Ordnungen im Tierreich:Falkes neue Brüder

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Seit es Genanalysen gibt, müssen die Familienverhältnisse der Tiere neu geordnet werden. Dabei treten erstaunliche Verwandtschaften zu Tage.

Robert Lücke

Der Tyrannosaurus rex gilt nicht zuletzt dank einiger Auftritte im Kino als schrecklichstes Raubtier, das je auf der Erde gelebt hat. Diesem Image abträglich ist jedoch die in jüngerer Zeit gewonnene Erkenntnis, dass der Körper des Sauriers wahrscheinlich nicht mit einer reptilientypischen Panzerhaut bedeckt war, sondern mit einem weniger horrortauglichen Körperschmuck: T-Rex war wohl mit den heutigen Vögeln verwandt - und trug wahrscheinlich Federn.

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Was die Ordnung der Tiere betrifft, muss neu gelernt werden, seit es Genanalysen gibt.

Seit es möglich ist, auch das Erbgut von Tieren zu untersuchen und zu vergleichen, muss ein großer Teil der biologischen Abstammungsgeschichte und die Systematik vieler Arten umgeschrieben werden. Vor allem unter Vögeln gibt es Verwandtschaften, die bis vor kurzem nicht für möglich gehalten wurden. "So wurden die Falken stets zu den Greifvögeln gerechnet", sagt Michael Wink vom Institut für Molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg. "Doch heute ist klar: Die Falken sind überhaupt keine Greifvögel. Die Erbgutanalyse hat gezeigt, dass ihre nächsten Verwandten Papageien und Singvögel sind."

Ebenso überraschend entdeckten Forscher eine enge Verwandtschaft zwischen Krokodilen und Vögeln. Die Tierklasse "Reptilien", die seit Generationen in der Schule gelehrt wird, soll es künftig nicht mehr geben. Stattdessen wird es wahrscheinlich vier andere, eigene Linien geben: Krokodile, Schlangen-Echsen, Schildkröten und Vögel. Eine Eidechse ist demnach mit einem Vogel genauso nah oder entfernt verwandt wie mit einem Krokodil.

Die lange Zeit in der Taxonomie übliche Praxis, Tiere und Pflanzen aufgrund ihres Äußeren zu gruppieren, ist überholt. "Was einander ähnlich sieht, hat sich oft nur an denselben Lebensraum angepasst", sagt der Stuttgarter Zoologe Claus König. Über die Verwandtschaftsverhältnisse sage ein ähnliches Äußeres aber nur wenig aus.

Selbst in weit voneinander entfernten Tierklassen gibt es erstaunliche Konvergenzen im Aussehen. Unter Konvergenz verstehen Biologen die parallele Entwicklung ähnlicher Merkmale bei nicht miteinander verwandten Arten. So hat das Säugetier Maulwurf verblüffend ähnliche Grabschaufeln wie die Maulwurfsgrille - ein Insekt, das sich mit dem Säuger den Lebensraum teilt. Das Säugetier Wal hat eine ähnliche Torpedoform wie der Hai, ein Fisch, und der Vogel Pinguin. Deren Unterschiede sind seit langem klar, aber ihr Beispiel zeigt, wie ähnlich sich Tiere sehen können, wenn sie die Lebensräume und Nahrungsansprüche teilen.

Auch andere, weniger spektakuläre Verwandtschaften wurden in letzter Zeit bekannt: So ist die Schneeeule nur eine nach Norden gewanderte Uhu-Art; der Flamingo ist entgegen früherer Ansicht weder mit Reihern noch Störchen verwandt, sondern mit dem Haubentaucher.

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Umgekehrt verhält es sich mit Eulen und Nachtschwalben, die aufgrund ihrer Nachtaktivität beide große Augen haben. Die DNS-Analyse ergab, dass sie ansonsten nicht viel gemein haben, außer, dass beide Vögel sind.

So ist es auch bei den Tyrannen, die in Amerika die Fliegenschnäpper Eurasiens vertreten, aber keine sind; oder die Steißhühner Amerikas, die europäischen Rebhühnern ähneln und wie diese leben, aber keine Hühnervögel sind.

Vergangenes Jahr wies Claus König nach, dass der Rocky-Mountains-Sperlingskauz, den man für eine Unterart des Sperlingskauzes aus Mitteleuropa gehalten hatte, von diesem nicht nur geographisch, sondern auch verwandtschaftlich meilenweit entfernt ist. "Die Unterschiede im Erbgut sind derart groß, dass man ihn für eine andere Gattung halten kann", sagt König.

Manchmal jedoch führt auch der Blick ins Erbgut zunächst auf eine falsche Fährte. So war es bei einer sehr prominenten Tierart, dem Andenkondor. Er galt lange Zeit mit seiner Flügelspannweite von bis zu 3,20 Metern als der größte Neuweltgeier und damit größte Greifvogel überhaupt. In jedem Zoo, jedem Schulbuch und in Brehms Tierleben wurde der Kondor als der größte Greif der Welt beschrieben.

Dann hieß es plötzlich, er sei ein Storch. Denn im Gegensatz zu anderen Greifvögeln kann der Kondor keine Gegenstände ergreifen und anders als alle Greifvögel ist er stimmlos. Dafür spritzt er sich zur Kühlung Kot auf die Beine, wie es Störche tun. "Im Kondor, dem Abbild des Geiers schlechthin, haben wir es somit mit einem der spektakulärsten Fälle von Konvergenz in der Vogelwelt zu tun", schrieb Claus König aufgrund dieser Erkenntnisse in einer früheren Arbeit.

Die Aufregung in Fachkreisen war groß. Forscher der Universität Gießen zählten daraufhin die Chromosomen der Altwelt-Greifvögel und Neuweltgeier und fanden ebenfalls Hinweise darauf, dass der Kondor ein Storch sein könnte: Neuweltgeier haben 20 Makrochromosomen, genauso viele wie der Storch.

Umso erstaunlicher sind die neuesten Erkenntnisse, wonach die Neuweltgeier nun doch Greifvögel sind. "40 verschiedene Gene wurden jetzt bei einzelnen Organismen untersucht und verglichen", sagt Michael Wink. "Diese Methode ist eindeutiger und aussagekräftiger als das Chromosomenzählen." Die Neuweltgeier stehen demnach als eigene Linie neben den Altweltgeiern, die in zwei Gruppen unterteilt werden.

Getrennt hätten sich diese Linien vor etwa 40 Millionen Jahren, sagt der Molekularbiologe Wink. Das heißt: Neuweltgeier und Altweltgeier sind miteinander verwandt. Die Geschichte des Kondors zeigt, wie schwierig es ist, Lebewesen systematisch zu ordnen - 270 Jahre nachdem Carl von Linné damit begonnen hat.

© SZ vom 27.03.2009/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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