Porträt:Echt verrückte Fragen

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Martin Hellman entwickelte in den Siebzigerjahren gemeinsam mit Whitfield Diffie ein Verschlüsselungsverfahren für elektronische Kommunikation. Dafür nahm er eine Auseinandersetzung mit dem US-Geheimdienst in Kauf. Heute engagiert sich der emeritierte Professor für den Weltfrieden.

Von Johanna Pfund

Ein Buch über wahre Liebe und Weltfrieden? Wer so etwas schreibt, ist entweder nicht ganz bei Trost oder will die nächste Miss World werden. Eine Website über atomare Bedrohung mit Fokus auf Nordkorea? Das klang vor zehn Jahren paranoid. Heute nicht mehr, seit sich der amerikanische Präsident Donald Trump und der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un mit Angriffsdrohungen überschütten. Verschlüsselung elektronischer Kommunikation? In den Siebzigerjahren verrückt, heute Standard.

Martin E. Hellman, gemeinsam mit Whitfield Diffie Turing-Preisträger des Jahres 2015 und wie Diffie zu Gast beim Heidelberg Laureate Forum, ist schon oft belächelt worden für seine Ideen. Egal - Hellman hat sich nie beirren lassen und er ist konsequent seinen Weg gegangen vom Stanford-Professor zum Autor, der sich für den Weltfrieden engagiert.

Zum ersten Mal stieß Hellman in den Siebzigerjahren an eine Wand. Als Professor für Elektroingenieurwesen an der renommierten Universität Stanford in Kalifornien hatte er sich in die Kryptografie vertieft und suchte allen Warnungen zum Trotz nach einem Weg, elektronische Kommunikation sinnvoll zu verschlüsseln und das Problem Schlüsselaustausch zu lösen. In Whitfield Diffie fand er einen von dieser Idee ebenso besessenen Mitstreiter. Die beiden legten den Grundstein für die Public-Key-Verschlüsselung, die zu einem Standard geworden ist. Auch das Prinzip des Diffie-Hellman-Merkle-Schlüsselaustauschs klingt logisch: Man stelle sich eine Kiste vor, die der Versender mit einem Schloss sichert. Er schickt die Kiste an den Empfänger, der die Kiste mit einem weiteren Schloss in derselben Öse verschließt und die Kiste wieder zurückschickt. Der ursprüngliche Versender nimmt sein Schloss ab und schickt die Kiste nur noch mit dem Schloss des Empfängers zurück. Sehr effizient. Knackpunkt ist die Öse, die groß genug sein muss. Hellman, Diffie und Ralph Merkle waren damals nicht die einzigen, die an dem Problem arbeiteten. Wie sich später herausstellte, hatten auch die Briten beim Government Communications Headquarters (GCHQ) eine Lösung.

Jedoch arbeiteten die im Geheimen, und das sollte nach Ansicht des US-Geheimdiensts National Security Agency (NSA) so bleiben. Kryptografie sei entscheidend für die Sicherheit des Staates und damit Sache des Staates - während Hellman angesichts des zunehmenden Informationsaustauschs auf elektronischem Wege eine Verschlüsselung zum Schutz der Privatsphäre forderte. Es kam zum ersten Krypto-Krieg.

Im Sommer 1977, wenige Monate, bevor Hellman mit seinen Studenten Steve Pohlig und Ralph Merkle seine Verschlüsselungsarbeit bei der nur in Fachkreisen bekannten Konferenz "International Symposium on Information Theory" an der Cornell Universität vorstellen wollte, bekam Stanford ein Schreiben von einem gewissen J. A. Meyer. Dieser warnte, dass die Autoren um Hellman gegen Gesetze verstoßen könnten. Die Arbeit sei gleichzusetzen mit dem Export von Atomwaffen, bis zu fünf Jahre Gefängnis konnte das bedeuten. Trotzdem das Paper präsentieren? Hellman entschied sich dafür. Sein Argument: Zwar sei die Verschlüsselung im Zweiten Weltkrieg entscheidend gewesen für die nationale Sicherheit, aber die zunehmende Nutzung automatisierter Information bedrohe Wirtschaft und Privatsphäre.

Dieses Problem erkannte auch NSA-Chef Bobby Ray Inman. Aber ein öffentlich verfügbares Verschlüsselungssystem? Doch die Wissenschaft war nicht aufzuhalten. Kurz darauf boten Ron Rivest, Adi Shamir und Leonard Adleman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Träger des Turing-Preises 2002, ihr RSA-Verschlüsselungssystem öffentlich an. Die NSA setzte schließlich auf freiwillige Kooperation. Inman wurde später gar zum Freund. Er hat auch Hellmans Petition an den Kongress unterzeichnet. Hellman fordert darin vom Kongress eine Studie zur Einschätzung der atomaren Bedrohung - nachzulesen auf seiner Website "Defusing the Nuclear Threat" - (Entschärfen der atomaren Bedrohung).

Würde Hellman sich heute noch einmal in diese Auseinandersetzung stürzen? Er sagt, er habe da eine Art mystischen Standpunkt. Damals sei es ihm um sich selbst gegangen. Er war Forscher, getrieben von einer Idee. Doch sein Status als Stanford-Professor, verbunden mit Geld und Einfluss, habe es ihm ermöglicht, sich jetzt für den Weltfrieden einzusetzen. Auch in Form des neuen Buches: "A New Map for Relationships: Creating True Love at Home and Peace of the Planet". Auslöser für die Richtungsänderung war seine Frau Dorothie. Eine Therapie sollte die Ehe retten, und die Gruppe, die Dorothie dafür fand, kombinierte privates Engagement mit dem für die Welt. Aus der Gruppe wurde in den Achtzigern die Beyond-War-Bewegung.

Frieden und wahre Liebe, dem Turing-Preisträger ist es ernst: Wer miteinander redet, wird keinen Krieg führen, nicht im Privaten, nicht im Öffentlichen. "Im Grunde geht es wie bei der Kryptologie um das Gleiche, um Kommunikation." Auch das Handwerkszeug ist gleich: Es geht darum, Fragen zu stellen. Auch zu Nordkorea. Die Fakten, die Hellman dazu gesammelt hat, will er nun vor den US-Kongress bringen.

Apropos Fragen: Hätte er damals den jungen Kollegen an der Universität, die ihm das Prinzip von Google vorstellten, eine echte Frage gestellt, wäre Hellman jetzt reich. "Aber ich dachte nur: Wie in aller Welt wollen sie mit freier Suche Geld verdienen? Ich war arrogant, nicht neugierig." Immerhin hat er Google doch noch Geld zu verdanken: Das Unternehmen ist seit 2014 Sponsor des Turing Awards, der seitdem mit einer Million Dollar dotiert ist. Doch um die Datensicherheit, für die er gekämpft hat, ist es immer noch schlecht bestellt, findet Hellman. "Schauen Sie all die ausgelaufenen Sicherheitszertifikate an." Auch die Kritik an der NSA ist geblieben. Der Dienst brauche mehr Richtung, sagt er. Ja, die Russen haben die US-Wahlen beeinflusst. "Aber das ist genau das, was die NSA die ganze Zeit macht. Wenn wir faire Wahlen haben wollen, müssen wir auch fair sein." Das funktioniere nur mit Wissen. Könnte er etwas auf Knopfdruck erfinden, "dann wären es hellwache Mitmenschen, die Fragen stellen". Wohl auch solche, die erst einmal verrückt klingen.

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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