Prähistorischer Pinup?:Die schwäbische Venus

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Fruchtbarkeitssymbol oder Männerphantasie: Tübinger Archäologen wollen die älteste Menschendarstellung gefunden haben. Die Geschlechtsmerkmale der Frauenfigur sind extrem ausgeprägt.

R. J. Brembeck

"Ich war sprachlos, als ich das Stück sah." Nicholas Conard ist ein eher nüchterner Vorgeschichtler. Aber was er im September 2008 im Hohle Fels, einer schwäbischen Höhle nahe der Donau, zu sehen bekam, verschlug dem Tübinger Professor den Atem.

Furchbarkeitssymbol oder Männerphantasie: Bei der Bedeutung der jetzt gefundenen Venus-Figur wollen sich die Wissenschaftler nicht festlegen. (Foto: Foto: ddp / H. Jensen/Universitaet Tübingen)

Sein Grabungsteam entdeckte dort die in sechs Stücke zerbrochene, aber fast vollständige Skulptur einer nackten Frau. Aus Elfenbein geschnitzt, sechs Zentimeter groß, überdimensionale Brüste und Vulva, an Stelle des Kopfes eine Öse, Spitzbeine, "zärtlich geschnitzte" Arme, feine Hände.

Der Fundlage nach, in einer tiefen Schicht des Aurignacien, ist das Stück 40.000 Jahre alt, auch wenn Radiocarbonmessungen, die für jene Zeit recht unsicher sind, nur auf mindestens 35.000 Jahre kommen.

Noch stehen die genaueren Werte der Thermolumineszenz-Datierung aus, aber Conard, der das Stück in der neuesten Ausgabe von Nature (Bd.459, S.248, 2009) präsentiert, ist sich sicher, die bisher älteste Menschendarstellung gefunden zu haben. Zudem ist die Frau eine Urform der 10.000 Jahre jüngeren Figurinen, deren bekannteste die Venus von Willendorf ist.

Die Höhlen an den Flüssen Ach und Lone, heute Hohle Fels, Geißenklösterle und Vogelherd genannt, nutzten die Steinzeitmenschen nur im Winter. Seit den 1860er-Jahren wird hier geforscht.

Bisher wurden 25 Schnitzereien gefunden - Tiere, Menschenfiguren und Mischwesen, aber auch Knochenflöten und Schmuckstücke. Vor zwei Jahren ging der Fund eines 35.000 Jahre alten, zentimeterkleinen Mammuts um die Welt.

Fruchtbarkeit und Männerphantasien

Einer gängigen Theorie zufolge zog Homo sapiens, also jene Menschenart, der auch der heutige Mensch angehört, bei der Besiedelung Europas donauaufwärts und gelangte so ins Ach-Lone-Gebiet. Conard bringt die Elfenbeinpreziosen mit diesen Einwanderern in Verbindung, auch wenn er dafür keine eindeutigen Beweise hat.

Aber er könne sich nicht vorstellen, dass die Meisterstücke von den kulturell unterlegenen Neandertalern geschnitzt worden seien, sagt er. Ähnlich alte Tier- und Menschendarstellungen kennt man nur aus der norditalienischen Höhle von Fumane und, ein wenig jünger, aus der erst 1994 entdeckten Chauvet-Höhle mit ihren Wandmalereien, die wesentlich älter sind als jene von Altamira und Lascaux.

Bei der Deutung der Venus ist Conard vorsichtig. Die Betonung von Brüsten und Vulva verweist auf Fruchtbarkeit, Geburt, Fortpflanzung, vielleicht auch auf Männerphantasien. Möglich ist eine Verbindung zum Schamanismus, der durch die gefundenen Mensch-Tier-Wesen nahegelegt wird: eine Frau auf der Reise in die Geisterwelt, um Fruchtbarkeit zu garantieren.

Ein großes Rätsel bleibt, warum solche komplizierten Figuren, Musikinstrumente und Schmuckstücke bisher nicht in den älteren Homo-Sapiens-Plätzen der Levante oder Afrikas gefunden wurden. Soll man in Schwaben einen entscheidenden Schritt der Menschwerdung vermuten?

Etwas anderes ist dafür längst erforscht. Experimentelle Archäologen haben herausgefunden, dass man etwa 25 bis 50 Arbeitsstunden benötigt, um eine solche Figur mit einer Steinklinge zu schnitzen.

Was recht anstrengend für die Fingermuskulatur ist, weshalb die schwäbische Venus vermutlich ein Projekt für viele Winterabende war. Vom 18.September an ist sie in der großen Landesausstellung in Stuttgart zu bewundern.

© SZ vom 14.05.2009/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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