Risikofaktor Inzest:Was steckt hinter dem Tabu?

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Sex zwischen engen Angehörigen ist und bleibt tabu. Doch als Begründung reicht es nicht, auf ein größeres Gesundheitsrisiko von Kindern aus Inzest-Beziehungen hinzuweisen.

Christina Berndt

Es ist eines der letzten großen Tabus. Nur Mord und Kannibalismus verursachen gemeinhin noch größere Abscheu als der Geschlechtsverkehr zwischen engen Angehörigen. Kaum jemanden kümmert es mehr, wenn Männer andere Männer lieben oder Frauen andere Frauen. Doch die einvernehmliche Liebe zwischen engen Blutsverwandten bleibt eine Straftat. Eine der Begründungen: Der Nachwuchs könnte nicht gesund sein.

Das Geschwisterpaar Susan K. und Patrick S. hat bereits vier Kinder. (Foto: Foto: dpa)

Tatsächlich entspricht der Nachwuchs aus Inzest-Beziehungen oft nicht der Norm. Zu ähnlich sind die Gene der Eltern. All die kleinen Fehler, die jeder Mensch in seinem Erbgut trägt, fallen nicht auf, wenn man sich in der weiten Welt nach einem Partner umschaut. Etwa sechs defekte Gene hat jeder Mensch. Aber er hat auch von jeder Erbanlage zwei Versionen. So ist meist noch ein gesundes Gen da, das den Fehler in seinem unzulänglichen Double wettmacht.

Das Problem von Geschwistern: Sie sind im Durchschnitt zur Hälfte genetisch identisch. Wenn sie miteinander Kinder bekommen, geben sie womöglich dasselbe fehlerhafte Gen weiter. "Das Risiko, dass der Nachwuchs behindert ist, ist sehr hoch", sagt Arne Pfeufer, Humangenetiker an der TU München. In der größten Untersuchung zum Thema hat eine tschechische Genetikerin 161 Kinder aus Inzestbeziehungen erfasst - 44 Prozent von ihnen waren geistig behindert, zwei Drittel davon schwer.

"Das Risiko könnte überschätzt werden"

"Das Risiko könnte aber überschätzt werden, weil Menschen, die sich zu solchen inzestuösen Verbindungen zusammenfinden, nicht repräsentativ sind", gibt Peter Propping zu bedenken, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik. "Meist ist mindestens ein Elternteil selbst geistig zurückgeblieben." Das gilt wohl auch für die Geschwister aus Sachsen. Zwei ihrer vier Kinder seien minderintelligent, heißt es. Aber liegt das am Inzest? Auch beide Eltern haben nur die Förderschule besucht, der Mutter wird mangelnde geistige Reife attestiert.

Wie hoch das Gesundheitsrisiko für die Nachkommen auch immer sein mag: Die medizinische Begründung des Karlsruher Urteils mag der Heidelberger Genetiker Claus Bartram nicht akzeptieren. "Es gibt Hunderte von Erbkrankheiten in der Bevölkerung, die ein ebenso hohes Risiko für die Kinder bedeuten", sagt der Professor. "Niemand würde auf die Idee kommen, solchen Leuten zu verbieten, dass sie sich fortpflanzen." Vielmehr werde es den Betroffenen überlassen, selbst zu entscheiden."

Enge Vertrautheit als Liebestöter

Dass das Inzest-Verbot bestehen bleibt, liege vermutlich an den Emotionen, die das Thema auslöse, meint Arne Pfeufer. Schließlich könne sich kaum jemand vorstellen, mit seinen nächsten Verwandten im Bett zu landen.

Die enge Vertrautheit töte jedes sexuelle Begehren, postulierten Anthropologen schon vor hundert Jahren. Ein Beleg dafür sind die Simpua-Ehen in Taiwan. Dort wachsen einander versprochene Kleinkinder gemeinsam im Haus des Bräutigams auf. Ihre Ehen bleiben häufig kinderlos.

Als Liebestöter haben sich auch die Kibbuzim in Israel erwiesen. Kinder, die dort von Geburt an zusammenleben, heiraten einander fast nie, wie israelische Anthropologen herausfanden. Ein Massenphänomen wird die körperliche Geschwisterliebe also kaum werden, selbst wenn alle Inzest-Paragraphen in allen Gesetzbüchern dieser Welt verschwänden.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, Geschwister seien zur Hälfte genetisch identisch. Dies gilt aber nur im Durchschnitt, Geschwister können auch mehr oder weniger gleiche Gene tragen, je nachdem, welche Gene sie von Vater und Mutter geerbt haben. Wir haben die Passage geändert.

© SZ vom 14.03.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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