Die Vergiftung des russischen Regimekritikers Alexander Litwinenko mit Polonium hat das radioaktive Schwermetall in die Schlagzeilen gebracht. Der Wissenschaftshistoriker Robert Proctor weist nun darauf hin, dass die meisten Menschen mit dem Stoff in Berührung kommen, weil er in Zigarettenrauch enthalten ist.
Der Wissenschaftshistoriker Robert Proctor
(Foto: Foto: Klett Cotta)Zudem wisse die Zigarettenindustrie seit langem von diesem Inhaltsstoff. Proctor ist Professor an der Stanford University in Palo Alto und hat immer wieder in Gerichtsverhandlungen der amerikanischen Regierung gegen die Tabakindustrie ausgesagt. Sein Buch "Blitzkrieg gegen den Krebs" über die Gesundheitspolitik im Dritten Reich ist bei Klett-Cotta erschienen.
SZ: Professor Proctor, Sie schreiben, dass man in Zigaretten Polonium-210 findet. Wie kommt das radioaktive Gift in den Tabak?
Proctor: Wissenschaftler haben lange darüber gestritten, ob Radioaktivität im Zigarettenrauch von radioaktivem Niederschlag kommt, der auf die klebrigen Blätter fällt, oder ob sie von den Pflanzen auf natürlichem Wege aus der Radioaktivität des Bodens aufgenommen wird. Offenbar stimmt letzteres: Die Pflanzen nehmen mit ihren Wurzeln Zerfallsstoffen von Uran auf. Das ist zunächst radioaktives Blei, das sich dann zu Polonium-210 zersetzt, dem wichtigsten strahlenden Isotop im Zigarettenrauch.
SZ: Ist die feststellbare Dosis in einer Zigarette von Belang?
Proctor: Sie ist sicherlich klein - ungefähr 1,5 Millibecquerel pro Zigarette. Man nimmt also mit jeder Zigarette so viele Poloniumatome auf, dass im Durchschnitt alle 11 Minuten eines davon zerfällt. Deswegen ist es schwer zu sagen, welche Rolle Polonium-210 bei Krebserkrankungen spielt. Allerdings gehört das Radioisotop zu den stärksten Emissionsquellen von Alphastrahlung, das ist die bei weitem tödlichste Form von Strahlung, die man einatmen kann. Polonium hat eine Halbwertszeit von 138 Tagen, es ist also bei gleicher Menge mehrere tausend Mal so radioaktiv wie Radium, Uran und sogar Plutonium.
SZ: Was für einen Effekt hat diese Form von Radioaktivität?
Proctor: Man tut jedenfalls gut daran, Alphastrahlungsquellen nicht einzuatmen. Die setzen sich auf dem Lungengewebe fest und verstrahlen so über Jahre und Jahrzehnte die umliegenden Gewebe. So bekommen Uranminenarbeiter Lungenkrebs. Sie atmen Radonisotope ein, welche die Zellen der Lungenbläschen mutieren. Niemand weiß, wie viele genetische Schritte nötig sind, um Lungenkrebs auszulösen, aber Radioaktivität kann einige dieser Veränderungen vollenden. Studien, bei denen Nagetiere Polonium einatmen, haben gezeigt, dass solche Isotope alleine Lungenkrebs auslösen können.
SZ: Wer hat das erkannt?
Proctor: In den geheimen Archiven der Tabakindustrie finden sich schon in den 50er-Jahren Diskussionen über die radioaktiven Gefahren von Tabakrauch. Damals machte man sich allerdings noch um strahlendes Kalium Sorgen. Der Durchbruch kam aber 1964, als Edward Radford und Vilma Hunt von der Harvard University detaillierte Messungen des radioaktiven Poloniums im Tabakrauch veröffentlichten.
Das brachte die Zeitschrift Science nur zwei Wochen nach dem Bericht des Gesundheitsministeriums heraus, der bestätigte, dass Rauchen Lungenkrebs auslöst. Viele Wissenschaftler dachten damals, Radioaktivität sei der Grund, warum Rauchen Menschen tötet. Die Forscher der Tabakindustrie begannen eine ganze Reihe geheimer Untersuchungen, um herauszufinden, wie viel Polonium in Tabak ist und ob uranreiche Düngemittel dafür verantwortlich sein könnten.
SZ: Dann wissen die Tabakfirmen schon seit Jahren davon?
Proctor: Sie wissen seit Jahren davon und noch viel mehr. In den geheimen Archiven der Tabakindustrie gibt es hunderte von Untersuchungsberichten über Polonium. Andere Dokumente beschäftigen sich damit, ob Spezialfilter Polonium eliminieren können. Das waren frustrierende Untersuchungen, weil es in Wahrheit sehr schwer ist, ein Gift aus dem Tabakrauch zu entfernen, ohne ein anderes Gift zu vermehren. Wenn man den Teer entfernt, atmen die Menschen mehr Nikotin ein, das beim Verbrennen karzinogene Nitrosamine produziert.
SZ: Gibt es nicht deswegen Zigaretten mit Filtern und niedrigem Nikotingehalt?
Proctor: Filter sind ein Mythos. So etwas wie sauberen Rauch gibt es nicht. Sie beruhigen die Öffentlichkeit, obwohl die Zigaretten-Industrie seit den 30er-Jahren weiß, dass die Filterfunktion des Tabak selbst genauso gut ist, wie die des Zellulose-Azetats, das heute in Filtern verwendet wird.
Deswegen fordern einige Antitabakaktivisten ja auch das Verbot von Filtern. Sie sparen der Industrie nur Geld und die Leute denken, sie rauchen gesünder. Das Gleiche gilt für "Light"-Zigaretten. Leute, die darauf umsteigen, neigen dazu, stärker zu ziehen oder mehr zu rauchen.
SZ: Wie viele krebserregende Stoffe sind denn in einer Zigarette enthalten?
Proctor: Im Zigarettenrauch sind Dutzende Karzinogene. Die wichtigsten sind Arsen, Benzopyrene, Nitrosamine und ein Hexengebräu aus polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, Aldehyden, Phenol und so weiter. Teer und Nikotin sind die wichtigsten Gifte.