Schadenfreude im Hirn:Verdientes Unglück

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Glaubt man Neurologen vom University College of London, dann ist der Hang zur Schadenfreude tief in der Nervenstruktur unseres Denkorgans verwurzelt. Und Männer empfinden sie offenbar eher als Frauen.

Sebastian Herrmann

Der Kollege ist ein Ekel. Und er ist erfolgreicher als die anderen in der Abteilung. Bis zu dem Tag, an dem er wegen eines peinlichen Fehlers ein ganzes Projekt beerdigen muss.

Eigentlich sind sie dicke Freunde, die Filmkomiker Oliver Hardy und Stan Laurel. Doch in vielen ihrer Geschichten beginnen sie aus nichtigen Anlässen, sich gegenseitig zu ärgern, zu prügeln oder die Absicht des anderen zu durchkreuzen. Das schaukelt sich zum Vergnügen des Zuschauers immer weiter hoch. Und wenn der eine dann nach langem Hin und Her betrübt dasitzt, kann der andere herzlich über das Missgeschick des anderen lachen. (Foto: Foto: dpa)

Der Kunde springt ab, der finanzielle Schaden für die Firma ist gravierend, der Chef tobt. Und die Kollegen in diesem fiktiven Szenario?

Die genießen diesen Augenblick wahrscheinlich. Genießen, dass es ihn endlich erwischt hat, den Kollegen, den sie wegen seines Erfolges beneidet und wegen seiner Art verabscheuen. Sie kosten ihre Freude im Stillen aus, denn Schadenfreude zu genießen sei teuflisch, urteilte schon der Philosoph Arthur Schopenhauer.

Doch unterdrücken lässt sich diese Empfindung nicht, sie ist ein festes Mitglied des Ensembles der menschlichen Emotionen.

Glaubt man den Neurologen Tania Singer und Claas Enno Stephan, dann ist der Hang zur Schadenfreude sogar tief in der Nervenstruktur des Gehirns verwurzelt, wie sie aktuell im Magazin Nature berichten. Und möglicherweise kosten Männer ihre Schadenfreude sogar ein wenig mehr aus, als Frauen das tun.

Weshalb steckt die Freude am Leid anderer in uns? Ist die Gattung Mensch so verkommen, dass uns das bloße Unglück eines anderen belustigt?

Die Anwort ist einfach: Nicht das reine Unglück eines Menschen erfreue uns, es käme vielmehr darauf an, wie das Sozialverhalten dieses Menschen zuvor beurteilt wird, argumentieren Psychologen. Diese Annahme wird nun von den Ergebnisse der Wissenschaftler vom University College of London untermauert.

Tania Singer und ihre Kollegen wollten verstehen, wie das Leid eines anderen Menschen im Hirn eines Beobachters verarbeitet wird und wie Sympathie oder Abneigung für das Opfer zu den Ergebnissen der Hirnscans passen.

Dazu ließen die Forscher 32 Probanden zunächst in Paaren eine Variante des so genannten Gefangenendilemmas spielen, bei dem die Beteiligten profitierten, wenn sie sich kooperativ verhielten. Zwischen die Probanden mischte Tania Singer zwei Schauspieler, die eine egoistische Strategie verfolgten und sich zum Schaden der anderen bereicherten.

Freund oder Ekel

So sollten Mitspieler zum Freund oder zum Ekel aufgebaut werden. Sympathie oder Abneigung stellten die Forscher per Fragebogen fest. Anschließend versetzten Singer und ihre Kollegen einzelnen Teilnehmern vor den Augen anderer Versuchspersonen leichte Stromschläge.

Tatsächlich hingen die Hirnaktivitäten der Beobachter, die mittels einer funktionellen Kernspinaufnahme (fMRI) verfolgt wurden, stark vom vorangegangenen Verhalten des Opfers ab: War er als fairer Spieler in Erinnerung, aktivierten sich die Schmerzzentren in den Hirnen der Betrachter; sie fühlten mit.

Ganz anders, wenn einer der beiden unfairen Schauspieler traktiert wurde. Die männlichen Beobachter empfanden Freude, der Nucleus Accumbens sprang an, in dem Belohnungen verarbeitet werden.

Offenbar hatten die Beobachter das Gefühl, der unfaire Egoist hätte sein Leid verdient. Die Reaktion der weiblichen Beobachter veränderte sich hingegen kaum, sie fühlten auch den Schmerz mit, den ein unfairer Proband erleiden musste, obwohl sie im Fragebogen starke Abneigung gegen die bestrafte Person angegeben hatten.

Neid und Missgunst

"Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist wirklich überraschend, danach hatten wir eigentlich gar nicht gesucht", sagt Tania Singer. Warum dieser Unterschied bestehe, sei jedoch unklar.

"Frauen zeigen generell mehr Empathie", sagt der Psychologe Richard Smith von der University of Kentucky - ein möglicher Grund. Tania Singer vermutet, dass es im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte vor allem Aufgabe von Männern gewesen sei, Verhalten körperlich zu bestrafen, das der Gruppe schadet.

"Die Männer haben in ihren Fragebögen auch ein größeres Bedürfnis geäußert, die unfairen Spieler zu bestrafen", sagt Singer. Frauen würden stattdessen womöglich zu anderen, etwa seelischen Sanktionen greifen, vermuten die Forscher.

Das legen Ergebnisse einer Studie nahe, an der Tania Singer derzeit arbeitet. Dabei ist die Bestrafung unfairer Spieler nicht physisch, sondern finanziell. "Da sind Unterschiede zwischen Männern und Frauen geringer."

Denn die Lust auf Vergeltung ist keine rein männliche Domäne. Zumindest der Schweizer Ökonom Ernst Fehr, der in ähnlichen Versuchsanordnungen wie Singer Rachegefühle untersucht hat, berichtet von keinem geschlechtsspezifischen Verhalten. "Zu finanziellen Sanktionen greifen Frauen genauso wie Männer."

Auch Richard Smith hat in seinen Versuchen keine Hinweise für einen besonderen männlichen Hang zur Schadenfreude festgestellt. So ließ er Studenten unter einem Vorwand zwei Versionen eines Films bewerten.

Beide erzählten die Geschichte eines Studenten, der erwischt wird, als er Drogen stiehlt. Einmal war ein bescheidener, mittelmäßiger Student das Opfer, einmal ein großkotziger, erfolgreicher junger Mann aus reichem Hause.

"Er hat es ja verdient"

Den guten Studenten bewerteten die Probanden als unsympathisch. Und sie gaben zu, dass sie ihn beneideten und ihm sein Unglück gönnten - Männer wie Frauen. Der Mensch empfindet eben dann Genugtuung, wenn ein Kollege scheitert, der um seinen Erfolg beneidet oder für sein Verhalten verachtet wird.

Schadenfreude stelle sich vor allem ein, wenn man sich sagen könne, "er hat es ja verdient", kommentiert der Bielefelder Psychologe Manfred Holodynski.

"Dafür scheint diese Arbeit der erste Beleg auf neuronaler Ebene zu sein", sagt Richard Smith über die Studie Singers. Mit neurowissenschaftlicher Forschung war Tania Singer übrigens bereits von klein auf konfrontiert: Sie ist eine Tochter des deutschen Hirnforschers Wolf Singer.

© SZ vom 20.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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