Science-Slam:Die menschliche Fliege

Lesezeit: 3 min

Mit einer Fruchtfliegen-Nummer wurde der Wiener Molekularbiologe Martin Moder Science-Slam-Europameister. Dabei nimmt er seine Forschung eigentlich sehr ernst.

Von Titus Arnu

Als hirnamputierte Fruchtfliege kann man eigentlich nicht besonders geistreich sein. Martin Moder hat also schlechte Karten, wenn er als Fruchtfliege kostümiert auf die Bühne steigt und nachspielt, wie ihm das Hirn rausgenommen wird. Die Thematik ist auch nicht gerade leicht verdauliche Comedy-Kost: Es geht um Tierversuche, Krebszellen und Genmanipulation. Trotzdem bekommt Moder gleich Szenenapplaus für seinen Auftritt: Mit Fühlern auf dem Kopf und Flügeln auf dem Rücken summt er über die Bühne und erklärt pointiert, was das Experiment bringen soll.

"60 Prozent der Fruchtfliegen-Gene sind identisch mit den Genen der Menschen", sagt Moder, "das bedeutet aber nicht, dass Sie nach der Veranstaltung nach Hause fliegen können". Schließlich seien auch 50 Prozent des menschlichen Genoms mit dem der Banane identisch - und das heiße ja auch nicht, dass man aus zwei Bananen einen Menschen basteln kann. Aber von den Versuchen mit Fruchtfliegen könnten tatsächlich irgendwann Menschen profitieren. Wenn es gelingt, Gene zu finden, die das Tumorwachstum bei der Fruchtfliege stoppen, wäre das für die Krebsforschung sehr hilfreich. Abflug, Applaus.

Fruchtfliegen-Experte Martin Moder bei der Arbeit. (Foto: Anna Lunghammer)

2014 wurde der junge Molekularbiologe aus Wien mit dieser Fruchtfliegen-Nummer zum ersten Science-Slam-Europameister gekürt. Gerade hat er sein erstes Buch geschrieben: "Treffen sich zwei Moleküle im Labor". Was sich anhört wie eine sehr spezielle Witzesammlung, die nur Molekularbiologen verstehen, ist in Wirklichkeit ein populärwissenschaftliches Buch über Genetik. Wie kann man wissenschaftlich korrekt kuscheln? Warum sollte man sich zu Anti-Aging-Zwecken mit jemand anderem zusammennähen lassen? Und bestellen wir in Zukunft veganen Döner mit scharf aus der Retorte?

Die Insekten waren die ersten Tiere, die ins Weltall geschossen wurden

Moders Themen hören sich erst mal an wie Nonsens, aber beim Treffen am Zentrum für Molekulare Medizin in Wien, wo der 28-Jährige an seiner Promotion arbeitet, wird schnell klar, dass er es ernst meint. Im Normalfall arbeitet Martin Moder ohne Fruchtfliegen-Verkleidung im Labor, wo er Gene screent und nach DNA-Reparatur-Mechanismen sucht. Das Ziel des auf mehrere Jahre angelegten Projekts ist, bestimmte Gene gezielt auszuschalten, um zu erreichen, dass sich beschädigte Zellen besser reparieren lassen. Für verschiedene Krebsarten und seltene Erbkrankheiten könnte das ein interessanter Weg zu neuen Therapien sein. Während Moders Experimenten fallen ungeheure Datenmengen an, die ein Bio-Informatiker aufbereiten und interpretieren muss, bevor man irgendetwas versteht. "Was sich erst mal trocken anhört, ist in Wirklichkeit unfassbar spannend", sagt Moder. "Manchmal stehe ich im Labor und denke: Wow, ich bin gerade der erste Mensch auf der Welt, der eine bestimmte Information über einen biologischen Ablauf kennt."

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Seine Begeisterung gibt er gerne weiter, auch an Fachfremde. Von Moders Fruchtfliegen-Vorstellung waren manche Kinder so begeistert, dass sie zu Hause eine Zuchtstation einrichten wollten, mit gammeligem Obst unter dem Sofa. Bevor er auf Science Slams auftrat, spielte Moder Schlagzeug in einer Heavy-Metal-Band. Das hilft ihm im Labor wenig, bei seinen Comedy-Auftritten aber schon.

In Moders Buch erfährt der Leser, dass an Fruchtfliegen auch erforscht wird, wie sich sexuelle Orientierung entwickelt. Homosexuelles Verhalten ist bei diesen kleinen Insekten genauso zu beobachten, wie bei 1500 anderen Arten auch. Fruchtfliegen waren auch die ersten Tiere, die ins Weltall geschossen wurden. Moder liebt die kleinen Biester: "Jedes Mal, wenn mir beim Laufen auf der Donauinsel eine Fliege in die Nase fliegt, macht mir das Hoffnung auf bahnbrechende Daten."

Und wie hilft einem das alles im Alltag weiter? Eine Frage, die Martin Moder oft gestellt wird, und die er in seinem Buch zu beantworten versucht. Von der Molekularbiologie seien in den nächsten Jahren in verschiedenen Bereichen Durchbrüche zu erwarten, glaubt er, nicht nur bei der Erforschung genetisch bedingter Krankheiten. Biologisch spreche zum Beispiel nichts dagegen, Fleisch in Zellkulturen wachsen zu lassen. Es arbeiten auch schon Menschen an 3D-Druckern, die lebendige Zellen ausspucken, um eines Tages ganze Steaks ausdrucken zu können. Und wozu? "Die Frage ist: Wieso soll ich ein ganzes Hendl mit Kopf und Beinen züchten, wenn die Konsumenten sowieso nur Brust und Schenkel kaufen? Wäre es nicht ethisch und ökologisch viel sinnvoller, nur den Teil zu züchten, den ich essen will?"

Man kann sich die nächste Science-Slam-Nummer schon vorstellen: Der Molekularbiologe Martin Moder als kopfloses Huhn ohne Beine, wie er über die Bühne robbt in Richtung Pfanne - und die Begründung für diesen bizarren Auftritt auch noch mitliefert.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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