Quallen im Mittelmeer:Sie sind unter uns

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Milliarden Quallen erobern auch in diesem Jahr das Mittelmeer. Josep-María Gili, Spaniens wichtigster Experte für Glibbertiere, wertet das im SZ Wissen als Aufschrei der Natur.

Karin Steinberger

Josep-María Gili hat ein Büro nahe am Meer. Von seinem Schreibtisch aus kann er den ganzen Tag draufschauen. Es sieht gut aus. "Ja, es hat eine tolle Oberfläche, aber das täuscht, unten schaut es furchtbar aus", sagt er. Er muss es wissen.

10.000 Giftzellen auf jedem Zentimeter: Quallen im Mittelmeer. (Foto: Foto: AFP)

Hinter ihm strahlen 100 bunte Zauberwesen von einem Plakat herunter: "Gelatinous zooplankton" steht darüber. So genau weiß er nicht mehr, wie er an die Quallen und all die anderen gallertartigen Organismen des Meeres geraten ist.

Er mochte sie schon als Kind, vielleicht deswegen. Vielleicht auch, weil man sich als Ökologe irgendwann für irgendwas entscheiden muss. Gelatinous zooplankton. Josep-María Gili lächelt, dann führt er einen weg vom Meer, hinunter in den Keller, wo es duster ist und kalt. Wie unten im Ozean, unter der tollen Oberfläche. Sie liegt schon da.

Eine Schönheit ist sie nicht. Sieht aus wie aufgequollenes Toilettenpapier, ein schlabbriger, blasser Haufen, Pelagia noctiluca, die in der Nacht Leuchtende, ein Wunderwerk an Einfachheit, zwei Gewebeschichten, dazwischen eine glibbrige Substanz, die den Körper stabilisiert und als Sauerstoffspeicher für die Muskeln dient, Schirm, Geschlechtsorgane, ein Magenraum ohne Anus, ein Nervensystem ohne Gehirn. Schlicht und effizient.

Ausgerüstet mit einer der spektakulärsten Entwicklungen, die die Evolution auf Zellebene hervorgebracht hat: Tentakel mit Nesselkapseln, die bei Berührung mit der Wucht einer Gewehrkugel winzige Stiletten durch die Haut ihrer Opfer jagen und sie betäuben oder töten, um sie dann Richtung Mund zu transportieren. 10.000 Giftzellen auf jedem Zentimeter. Quallen, Medusen, Jellyfish, sie haben hier viele Namen. Es sind die überlebensfähigsten Organismen, die die Evolution je hervorgebracht hat. Über der Leuchtqualle dröhnt keuchend der Laborabzug und saugt das Gemisch aus Formaldehyd und Fisch ein, das sie ausdünstet. Man sieht ihr ihre über 500-millionenjährige Erfolgsgeschichte nicht unbedingt an.

Josep-María Gili lehnt am Seziertisch und schaut zu, wie seine wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen mit feinen Pinzetten Tentakel aus dem Glibber heraussuchen, sie in die Länge ziehen und ordentlich auslegen.

"Diese Organismen wissen mehr von der Welt als wir"

Hier unten im Keller des Institut de Ciències del Mar in Barcelona sind seine Quallen eher eine Enttäuschung. Im grellen Laborlicht sacken die schwerelosen Schönheiten der Meere zu wabernden Häufchen zusammen, Tentakel liegen herum wie die abgerissenen Leinen der Fischer am dusteren Grund des Mittelmeers. Hier schrumpfen Medusen zu dem, was sie sind: 95 Prozent Wasser.

"Eines ist sicher, diese Organismen wissen mehr von der Welt als wir", sagt Josep-María Gili, seine Mitarbeiterinnen kichern, lassen einen Tentakel aus Versehen zurückschnalzen, suchen, zupfen, legen ihn wieder ordentlich hin. Gili sagt: "Quallen denken nicht, aber sie machen das Richtige. Sie überleben einfach." Momentan tun sie das sogar sehr erfolgreich. Sie überleben so zahlreich, dass Pelagia noctiluca sich in den letzten Jahren zum Fluch des Mittelmeers entwickelt hat, zum Schrecken der Badestrände, zum Albtraum aller Touristen und Hotelbesitzer. 22.000 Verletzte gab es letztes Jahr allein an den Stränden Kataloniens.

