Patente auf Stammzellen:Die Entdeckung der Moral

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Ob auf Abtreibungspillen oder Panzer - in früheren Jahren wurden selbst fragwürdige Patente ohne große Skrupel vergeben. Doch bei Stammzellen pochen Patentämter plötzlich auf die guten Sitten.

Christina Berndt

Es gab eine Zeit, da spielte Moral im Patentrecht kaum eine Rolle. Patentämter sollten prüfen, ob eine Erfindung neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar ist. Ob sie gut oder schlecht ist, hatte sie nicht zu scheren.

Greenpeace hat die "Patente auf Leben" zum Skandal gemacht. Seither haben die Patentämter Skrupel - aber nur bei Stammzellen. Bei Waffen spielen ethische Erwägungen keine Rolle. (Foto: Foto: dpa)

In den USA ist das bis heute so. Dort werden Patente auf Waffen genauso unbekümmert vergeben wie auf tierquälerische Kosmetiktests. Diesseits des Atlantiks aber haben die Patentämter neuerdings Skrupel bekommen.

Theoretisch hat der Schutz von Erfindungen hier seit langem ethische Grenzen - doch praktisch stieß kaum jemals ein Erfinder daran, der sich die Rechte an seinen Ideen sichern wollte.

Seit Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1877 den Vorgänger des Deutschen Patent- und Markenamtes gründete und sich 1973 die ersten Länder Europas zum Europäischen Patentübereinkommen zusammenschlossen, sollten die Patentrichter immer auch die Moral im Auge haben: Erfindungen seien nur dann patentierbar, wenn ihre Anwendung nicht gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstößt, den Ordre public.

Interessante Krebsmaus

Doch die Gute-Sitten-Paragraphen haben in all den Jahren kaum jemanden interessiert. Ohne Zaudern wurde Erfinderschutz für Abtreibungspillen, Panzer und Mittel zum Einschläfern erteilt - obwohl sich über deren Anwendung trefflich streiten ließe.

Längst sind auch "Patente auf Leben" etabliert. So liegen gleich mehrere Verwertungsrechte auf der Krebsmaus, einem armen Tier, das besonders schnell Tumore entwickelt und deshalb für Krebsforscher interessant ist.

Auch die Nutzung vieler Erbanlagen ist durch Patente geschützt, obwohl Kritiker sagen, hier handele es sich allenfalls um Entdeckungen. Erfunden habe die Gene schließlich die Natur.

Im Jahr 2004 aber kam es plötzlich zum Eklat: Damals lehnte das Europäische Patentamt (EPA) mit Sitz in München die Patentierung einer Methode ab, mit der sich aus menschlichen Embryonen Stammzellen gewinnen lassen. Das verstoße gegen den Ordre public, begründete die Behörde ihre Entscheidung.

Bei der Gewinnung der Stammzellen würden Embryonen zerstört - ein Angriff auf die Menschenwürde. Derzeit überprüft das EPA sein Votum. In Kürze wird das Urteil erwartet, das als Grundsatzentscheidung zur Patentierbarkeit der Embryonenforschung gilt.

Lehrbeispiel Briefbombe

Auch der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigt sich derzeit mit ebendieser Frage. Seine Entscheidung über ein jüngeres Patent des Bonner Neuropathologen Oliver Brüstle wird aber erst 2010 fallen.

Bis zu der denkwürdigen Ablehnung des EPA galt die Briefbombe angehenden Patentanwälten als Lehrbeispiel für das, was der Ordre public im Patentrecht bedeuten könnte: Sie sei nicht patentierbar, weil ihr legaler Einsatz nirgendwo auf der Welt vorstellbar sei, so die Argumentation. Doch das Beispiel war nur theoretischer Natur; eine Anmeldung für eine Briefbombe hatte es in der Geschichte des Patentrechts nie gegeben.

Nun haben die Stammzellen die Briefbombe abgelöst - zur Verwunderung vieler Insider. Stört die Embryonenforschung die öffentliche Ordnung wirklich stärker als die Entwicklung von Schnellfeuerwaffen oder die Herstellung gentechnisch veränderter Pflanzen, welche die Flora dieses Planeten womöglich für immer verändern? Immerhin ist die Stammzellforschung in zahlreichen europäischen Ländern erlaubt.

