Es ist unfassbar, dass eine öffentlich besetzte Kommission Geld von Firmen annimmt, über deren Produkte sie entscheidet."
Der Ex-Vorsitzende Schmitt hat vor seinem Wechsel zu Novartis gar noch einen mit 10000 Euro dotierten Preis angenommen; das Geld stammte von Sanofi Pasteur MSD - ausgerechnet von jener Firma, die einen teuren Impfstoff gegen Papillomviren herstellt, den Schmitt kurz vor seinem Weggang in den Impfkalender gehoben hat.
Mehr als nur Empfehlungen
Die Pharma-Verflechtungen der Stiko gewinnen an Brisanz, weil der Einfluss der Stiko jüngst erheblich gewachsen ist. Seit April 2007 sind ihre Empfehlungen keine bloßen Empfehlungen mehr. Die Krankenkassen müssen seither sämtliche Impfungen auf dem Impfkalender bezahlen.
Zwar kann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der über die Leistungen der Kassen wacht, die Stiko-Vorschläge theoretisch zurückweisen. "Wir sind aber vom Gesetzgeber angehalten, Abweichungen besonders zu begründen", sagt Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel beim G-BA. "Das heißt, dass wir die Empfehlungen in der Regel durchwinken."
"Es muss etwas passieren"
Mit der G-BA "sehr unzufrieden" äußert sich Müller, es fehle an Transparenz. "Wir haben erhebliche Bedenken, was die Unabhängigkeit der Stiko betrifft", sagt Müller. Noch dazu halte die Kommission geheim, auf der Grundlage welcher Daten und Methoden sie entscheidet.
"Die Stiko verfolgt das veraltete Konzept der Expertenrunde: Die Tür wird zugemacht, ein bisschen so wie beim Papst-Konklave", moniert Müller. "Dieser Zustand ist unhaltbar. Es muss etwas passieren."
Angesichts des zunehmenden Einflusses der Stiko hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen eine Kleine Anfrage zum Thema an die Bundesregierung gerichtet. "Jahrelang hat niemand auf die Stiko geguckt. Da hat immer ein Klüngel gesessen, der ohne jede Transparenz und ohne Verfahrensregeln entschieden hat", sagt Birgitt Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion.
Neuerdings betrachten auch zuständige Beamte im Bundesgesundheitsministerium die Impf-Kommission mit mulmigem Gefühl. Sie sorgten dafür, dass das Gremium kritischen Zuwachs bekommen hat. Mit Gerd Antes vom Freiburger Cochrane-Zentrum hat die Stiko nun ein Mitglied, das sich mit der Bewertung von Pharmastudien auskennt. G-BA-Mann Müller setzt denn auch "auf den Lern- und Entwicklungsprozess, der gerade in der Stiko im Gange ist".
"Honorare bewirken eine positive Grundhaltung"
Allerdings finden sich auch in der neu besetzten Kommission zahlreiche Mitglieder, die enge Beziehungen zur Industrie pflegen. So hat Frank Falkner von Sonnenburg (Universität München) den Vorsitz im Fachbeirat "Forum Impfen" inne, das von zwei Impfstoffherstellern finanziert wird. Dabei sind hier neben Friedrich Hofmann auch Wolfgang Jilg (Universität Regensburg), Christel Hülße (Rostock) und Ursel Lindlbauer-Eisenach (München).
Auf der von Glaxo Smith Kline finanzierten Webseite "Gesundes Kind" drückt der Pharmariese dem Mainzer Professor Fred Zepp seinen Dank aus. Bei der "Arbeitsgemeinschaft Meningokokken", die von drei Impfstoffherstellern gesponsert wird, ist Jan Leidel (Gesundheitsamt Köln) aus der Stiko dabei, und in der "Arbeitsgemeinschaft Masern und Varizellen" arbeiten Rüdiger von Kries (Universität München) und Klaus Wahle (Universität Münster) mit Geld von Glaxo und Sanofi.
Die Mehrheit der Stiko-Mitglieder arbeitet demnach mit der Impfstoffindustrie zusammen. Da erstaunt es wenig, dass die Kommission selbst kein Konfliktpotenzial erkennt. Der Geschäftsordnung der Stiko zufolge dürften Mitglieder, bei denen "Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung" gerechtfertigt scheint, nicht an den entsprechenden Beratungen teilnehmen, erklärt die Stiko auf Anfrage.
Dann aber dürfte ihr stellvertretender Vorsitzender Ulrich Heininger vom Universitäts-Kinderspital beider Basel eigentlich keiner Stiko-Sitzung mehr beiwohnen: Er hat bereits von allen großen Impfstoffherstellern Honorare erhalten.
"Solche Kontakte bedeuten nicht zwangsläufig, dass die Beurteilung einzelner Impfstoffe voreingenommen oder industriegesteuert ist", betont Pharmakritiker Becker-Brüser. Viele Impfungen seien segensreich. "Honorare bewirken aber eine positive Grundhaltung."
Das Gesundheitsministerium sieht zumindest offiziell kein Konfliktpotenzial: Die bestehenden Regelungen seien "geeignet, die erforderliche Verfahrenstransparenz bei der Stiko zu gewährleisten", heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Grünen.
"Die Wettbewerbsneutralität der Stiko-Empfehlungen" ergäbe sich zudem daraus, dass "die Stiko keine Impfstoffe empfiehlt, sondern die Durchführung von Schutzimpfungen." Dass manche Impfstoffe nur von wenigen Herstellern angeboten werden, ist offenbar nicht aufgefallen.
So teuer wie noch nie
Umso auffälliger ist, dass die Stiko den Impfkalender in jüngerer Zeit erheblich gefüllt hat. 2004 fiel die umstrittene Entscheidung für die Windpocken-Impfung aller Kleinkinder, seit 2006 stehen für die Jüngsten Spritzen gegen Pneumokokken und Meningokokken auf dem Programm. Und 2007 kam die Impfung für 12- bis 17-jährige Mädchen gegen Papillomviren (HPV) hinzu, welche mitunter Gebärmutterhalskrebs auslösen.
Spätestens seit dieser Entscheidung ist klar: "Die Stiko trägt nicht nur enorme Verantwortung für die öffentliche Gesundheit, ihre Empfehlungen verursachen auch beträchtliche Kosten", so Becker-Brüser. Als die Stiko die HPV-Impfung empfahl, war nur ein Impfstoff gegen die Viren zugelassen. Eine profitable Situation für den Hersteller Sanofi, der seither 477,18 Euro pro Impfling von den Kassen verlangt.
So teuer war noch kein Impfstoff - das Maximum lag bisher bei rund 50 Euro. Gleichwohl kassiert der Hersteller des inzwischen zugelassenen zweiten HPV-Impfstoffs, Glaxo, auf den Cent genau den gleichen Preis wie sein Konkurrent Sanofi. Damit droht die Impfung gegen HPV zum Kostendebakel für die Krankenkassen zu werden. Mindestens zwei Spieler im Gesundheitswesen gibt es also, die sich über den gewachsenen Einfluss der Stiko freuen. Auch wenn der Ruf der Kommission darunter noch mehr leidet.