Tausende Urlauber, von giftigen Nesselkapseln verätzt, mit schmerzhaften Rötungen und infizierten Wunden. In Malaga mussten im Jahr davor an einem einzigen Augusttag 400 Schwimmer behandelt werden. Strände wurden gesperrt, von Plagen schrieben die Zeitungen und von Invasionen glibbriger Tiefseemonster, von gigantischen Tentakeln und riesigen Bänken von Quallen, die sich zusammenrotten, um das Mittelmeer zu übernehmen.

"Die Quallen wollen eigentlich gar nicht an den Strand, da sterben sie nur. Sie versuchen, die Küste zu meiden, sind ja lang nicht so dumm, wie alle immer glauben", sagt Josep-María Gili, lacht, weil es so unsinnig ist. Eine Übernahme, als sei der Krieg ausgebrochen zwischen Glibbertieren und Homo sapiens. Er weiß, dass die Quallen stören. Am Strand, da sind sie schlecht fürs Geschäft. Aber die Frage ist auch: Wer stört hier wen?

"Sie sind ein natürliches Phänomen, sie waren immer schon da, nur nicht so viele und nicht so nahe am Strand. Die jagen uns nicht, sondern wir schwimmen ihnen in den Weg. Wir Menschen sind ja auch sehr viele, zu viele", sagt Gili und erzählt von den gigantischen Schwärmen, die Medusen bilden, Millionen von frei schwimmenden, gallertartigen Organismen, ohne Herz und Blut und Hirn, aber immer zusammen, damit sich ihre frei herumschwimmenden Eier und Spermien finden, und die Feinde sie für einen Fisch halten, zu groß, um gefressen zu werden.

Nichts wissen sie und trotzdem funktionieren sie. Bei Helligkeit lassen sie sich nach unten fallen, dümpeln herum im sicheren Dunkel der Tiefe, nachts pumpen sie sich durch rhythmisches Zusammenziehen des Schirms hoch zum Futter.

Es sind die Winde, die sie aus dem Rhythmus blasen, die sie an Orte treiben, die sie meiden sollten. Die "Brisas" tragen sie voran, Richtung Strand, Richtung Tod. Und noch etwas treibt sie an. Der Klimawandel. Weil es seit Jahren immer weniger regnet und nicht mehr genug kaltes Süßwasser vom Land ins Meer fließt, weil dadurch eine natürliche Barriere verschwunden ist, die Quallen früher ferngehalten hat vom Strand.

Und dann auch noch die mediterranen Hitzewallungen. Der italienische Meeresforscher Carlo Nike Bianchi sagt, die Temperatur des Oberflächenwassers im Mittelmeer sei in den vergangenen zehn Jahren an manchen Stellen um zwei bis drei Grad Celsius gestiegen.

Aufnahmen des Beobachtungssatelliten Envisat der Esa bestätigten die Entwicklung. Im Sommer 2006 erwärmte sich das östliche Mittelmeer an manchen Stellen auf mehr als 30 Grad. Das Problem, sagt Gili, ist die Kombination der beiden Phänomene. In Spanien haben sie letztes Jahr ein Frühwarnsystem eingerichtet, Fischer, Wissenschaftler und Touristen sollen melden, wenn Quallen auftauchen: Operation Jellyfish.

Die Quallen sind aber gar nicht das Problem", sagt Josep-María Gili, geht im Labor auf und ab, holt einen großen Tiefseeschwamm aus einer Schachtel. Er hat ihn aus dem Antarktischen Ozean mitgebracht. Mit diesem stinkenden Ungetüm geht er in Schulen und erklärt Kindern das Meer. Und dass da unten eben keine Monster leben.

Bei den Kindern hat er gelernt, die Dinge einfach zu halten. Kein Professorengeklingel. Das hilft ihm, wenn er mit den Erwachsenen redet. In letzter Zeit redet er sehr viel mit Erwachsenen. Auch ihnen muss er erklären, dass da unten keine Monster leben. Leichter als bei den Kindern ist das nicht.

