Gehören Sie auch zu den Menschen, die mit einem gewissen Vergnügen Ungeziefer vernichten? Dann sollten Sie in sich gehen, denn womöglich schlummern dann sadistische Züge in Ihnen. So zumindest lautet ein Ergebnis einer Studie, die ein Team um den kanadischen Persönlichkeitspsychologen Delroy Paulhus von der University of British Columbia in der Fachzeitschrift Psychological Science (online) vorgestellt hat. Er wollte damit belegen, dass es jenseits aller spektakulären Gewaltverbrechen einen verbreiteten Alltagssadismus als Bestandteil recht normaler Persönlichkeiten gibt.
Dabei sind sich Psychologen einigermaßen einig, dass sozial unerwünschte Eigenschaften auch im subklinischen Bereich bei normal integrierten Menschen mit weitgehend unauffälliger Lebensführung auftreten. So postulieren Paulhus und andere Forscher seit Jahren die Existenz von Persönlichkeitseigenschaften, die sich überproportional häufig gerade bei Führungskräften findet: die sogenannte Dunkle Triade.
Angehörige dieser Gruppe zeichnen sich alle durch große Gefühlskälte und Ich-Bezogenheit aus, unterscheiden sich aber nach drei Typen: Der Machiavellist etwa ist ein skrupelloser Manipulator, während der Psychopath eher direkt und rücksichtslos vorgeht, ohne Angst vor Konsequenzen. Für den Narzissten dagegen geht es in grenzenloser Selbstüberschätzung in erster Linie um Bewunderung.
Bei allen drei Typen liegt die Störung so weit im subklinischen Bereich, dass sie ein bürgerliches Leben führen, weder morden noch Sexualverbrechen begehen.
Auf der Spur der Trolle
Paulhus nun vermutete seit Längerem, dass es auch einen subklinischen, alltäglichen Sadismus gebe, wie er sich etwa im Internet zeige. Wer sonst etwa sollte Freude haben an grausamen Spielen, Filmen und Pornos? Auch das Treiben der Trolle in den Foren und Chats, die bösartige Kommentare verfassen, meist ohne ihre Opfer zu kennen, deutet in diese Richtung: "Sie wissen nur, dass sie andere Menschen damit unglücklich machen, was in vielen Fällen auf eine sadistische Ader schließen lässt", so Paulhus.
Doch wurden solche Personen bislang von der Wissenschaft vernachlässigt, forensische Psychiater etwa beschäftigen sich eher mit den schweren Fällen, die hinter Gitter gehören oder dort bereits sitzen.
Das Team um Paulhus entwickelte nun einen Test, bei dem potenziellen Sadisten eine Möglichkeit eröffnet wurde, andere Lebewesen - vermeintlich - zu quälen und zu töten. In der Studie, in der es vorgeblich um "Persönlichkeit und Toleranz bei belastenden Arbeiten" ging, wurden die Probanden vor die Wahl gestellt: Sie konnten entweder ihre Hände in Eiswasser halten, eine schmutzige Toilette reinigen oder drei Asselindividuen namens Muffin, Ike und Tootsie in eine Kaffeemühle verfrachten und durch das knirschende Mahlwerk jagen. Sie wussten nicht, dass die Tiere dank eines Auffangbehälters die Prozedur in Wirklichkeit unbeschadet überstanden.
Immerhin die Hälfte der Probanden entschied sich für die Ungeziefervernichtung, wobei von diesen jeder Zweite selbst Hand anlegte, die anderen übergaben die Tiere lediglich dem Experimentator. Zugleich ergab sich, dass sich vor allem jene Testpersonen für die Tierquälerei entschieden, die vorab in einem Persönlichkeitstest hohe Sadismuswerte erzielt hatten. Im Anschluss gaben sie zu Protokoll, dass sie die Aufgabe mit Vergnügen absolviert hätten, das sich mit jeder "Tötung" noch gesteigert hätte.
Wie aber würden sich Sadisten gegenüber Menschen verhalten? Das zeigte ein zweites Experiment. Hier sollten Probanden einen real gar nicht vorhandenen Gegenspieler im Reaktionstest mit einem lauten Geräusch strafen - oder ebendies unterlassen.
Wie zu vermuten war, trieben Probanden mit sadistischer Neigung die Strafe hoch, vor allem wenn der vermeintliche Mitspieler signalisierte, selbst auf eine Attacke zu verzichten. Nun gingen durchaus auch andere Probanden mit dunklen Neigungen gegen ihre Mitspieler vor, ohne dass sie provoziert hätten. Doch nur die Sadisten investierten sogar Zeit und Arbeit, um das wehrlose Opfer besonders intensiv zu attackieren. Sie quälen aus reinem Spaß an der Freude, während das Leid der anderer etwa für Machiavellisten eher Mittel zum Zweck ist. Eine andere Motivation aber fehlte, die man sonst häufig beim klassischen Sadisten findet - die sexuelle Komponente.
Für Delroy Paulhus reichen die neuen Ergebnisse, um eine Erweiterung der Dunklen Triade zu einer Tetrade aus vier negativen Eigenschaften zu fordern. Er will in Zukunft mit seinem Team untersuchen, ob und inwieweit alltäglicher Sadismus eine Rolle spielt bei Mobbing, bei der Misshandlung von Tieren, Beziehungsgewalt oder der Brutalität von Polizei und Militär. "Die Täter weisen oft hohe Sadismuswerte auf, wobei wir noch nicht wissen, ob die Gewalt aus der Neigung resultiert oder ein bestimmtes Ziel wie etwa physische Dominanz hat", sagt Paulhus.
Ein Schwerpunkt des Teams wird das Internet der Cyberstalker und Trolle sein, zumal die Forscher von der Offenheit der anonymen Täter profitieren. "Es ist kaum zu glauben, welche Neigungen Menschen eingestehen, wenn sie online befragt werden", sagt Paulhus. "In einem persönlichen Interview würde das kaum einer zugeben."
Auf jeden Fall wird die neue Studie die Forschung befruchten. "Das aktuelle Ergebnis ist wirklich bahnbrechend", sagt Matthias Ziegler von der Humboldt-Universität zu Berlin. "Es wird wohl auch einige Fachleute überraschen und zu kontroversen Diskussionen führen."