In welchem Dilemma das Europäische Patentamt steckt, lesen Sie auf Seite zwei.

"Wie kommt ein Patentamt dazu, ethisch zu hinterfragen, was in vielen Ländern legitim ist?", ärgerte sich daher Joseph Straus vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum vor kurzem während eines Symposiums in der Münchner Patentanwaltskanzlei Bardehle und Partner.

Umstrittenes Verfahren: Zur Stammzellengewinnung einem menschlichen Embryo eine einzelne Zelle entnommen. (Foto: Foto: AP)

Der Gute-Sitten-Artikel, so Straus, gelte schließlich nur, wenn "tragende Grundsätze der Rechtsordnung oder ethisch fundierte Normen von zentraler Bedeutung und allgemeiner Verbindlichkeit" verletzt werden. Der Jurist findet es daher "absolut untragbar", dass sich die Behörde über die Gesetze der Staaten aufschwingt.

Grenzenloses Potential

Damit sprach er vielen der versammelten Patentrechtler aus der Seele. Ob auch die sieben Richter des EPA, die derzeit die Patentierbarkeit von Stammzellverfahren überprüfen, Straus' Meinung sind, gilt als völlig offen.

Dabei ist eines unstrittig: Der Präzedenzfall aus dem Jahr 2004 erfüllt alle formalen Voraussetzungen für die Erteilung von Verwertungsrechten; die Entdeckung ist neu, erfinderisch und höchstwahrscheinlich auch gewerblich anwendbar.

Vor zehn Jahren machte der Amerikaner James Thomson eine Entdeckung, die die Welt verändert hat. Er gewann erstmals aus menschlichen Embryonen die begehrten Stammzellen, die bis dahin nur von Mäusen bekannt waren. Diesen Zellen wird ein schier grenzenloses Verwandlungspotential zugesprochen.

Womöglich lassen sich eines Tages schwere Krankheiten damit heilen - Ärzte träumen von Therapien gegen Parkinson, Herzinfarkt und Querschnittslähmung, die gewiss ein Milliardenmarkt wären. Trotzdem lehnte das EPA, anders als sein US-Pendant, den Antrag Thomsons mit Verweis auf die guten Sitten ab.

Das EPA befindet sich in einem besonderen Dilemma. Anders als das amerikanische und das deutsche Patentamt kann es nicht einfach auf nationale Gesetze zurückgreifen. "Gerade bei Stammzellen herrscht ein erheblicher rechtlicher Pluralismus in Europa", seufzt Pierre Treichel, der in der Rechtsabteilung des EPA für den Bereich der Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen zuständig ist.

Exzentrische Gedanken

Während Embryonen in Großbritannien und zahlreichen anderen Staaten weithin akzeptierte Forschungsobjekte sind, verbieten die deutschen Gesetze die Zerstörung von Embryonen kompromisslos. Sie erlauben lediglich unter strengen Auflagen manche Forschungsarbeiten mit den aus Embryonen gewonnenen Stammzellen.

Eben wegen der unterschiedlichen Normsysteme wäre es nur konsequent, den ethischen Diskurs außerhalb der Patentämter zu führen, sagt Peter Munzinger, Partner in der Kanzlei Bardehle. "Dass wir uns bei Embryonen riesige Gedanken machen und bei Atomwaffen gar keine, ist etwas exzentrisch."

Ohnehin lasse sich die Anwendung von Erfindungen mit anderen Gesetzen als dem Patentrecht kontrollieren. Dem stimmt auch Joseph Straus zu. "Ein Inhaber kann mit seinem Patent doch gar nichts anfangen, wenn die Nutzung gegen geltendes Recht verstößt", betont er.

Es könne nicht Aufgabe der Patentämter sein zu überprüfen, in welchem Umfang eine Erfindung verwertet werden darf. Sonst dürfte es auch keine Patente für Fotokopierer geben, weil mit ihrer Hilfe gefälschte Banknoten hergestellt werden können.

Straus kritisiert auch, dass die Patentämter die Arbeit mit Stammzellen bisher genauso bewerten wie deren Gewinnung. "Wenn die Stammzellen einmal aus Embryonen isoliert sind, haben sie doch mit deren Zerstörung nichts mehr zu tun", sagt der Jurist. Stammzelllinien seien heutzutage kommerziell zu erwerben; sie werden im Labor gezüchtet, ohne dass dafür neue Embryonen zerstört werden müssen.