"Das Meer ist das Meer und kein Schwimmbad, da leben auch Tiere. Wenn man in die Berge geht, zieht man sich doch auch richtig an", sagt Josep-María Gili, packt seinen antarktischen Schwamm zurück in die Schachtel, schaut die ordentlich auf dem Tisch ausgebreitete Pelagia noctiluca an, verletzlich sieht sie aus. Er hat das noch nie verstanden, diese Werbebroschüren-Vorstellung vom Meer, als hätte die Natur kein Recht dazu, dort zu sein. Hunderte von Interviews hat Gili in den letzten Jahren gegeben.

"Sie sind ein natürliches Phänomen, sie waren immer schon da." (Foto: Foto: AFP)

Die Qualle als Opfer

"Je größer das Problem, desto größer das Interesse", sagt er. Es ist neu, dass sich so viele Menschen für seine Forschung interessieren. Ihm kommt das gerade recht. Er redet mit allen, seine Mission ist die Aufklärung. Und dann schwärmt er von den Medusen, von ihren anspruchsvollen Nervenzellen, den raffiniertesten, die es in der Natur gibt, von ihrer Fähigkeit, in nur einer Woche einen Tentakel zu ersetzen.

Er erzählt von ihrer effizienten Verdauung, die jeden Tag 60 Prozent des eigenen Gewichts aufnehmen kann, von den zwei Systemen, die ermöglichen, dass gleich wieder Futter nachgeschoben wird. Er zeigt, wie Quallen zusammenschrumpfen, wenn nicht genug Nahrung da ist. Zeigt Fotos einer Pelagia noctiluca, die Fische von oben angefressen haben. Die Qualle als Opfer.

"Die Fische sind doch nicht blöd, natürlich fressen sie den Magen, da sind die besten Dinge drin. Die Tentakel lassen sie uns übrig", sagt er und lacht. Er zeigt diese Wunderwerke, weil er sich Sorgen macht. Die Meere seien doch zu gigantischen Abfalleimern verkommen, der ganze Boden voller Unrat. Mit den modernen Ausrüstungen könne man all das deutlich sehen, die zerstörten Korallenbänke. Es war das Tauchboot Jago des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften in Kiel, das die ersten Bilder vom Mittelmeergrund lieferte.

Er sieht sie sich oft an. Es ist duster und schlickig da unten, und voller Leinen und Netze, die herumtreiben, lauter Todesfallen. Die Zahl der Quallen steigt weltweit an, es werden zu viele, viel zu viele. Verantwortlich dafür ist der Mensch. Die globale Erwärmung, fehlender Regen, Überfischung. Der Mensch frisst die, die die Quallen fressen. Große Fische, Schildkröten.

Vor der Küste Namibias, sagt Josep-María Gili, kamen vor 15 Jahren auf eine Qualle 15 Fische. Das sieht heute anders aus. Es steht drei zu eins für die Quallen. 12,2 Millionen Tonnen Medusen auf 3,6 Millionen Tonnen Fisch. Alle wissen es, und doch geht es weiter. Der Mensch räumt die Meere leer und wundert sich, wenn das Folgen hat. Die rasante Vermehrung der Quallen ist nicht nur ein mediterranes Phänomen. Japan, Namibia, Alaska, Venezuela, Peru, Australien. "Es ist ein internationales ökologisches Problem", sagt Josep-María Gili. Ein Irrsinn sei das, denn nur die Hälfte des Fischs, der gefangen wird, komme auf den Teller. Der Rest gehe verloren, weil es der falsche Fisch sei oder zu viel Fisch oder zu billiger Fisch.

In Namibia fangen sie mehr, als sie essen können, in anderen Ländern rufen sie vom Schiff aus an und fragen nach dem aktuellen Marktpreis, ist er zu niedrig, schmeißen sie Teile des Fangs wieder weg, geringes Angebot, höherer Preis. In Mexiko werfen sie alles, was am amerikanischen Markt nicht verkauft werden kann, zurück ins Meer, anstatt es selber zu essen.

