Der Franzose Jean-Luc Touly hat die Organisation ACME (Association pour le Contrat Mondial de l'Eau) mitbegründet, die gegen die Wasserprivatisierung kämpft und sich weltweit für bezahlbares Trinkwasser engagiert. Er arbeitet seit Anfang der 80er Jahre im Unternehmen Veolia. 2006 veröffentlichte er zusammen mit Roger Lenglet das Buch "Multinationals and Water, The Unspeakable Truth". Zuletzt wirkte er in dem Arte-Film "Water Makes Money" mit, gegen den Veolia vor Gericht klagt.
natur: Herr Touly, in dem Film "Water Makes Money" werfen Sie dem französischen Wasserkonzern Veolia, bei dem Sie angestellt sind, Korruption vor ...
Touly: Das sind keine persönlichen Vorwürfe, ich zitiere öffentlich bekannte Vorfälle. Etwa die Verurteilung des früheren Bürgermeisters von Grenoble, der wegen Korruption für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis muss. Und das war kein Einzelfall. Nicht nur Veolia wurde von den Gerichten zur Verantwortung gezogen, sondern zum Beispiel auch Suez, das zweite große Unternehmen in Frankreich. Mal wurden Vertragsbrüche aufgedeckt, mal unredliche Verträge oder unsaubere Geschäftsverhandlungen. Trotz solcher Fakten hat man mir nach der Ausstrahlung auf Arte alles Mögliche vorgeworfen: Lüge, Übertreibung, Ideologie, mangelnde Seriosität.
Veolia hat Sie verklagt. Müssen Sie befürchten, dass man Sie zwingt, manche Äußerungen im Film zurückzunehmen?
Ich riskiere eine Verurteilung wegen ein oder zwei Aussagen. Mehr nicht. Das erste Urteil ist ohnehin nicht endgültig. Es wird wohl noch drei, vier Jahre vor den Gerichten weitergehen. Egal wie es ausgeht: Seine grundsätzliche Gültigkeit wird der Film behalten.
Derzeit wird über die Privatisierung des Wassers gestritten. EU-Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier will eine Richtlinie vorlegen, der zufolge öffentliche Aufträge europaweit ausgeschrieben werden sollen. Fürchten Sie, dass mit einer solchen Richtlinie, wie auch immer sie am Ende genau aussieht, die Wasserversorgung privatisiert wird?
Das Problem ist, dass öffentliche Unternehmen mit privaten konkurrieren müssen; es geht nicht allein um die Wasserversorgung, sondern auch um die Abwasserreinigung. Mandatsträger, die sich für öffentliche Unternehmen stark machen, werden es schwerer haben. Sie müssen dann bei Entscheidungen auf alle Interessen Rücksicht nehmen.
Für die Privatisierung werden in der Regel verschiedene Argumente vorgebracht: mehr Effizienz, Wirtschaftlichkeit, geringere Kosten.
Das wird alles nicht eingelöst. Private Unternehmen wollen Gewinne machen, und die Folgen einer Privatisierungspolitik sind immer dieselben: undurchsichtige Verträge für die Kommunen, hohe Preise für Kunden, zu wenig Investitionen in die Leitungsnetze, mangelnde Kontrolle und zu wenig wirkliche Regulierung durch den Staat. In Frankreich haben wir das alles erlebt. 80 Prozent des Wassermarktes sind in der Hand von Privaten. Und immer wieder zeigt sich: Die Wasserqualität ist häufiger problematisch.
Die Europäische Bürgerinititative hat mit der Aktion "Right 2 water - Wasser ist ein Menschenrecht" bereits 1,3 Millionen Unterschriften gegen eine Privatisierung gesammelt. Ist solch eine große Resonanz nicht überraschend?
Ganz und gar nicht. Aber leider muss ich auch sagen, dass die französischen Parteien in dieser Frage mal wieder sehr zaghaft sind und unsere Gewerkschaften nahezu unsichtbar. Deshalb hat die Petition bei uns auch eher wenige Unterschriften erhalten - kaum mehr als ein paar Zehntausend, während in Deutschland schon mehr als eine Million Menschen unterschrieben haben. Niemand will sich bei uns mit Veolia und Suez anlegen. Zugegeben: Es ist schwer, Unternehmen zu kritisieren, die viele Angestellte haben. Deshalb muss man sich auch nicht wundern, dass die Wasserversorgung ein sehr geheimes, undurchschaubares und kaum verstandenes Geschäft ist.
(Die Europäische Bürgerinitiative "Wasser ist ein Menschenrecht" hat inzwischen eigenen Angaben zufolge 1,5 Millionen Unterschriften gesammelt. In acht Staaten wurde das erforderliche Mindestquorum überschritten, Anm. d. Red.)
Denken Sie denn, der Film "Water Makes Money" hat dennoch zu einem Umdenken geführt?