Auf Seite drei: Der Erfolg der Aktivisten

Gewöhnlich ist es den Patentämtern nämlich egal, wie ein Anmelder zu seiner Erfindung gekommen ist. "Er mag Industriespionage begangen haben, bei seinen Versuchen gegen Tierschutzvorschriften verstoßen oder einen Akt der Biopiraterie begangen haben", sagte Rainer Moufang, juristisches Mitglied einer Beschwerdekammer des EPA einmal vor dem Nationalen Ethikrat.

Entscheidend für die Patentierbarkeit sei in den Augen der meisten Patentrechtler nicht, ob die Erfindung in sittenwidriger Weise zustande gekommen ist, sondern ob es sittenwidrig ist, sie zu nutzen. Bei Stammzell-Erfindungen könne das durchaus anders gesehen werden, sagt dagegen Dieter Schneider, Leiter einer Prüfungsabteilung am Deutschen Patent- und Markenamt.

Patente als kommerzieller Anreiz

Das an den Embryonen begangene Unrecht wohne den Stammzellen inne und mache auch weitere Verfahren unpatentierbar: "Die immer vorangehende Verwendung von menschlichen Embryonen verstößt gegen die Menschenwürde und damit gegen die grundlegenden Werte unserer Verfassung", erläutert Schneider das Urteil des Bundespatentgerichts, mit dem das erwähnte Brüstle-Patent im Jahr 2006 zum Teil für nichtig erklärt wurde.

Das aber hieße, dass Forscher mehr forschen dürfen, als sie sich später patentieren lassen können. Die Innovationsfreude werde dadurch bedroht, beklagt Jochen Pagenberg, Partner in der Kanzlei Bardehle. Gerade auf einem so innovativen Gebiet wie der Stammzellforschung sei aber der Patentschutz wichtig: "Sonst wird die Forschung behindert und verlangsamt."

Mit der umgekehrten Überlegung spricht sich Christoph Then gegen eine Patentierung der Embryonenforschung aus. "Patentierung bedeutet kommerziellen Anreiz", sagt er. Then spürt seit Jahren im Auftrag von Greenpeace öffentlichkeitswirksame Bio-Patente auf und geht mit spektakulären Aktionen dagegen vor.

Er fordert die Patentrichter auf, die Folgen ihres Tuns stärker zu bedenken. "Unter Ordre public müssen nicht nur die Auswirkungen von Erfindungen, sondern auch die der Patente selbst betrachtet werden", sagt Then. So hätten Schutzrechte für Brustkrebs-Gene nachteilige Folgen für die Patientinnen, weil die Kosten für Diagnose-Tests in die Höhe schnellten.

Doch das EPA hat seine eigenen, sehr speziellen Regeln. Dass es sich grundsätzlich keineswegs als Sittenpolizei betrachtet, verrät schon ein genauer Blick auf den Gute-Sitten-Artikel 53a: Selbst wenn eine Technik in allen Mitgliedsländern des Europäischen Patentübereinkommens geächtet ist, bedeute das noch lange nicht, dass sie nicht patentierbar ist, heißt es im letzten Satz.

Hinter vorgehaltener Hand sprechen Fachleute denn auch eine böse Vermutung aus: Dass das EPA ausgerechnet beim Thema Bio-Patente so zimperlich ist, liege allein an Christoph Then und den anderen Kein-Patent-auf-Leben-Aktivisten. Seit Greenpeace die Bio-Patente zum Thema gemacht hat, ist das bis dato relativ unbeachtete EPA ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik geraten.

Immer wieder berichten die Medien über Aktionen, bei denen das Patentamt eingemauert wird oder Babypuppen aus Eisblöcken glotzen. Solche Kritik aber kann sich die Behörde nicht leisten. Patente befinden sich ohnehin in der Legitimitätskrise.

Früher sollten sie einmal Erfindern einen Anreiz bieten, die Öffentlichkeit schnell an Innovationen teilhaben zu lassen. Heute sitzen vor allem Firmen auf Patenten - eigentlich nur, um Investoren anzulocken.

© SZ vom 30.08.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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