Andere fischen weiter, obwohl das Schiff voll ist, es könnte ja Größeres kommen. Und die Politik subventioniert das Geschäft. Gili sagt: "Für mich ist das wie Flaschenpost, die Quallen sind eine Mitteilung aus dem Meer, in der steht, dass es so nicht weitergehen kann." Im November des vergangenen Jahres sind innerhalb von wenigen Tagen nördlich von Belfast riesige Schwärme von Pelagia noctiluca in zwei Lachsfarmen geraten.

Ein Schwarm war 25 Quadratkilometer groß und reichte bis zu zehn Meter in die Tiefe. In der einen Farm starben 100.000 Fische, in der anderen 140.000, Gesamtschaden 2,1 Millionen Euro. Leuchtquallen hätten seine Lachse überfallen, jammerte der Verwalter. Quatsch, sagt Gili, sie wurden hineingetrieben, die Nesselkapseln an den Tentakeln entladen sich bei Berührung automatisch. Bedenklich aber sei, dass sie so weit im Norden waren.

"Das Überraschende ist, die Quallen sind mittlerweile überall", sagt Josep-María Gili. In Japan kämpfen die Fischer seit Jahren mit Schwärmen von Nemopilema nomurai, bis zu 200 Kilogramm schweren Riesenquallen mit fünf Meter langen Tentakeln und zwei Metern Durchmesser, die ihnen die Netze verstopfen und die Fische erdrücken. Im Jahr 2000 bedrohten nach einer Massenvermehrung Millionen von ungewöhnlich großen, australischen Phyllorhiza punctata die Krabbenfischerei in New Orleans. 2006 verstopften Quallen die Kühlungsanlage eines japanischen Atomkraftwerks.

Und in Norwegen sind Millionen leuchtend roter Tiefseequallen der Art Periphylla periphylla in den Lurefjord eingefallen, der seitdem fischfrei ist. Seit Jahren warten Wissenschaftler auf den Zusammenbruch der Quallenpopulationen. Aber es passiert nichts.

Noch dazu lebt Periphylla periphylla normalerweise in 1000 Meter Tiefe, der Eingang des Fjords liegt aber gerade mal 25 Meter unter der Wasseroberfläche. Oder Mnemiopsis leidyi, das "kaspische Monster", eine Rippenquallenart, die 1982 aus dem Ostatlantik wahrscheinlich im Ballastwasser von Schiffen ins Schwarze Meer kam und das dortige Ökosystem überrannte.

Es war ganz einfach: Es gab keine natürlichen Fressfeinde und durch den zunehmenden Salzgehalt des Meerwassers, die Überfischung und die Verschmutzung fand sie ideale Bedingungen. 1989 betrug die Biomasse der Rippenqualle dort eine Milliarde Tonnen. Sie vermehrte sich - alle anderen litten.

Der Sardellenfang brach innerhalb weniger Jahre von 500.000 auf 100.000 Tonnen ein. Am Höhepunkt waberten 7600 Quallen auf einem Quadratmeter, die Fischindustrie kollabierte. Im Herbst 1990 wurde Mnemiopsis leidyi das erste Mal in der Ägäis gesehen, 1999 im Kaspischen Meer, 2006 in Kiel. Das Schwarze Meer erholte sich erst, als man auch ihren stärksten Räuber importierte: die Rippenqualle Beroe ovata.

Stundenlang könnte Gili solche Geschichten erzählen vom Durcheinander der Meere. Im Sommer 2006 entdeckten britische Forscher vor Cornwall einen Schwarm tropischer Mondfische, die sich durch eine Armada von Quallen fraßen. Das warme Wasser hatte sie in den nördlichen Atlantik gelockt. Mediterrane Doraden treiben sich in der Nordsee herum, in einer Bucht vor Mallorca begegneten Taucher einem Weißspitzenriffhai, der sonst vor den Malediven und Australien lebt.

Im Mittelmeer fühlen sich immer mehr Einwanderer wohl: Große Barrakudas aus dem Roten Meer, giftige Rotfeuerfische aus dem Indischen Ozean, tropische Quallen und Hammerhaie, Seepferdchen und Papageienfische.

