Neue Erfindungen:Die Herren der Technik

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Lebensgefährliche Airbags, unbequeme Unterwäsche - Ingenieure entwickeln Produkte oft an den Bedürfnissen von Frauen vorbei. Denn bei den meisten Entwicklern handelt es sich um Männer.

Tina Baier

Der Airbag fürs Auto ist eine ausgeklügelte Erfindung. Mit der Entwicklung begann die Automobilindustrie bereits 1967. Es waren einige technische Herausforderungen zu meistern, etwa wie sich der Airbag genau im richtigen Moment innerhalb von Millisekunden aufbläht.

Die Entwickler entschieden sich nach vielen Experimenten schließlich für eine Technik aus der Raumfahrt. Das erste deutsche Auto mit Airbag kam 1980 auf den Markt.

Davor wurden bei Unfallversuchen mehr als 250 Autos zu Schrott gefahren. Im Labor gab es mehr als 2500 Crashtests und Tausende Versuche mit einzelnen Bauteilen des Airbags. Nur eine Kleinigkeit hatten die Entwickler vergessen: Auch Frauen fahren Auto und sie sind in der Regel etwas kleiner und zierlicher als Männer.

"Die ersten Airbags waren für Frauen und Kinder ein lebensbedrohliches Risiko, weil sie mit zu großer Wucht herausschnellten", sagt Martina Schraudner von der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung in München.

Die Wissenschaftlerin hat sich damit beschäftigt, warum bei vielen Produktentwicklungen, vor allem im Bereich Technik, die Bedürfnisse und Ansprüche von Frauen oft unberücksichtigt bleiben. In ihrem Projekt Discover Gender, das vom Forschungsministerium gefördert wurde, hat sie einen Katalog mit Fragen erarbeitet.

Diese sollten bei der Entwicklung eines Produkts gestellt werden, um Fehler wie beim Airbag zu vermeiden.

"Einer der Gründe für das fehlende Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse von Frauen ist, dass in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der meisten Unternehmen Männer das Sagen haben", sagt Schraudner.

Nach einer Untersuchung des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft sind in Entwicklungsteams deutscher Unternehmen 88 Prozent der Mitarbeiter männlich. Und das, obwohl in zahlreichen Studien nachgewiesen wurde, dass Teams mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis erfolgreicher arbeiten, als solche, die überwiegend aus Männern oder überwiegend aus Frauen bestehen.

Die Fragen aus Schraudners Leitfaden klingen zum Teil beinahe banal. Etwa: "Gibt es körperliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern, die bei der Technikgestaltung berücksichtigt werden sollten?" Doch offenbar ist es keine Selbstverständlichkeit, dass sie bei der Entwicklung eines Produkts gestellt werden.

Es gibt viele weitere peinliche Beispiele wie den Airbag: Die ersten Spracherkennungssysteme, die heute etwa in Service-Hotlines eingesetzt werden, reagierten nicht auf Frauenstimmen.

Die Entwickler hatten übersehen, dass Frauen meist eine höhere Stimmlage haben als Männer. "Die Technik musste mit großem Aufwand nachträglich überarbeitet werden", sagt Schraudner.

Nach ihrer Erfahrung wird ein Produkt umso erfolgreicher, je früher in einem Projekt auf unterschiedliche Bedürfnisse von Frauen und Männern geachtet wird.

Handtaschenhalter im Auto

Ein Beispiel ist der Prototyp eines Pflegeroboters, den Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung entwickelt haben.

Als sie ältere Männer und Frauen befragten, welche Ansprüche sie an einen solchen mechanischen Helfer hätten, zeigte sich, dass die Vorstellungen sehr unterschiedlich waren, obwohl beide Geschlechter mit ähnlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen hatten - etwa Schwierigkeiten beim Gehen.

Frauen wünschten vor allem Hilfe beim Aufstehen und Hinsetzen. Männern war wichtiger, dass der Roboter ihnen Essen bringen kann.

"Dafür sind sehr unterschiedliche technologische Entwicklungen notwendig", sagt Claudia Rainfurth vom Forschungskuratorium Maschinenbau in Frankfurt.

Der Prototyp kann zwar Türen öffnen, Blumen gießen und Dinge holen - beim Aufstehen kann er aber nicht helfen.