Wir haben viele Menschen erreicht, in den Programmkinos, durch die Ausstrahlung auf Arte und auf anderen Sendern. Aber ich befürchte, vielen Europäern ist immer noch nicht wirklich bewusst, was zurzeit geschieht. Ich hatte kürzlich ein Interview mit einem niederländischen Fernsehteam. Da wurde mir erst klar, wie verunsichert und besorgt die Niederländer über Barniers Pläne sind. Es fehlen ihnen genauere Informationen, welche Konsequenzen die Richtlinie haben könnte. Man muss sich darüber im Klaren sein: Die Richtlinie wird es Privatkonzernen ermöglichen, zu einer ernsthaften Konkurrenz für öffentliche Unternehmen zu werden. Ich sage deshalb: Achtung vor der Richtlinie von Barnier!
Andererseits: Wird die Debatte um die Privatisierung nicht übertrieben? Denn es ist doch auch zu beobachten, dass viele Kommunen über ihre Wasserwerke wieder selbst bestimmen wollen und deshalb die Konzessionen mit den Privatunternehmen aus-laufen lassen.
Es handelt sich jedenfalls nicht um eine Scheindebatte. Die EU drängt die hoch verschuldeten Länder Italien, Griechenland und Portugal massiv dazu, ihre Verschuldung abzubauen - und für dieses Ziel öffentlichen Besitz zu verkaufen. Ich halte eine solche Politik für einen großen Fehler. In Frankreich lässt sich seit Jahrzehnten beobachten, wozu die Privatisierung geführt hat. Wir haben früh damit begonnen. Und es ist kein Wunder, dass die großen europäischen Wasserversorger aus Frankreich kommen.
In Deutschland ist die Situation etwas anders. Es gibt mit Gelsenwasser ein großes öffentliches Unternehmen, das mit den privaten mithalten kann. Ich bin zwar zu 100 Prozent ein Verteidiger des öffentlichen Sektors, aber es stimmt schon: Wenn es mehrere Unternehmen gibt, öffentliche wie private, die miteinander konkurrieren, dann verändert das den Markt zum Besseren.
Trotzdem kann man - zumindest in Frankreich und Deutschland - einen Trend zur Rekommunalisierung beobachten.
Ja, in Frankreich erleben wir diesen Trend seit vier Jahren: Die Kommunen übernehmen wieder Stadtwerke, die sie zwischenzeitlich privatisiert hatten. Zunächst holten sich mittelgroße Städte ihre Wasserwerke zurück. Dann folgte 2010 Paris, später Rouen, Brest, dann Rennes und zuletzt Nizza, das seit mehr als 150 Jahren - seit 1864 - die Wasserwerke einem privaten Unternehmen anvertraut hatte. Insgesamt haben die Privaten massiv an Marktanteilen verloren. In manchen Städten sind die Preise für Wasser im Schnitt um vierzig Prozent gesunken, in einem Fall sogar um 78 Prozent.
Sie arbeiten seit mehr als 30 Jahren für Veolia. Was hat Sie zum Kritiker gemacht?
Das begann 1981, als ich in der Gewerkschaft CGT in eine Leitungsposition aufgestiegen bin. Wir hatten uns damals für eine Verstaatlichung von Veolia ausgesprochen (das Unternehmen hieß zu jener Zeit Compagnie général des eaux). Wir lagen damit auf einer Linie mit François Mitterrand, der kurz darauf zum Präsidenten gewählt wurde. Im Wahlkampf gab er das Versprechen, die zwei großen französischen Wasserunternehmen wieder zu verstaatlichen. Die waren nach dem Zweiten Weltkrieg privatisiert worden. Doch seine Reform scheiterte, und das Unternehmen blieb privat.
1999 sind Sie der Organisation Attac beigetreten.
Ja, ich hatte schon die Gründung im Jahr zuvor genau verfolgt. Aber wichtiger für mich war ein Treffen, das ich 2001 mit Frau Mitterrand hatte. Sie hat mich in meinen Auffassungen bestätigt. Danach war für mich klar, dass ich mich außerhalb meines Unternehmens für die Rekommunalisierung von Veolia einsetzen muss. Veolia hat mich deshalb später rausgeworfen, musste mich aber wieder einstellen. Ich bin überzeugt, dass mein Kampf legitim und wichtig ist.
Was ist heute Ihre Aufgabe im Unternehmen?
Nichts Großartiges. Ich bin jetzt in der Verwaltung der Brunnen von Paris tätig.
Trinken Sie noch Wasser?
Ich trinke nichts anderes als Wasser, ganz selten mal einen Wein. Und bevor Sie fragen: Ich trinke Wasser sowohl aus dem Hahn als auch aus der Flasche. Und das, obwohl ich natürlich weiß, dass auch dieser Markt von Multis wie Nestlé, Danone, Coca Cola bestimmt wird - gegen die ich im Übrigen natürlich ebenfalls kämpfe.