Unten im Keller des Institut de Ciències del Mar klatschen Gilis wissenschaftliche Mitarbeiterinnen eine zweite Qualle auf den Tisch. Sie ist größer, kompakter. Cotylorhiza tuberculata, auch sie ein Mittelmeerbewohner. Sie nennen sie das Spiegelei, weil sie von oben so aussieht. Wenn es ihr gut geht. Wenn es ihr schlecht geht, ist sie eher weiß. Das Problem ist, dass es ihr im Institut sehr oft schlecht geht. Seit Jahren kämpfen sie hier mit der Materie, versuchen zu verstehen, schneiden im durchsichtigen Glibber herum, kämpfen mit der schnellen Verdauung der Quallen, die schon nach ein paar Stunden nichts mehr im Magen haben.

Drüben, in Raum zwei, fahren ein paar Pelagia noctiluca in der ewigen Strömung des Aquariums herum. "Grupo Medusas" steht an der Wand. So heißt das Team von Professor Gili. Die Quallen sind tot, aber das Aquarium funktioniert jetzt. Monatelang haben die Techniker herumgebastelt, haben die Strömung linksrum und rechtsrum laufen lassen, von oben und von unten, haben große Fischtonnen ausprobiert und kleine. Geholfen hat nichts, obwohl sie in der Natur scheinbar nahezu alles überleben - hier sind die Medusen empfindlich.

Tödliche Luftblasen

Die falsche Strömung, das falsche Essen, das falsche Licht reichen. Eine Pelagia noctiluca, die zu oft an die Aquariumwand knallt, geht ein, dann hängen ihre Tentakel lustlos im Wasser herum, sie wird blass und irgendwie labbrig. Gili sagt, man sehe sofort, wenn es einer Meduse nicht gut geht.

Was haben sie schon Quallen aus dem Meer geholt, unzählige Male haben Gilis Mitarbeiterinnen Dacha Atienza und Verónica Fuentes Eimer ins Meer getaucht, ganz langsam, damit keine Luftblase in den Quallenschirm gerät. Eine Luftblase reicht. Ist der Quallenmund offen, schwebt sie sofort in den Magen, da sieht man sie dann im blassen Glibber, eine Todesblase, für immer eingeschlossen.

Die wenigen Quallen, die Dacha Atienza und Verónica Fuentes lebend fangen konnten und die in einem einigermaßen guten Zustand waren, sind dann in den Versuchsaquarien eingegangen. Jetzt warten sie auf einen Anruf der Agència Catalana de l'Aigua (ACA), die seit sieben Jahren 243 Strände in Katalonien nach Quallen absucht - im Winter wie im Sommer. Aber es ist wie verhext, das ganze Meer ist voller Quallen und im Institut bekommen sie keine. "Wir wissen einfach nicht, wann sie wo sind", sagt Josep-María Gili.

Der Nordwind treibt die Medusen in den Süden, bei Bewölkung kann man sie fast nicht sehen, die, die am Strand herumliegen, sind in einem derart schlechten Zustand, dass man sie gar nicht mitzunehmen braucht.

Sie arbeiten im Institut jetzt mit den Daten der Agència Catalana de l'Aigua, versuchen Zusammenhänge zu erkennen, wann in den letzten Jahren große Quallenschwärme wo aufgetreten sind, in welcher Konzentration, in welcher Häufigkeit, was sind die Trends. Und sie warten auf den Anruf.

Eines ist jetzt sicher. 30-mal fanden die Forscher zwischen November und Januar Quallen, in manchen Fällen vier bis zehn pro Quadratmeter. In Mallorca sind gerade wieder welche angeschwemmt worden. Sie vermehren sich also auch im Winter. Was das für den Sommer bedeutet? Josep-María Gili starrt die toten Quallen an, dann sagt er: "Na ja, es ist auf jeden Fall gut, dass wir so früh schon darüber reden. Aber um die ganze Dimension zu begreifen, brauchen wir mehr Daten."

Es gibt noch so viele Fragen. Wie oft reproduzieren sie sich? Verkürzt sich der Zyklus, wenn das Wasser wärmer ist? Fressen sie lieber Plankton oder Fischeier und Larven? Was bedeutet das für die Fischbestände? Auf dem Schreibtisch von Josep- María Gili steht eine Flasche Sonnencreme - Especial Meduse.

