Orientierung:Kompass im Kopf

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Eingenordete Landkarten beeinflussen die Orientierung des Menschen erheblich. Sogar in vertrauter Umgebung finden sich Menschen besser zurecht, wenn sie nach Norden blicken.

Sebastian Herrmann

Wie findet sich der Mensch in der Welt zurecht? Oder, um die Frage weniger universell zu stellen, wie stellt es ein Tübinger an, sich in seiner schwäbischen Kleinstadt zu orientieren? Auf diese Frage liefern Julia Frankenstein von der Universität Freiburg und Tobias Meilinger vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen eine Antwort ( Psychological Science, online vorab). Sie ließen Probanden durch eine virtuelle Version der Universitätsstadt navigieren und die Richtung von zuvor festgelegten Punkten anzeigen. So wollten die Wissenschaftler feststellen, ob sich ihre Testpersonen eher anhand von markanten Ortsmarken oder durch Kenntnis des Stadtplans leiten ließen. Und obwohl alle Probanden die Stadt vor allem als Fußgänger oder Autofahrer kennengelernt haben, prägt der Stadtplan trotzdem entscheidend den Orientierungssinn, schreiben Frankenstein und Meilinger.

Auf Landkarten und Globen liegt Norden oben. Deshalb assoziieren viele Menschen eine Reise in diese Richtung mit einem Weg, der bergauf führt. (Foto: plainpicture)

Die Probanden sahen ein virtuelles Modell Tübingens, in dem sie zunächst ihren jeweiligen Standpunkt im Ort erkennen sollten. War dies geschehen, sollten sie in die Richtung eines zufällig ausgewählten, aber vertrauten Punktes in der Stadt deuten. Die Forscher variierten dabei die Blickrichtung der Probanden: War diese in Richtung Norden ausgerichtet, fiel es den Testpersonen leichter, in die korrekte Richtung zu zeigen. Blickten sie in eine der anderen drei Himmelsrichtungen, fiel die Trefferquote erheblich.

Dies zeige, wie stark die Orientierung von Menschen in westlichen Ländern durch eingenordete Landkarten beeinflusst sei, schreiben die Forscher. Denn wenn die Probanden sich anhand eines inneren Modells der Stadt orientierten, das nur durch persönliche Erfahrung entstanden sei, müsste die Entfernung, nicht aber die Himmelsrichtung eine Rolle spielen: Je weiter der Punkt entfernt ist, den die Probanden anzeigen sollten, desto schlechter müsste die Trefferquote ausfallen. Tatsächlich war der Erfolg der Testpersonen unabhängig von der Entfernung. Es sei erstaunlich, dass die Orientierung des Menschen so stark von Landkarten geprägt sei, schreiben die Autoren, besonders da Tübingen sämtlichen Teilnehmern der Studie sehr vertraut sei und einige seit Jahrzehnten nicht mehr auf den Stadtplan geschaut hätten.

Wie sehr nach Norden ausgerichtete Landkarten Menschen beeinflussen, zeigten auch Leif Nelson von University of California in San Diego und Joseph Simmons von der Yale University im Journal of Marketing Research (online). Die Vorstellung, dass Norden "oben" und Süden "unten" liegt, wie es auf einer Landkarte suggeriert wird, beeinträchtigt die Wahrnehmung. Demnach glauben Menschen in der Regel, dass eine Reise bei gleicher Distanz in den Norden länger dauert als in den Süden. Wegen eingenordeter Landkarten "assoziieren Menschen eine Reise in den Norden damit, dass es bergauf geht", schreiben Nelson und Simmons.

© SZ vom 03.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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