Fett ist Schutz, das hat schon sein Vater gewusst, er hat den Jungen immer mit Olivenöl eingeschmiert, bevor er ins Meer durfte. Manche haben in den letzten Jahren in Spanien mit den Medusen ein Geschäft gemacht.

In den Apotheken gibt es teure Quallensonnencreme. "Ein Quatsch ist das, jede Sonnencreme hilft", sagt Gili. Es ist nicht seine Sache, die Geschäftemacherei. Und Panik auch nicht. Noch nie ist ein Mensch im Mittelmeer an einer Qualle gestorben.

Natürlich, die tropischen Gattungen verbreiten sich immer mehr, besonders im östlichen Mittelmeer. Und im vergangenen Jahr hat Gili mehrere Physalia physalis an der südspanischen Küste gesehen, eine Art aus der Gattung der Seeblasen, eine Polypenkolonie, die nur die Erscheinungsform einer Qualle hat. Sie nennen sie die "Portugiesische Galeere".

Schön ist sie mit ihrer bläulich schimmernden sackförmigen Gasblase und ihren bis zu 20 Meter langen blauen, weißen oder rotvioletten Tentakeln. Zwei Menschen nesselte sie einst ins Koma.

Das tödlichste aller Nesseltiere

"Wenn bei uns eine gefährlich werden könnte, dann sie", sagt Josep-María Gili, und winkt dann gleich wieder ab. Er kennt das schon, die Leute trauen den Quallen das Schlimmste zu. Das mag auch an Chironex fleckeri liegen, der Seewespe, dem tödlichsten aller Nesseltiere. In Nordaustralien zäunen sie wegen ihr zwischen Mai und Oktober ganze Badestrände seeseitig ein und gehen nur mit nesselsicheren Badeanzügen ins Wasser.

Man braucht Glück, um eine Berührung mit ihr zu überleben, die meisten verlieren schon durch die gewaltigen, schockartigen Schmerzen nach einer Berührung das Bewusstsein. Atemlähmung, Herz-Kreislauf-Störungen, bei einem Drittel der Zusammenstöße mit ihr tritt der Tod innerhalb von drei Minuten ein.

"Sie legen ihre Tentakel wie Fischnetze ins Wasser", sagt Gili, als müsste er erklären, dass auch sie nur tut, was sie tun muss. Es ist der Mensch, der ihr in die Quere schwimmt. Sicher ist jedenfalls, dass keine andere Art so zum schlechten Ruf der Quallen beigetragen hat wie sie.

Gili regt sich lieber auf über die sinnlosen Methoden, mit denen sie jetzt dem Tourismus zuliebe das Problem in Spanien ganz schnell lösen wollen. Quallen mit Netzen zu fangen, was für ein Unsinn, die Tentakel reißen ab, treiben herum, sind noch tagelang nesselnd. Oder die Schildkröten aus Mittelamerika, die sie an der Küste Andalusiens aussetzen wollen. Nicht alle halten das für eine gute Idee.

Natürlich fressen Schildkröten Quallen, es gibt Arten im Indischen Ozean, die verschlingen eine Tonne in der Woche. Aber wie sollen die in Spanien überleben, wie sollen sie ihre Eier legen auf Stränden, auf denen schon die Menschen kaum Platz haben. Und noch bevor sie nach leeren Stränden suchen, werden sie Plastiktüten verschlingen, die aussehen wie Quallen, und an ihnen ersticken.

Es war der Meeresbiologe Richard Ellis, der prophezeite, dass man sich künftig von Quallenpasta und Quallensandwich ernähren wird, wenn der Mensch so weitermache. Fisch jedenfalls werde es bald nicht mehr geben. Auch Josep-María Gili hat manchmal solche Gedanken, er hat sogar schon Quallenkekse probiert. Eine kulinarische Offenbarung waren sie nicht, und auch die Idee, sie nach Asien zu exportieren, hält er für einigermaßen sinnlos.

Die haben davon wirklich selber genug, sagt er und lacht. Seine Mitarbeiterinnen werfen die Quallen zurück ins Formaldehyd, dann machen sie unten im Keller das Licht aus. Zum Abschied sagt Josep-María Gili dann nur noch eines: "Die Quallen werden noch hier sein, wenn wir schon lange von der Erde verschwunden sind."

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