"Die Bedürfnisse der Frauen müssten bei der weiteren Entwicklung durch die Industrie dringend berücksichtigt werden", sagt Rainfurth. Immerhin gibt es in der Zielgruppe für Pflegeroboter mehr Frauen als Männer, da sie älter werden und öfter allein leben.

In vielen Bereichen werden Frauen als Kundinnen immer wichtiger. Der Anteil an Frauen, die ein Auto kaufen, wird nach Ergebnissen einer Shell-Studie in den nächsten 20 Jahren von derzeit etwa 30 Prozent auf 50 Prozent steigen.

Trotzdem ignorieren viele deutsche Unternehmen Frauen als Wirtschaftsfaktor. Das zeigt eine Umfrage der Fraunhofer-Gesellschaft bei 331 mittelständischen Unternehmen.

Während die meisten dem Satz "Der internationale Markt wird in Zukunft an Bedeutung zunehmen", zustimmten, bezeichneten alle die Aussage "Der weibliche Anteil der Kundschaft wird größer", als "nicht zutreffend".

Es gibt aber auch Branchen, die sich schon auf die speziellen Bedürfnisse von Frauen einstellen. Ski für Frauen waren lange Zeit einfach kleine Ausgaben der Männermodelle.

Inzwischen gibt es spezielle Damenski, die darauf ausgelegt sind, dass der Körperschwerpunkt bei Frauen meist tiefer liegt als bei Männern. Hersteller von Rucksäcken berücksichtigen mittlerweile, dass die Anatomie von Frauen anders ist als von Männern.

Bemüht, sich auf ihre wachsende weibliche Kundschaft einzustellen, ist auch die Autoindustrie. "Frauen denken beim Kauf eines Autos praktischer als Männer", sagt Silke Kauer, Produktmanagerin der Mercedes E-Klasse bei Daimler Chrysler.

Frauen interessiert eher, wie gut sich die Sitze verstellen lassen und wie viel in den Kofferraum passt. Er will wissen, wie schnell der Wagen beschleunigt. Zudem achten Frauen mehr auf Geräusche und Gerüche.

"Allerdings ist vieles zwar gut gemeint, geht aber trotzdem an weiblichen Bedürfnissen vorbei", sagt Juliane Kronen, Geschäftsführerin bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group.

Kronen erinnert sich an eine Tagung, auf der ein Auto mit Handtaschenhalter als besonders frauenfreundlich gepriesen wurde. Die anwesenden Frauen sahen sich belustigt an, erzählt sie. Schließlich sagte eine: "Unsere Aktentaschen lassen sich da aber nicht aufhängen".

Fehlendes Verständnis für die Bedürfnisse von Frauen findet sich oft sogar bei Produkten, die eigentlich speziell für diese Zielgruppe bestimmt sind. Lucienne Blessing vom Lehrstuhl für Konstruktionstechnik und Entwicklungsmethodik der TU Berlin, konnte sich nur wundern über eine Milchpumpe für stillende Mütter, die nach Angaben des Herstellers besonders leicht zu handhaben sei.

In der Realität war das Gerät kaum zu bedienen, weil man die Hand in einem unmöglichen Winkel halten und zugleich eine Pumpbewegung machen musste. "Zudem schien der Entwickler davon ausgegangen zu sein, dass weibliche Brüste Halbkugeln ohne Nervenenden sind", sagt Blessing. Das Abpumpen der Milch war nämlich auch noch schmerzhaft.

Ein anderes Beispiel ist Victorias Secret, ein amerikanischer Hersteller von Frauenunterwäsche. Als der Absatz zurückging, beauftragte das Unternehmen die Boston Consulting Group, um herauszufinden, woran das lag. "Wir haben ein Frauenteam losgeschickt, um die Wünsche der Kundinnen zu ermitteln", sagt Geschäftsführerin Catherine Roche.

"Eines der Ergebnisse war, dass Frauen Unterwäsche wollen, die nicht nur sexy aussieht, sondern auch bequem ist." Die Entwickler von Victorias Secret waren erstaunt. Mit bequemeren Modellen steig der Umsatz wieder.

Die Rundum-Stoßstange

Dass so wenige Frauen in der Produktentwicklung arbeiten, liegt auch daran, dass sich sehr wenige Studentinnen für technische Fächer interessieren.

Nur etwa elf Prozent aller Studienanfänger im Bereich Ingenieurswissenschaften sind weiblich; über alle Fachbereiche verteilt sind es etwa 40 Prozent. Warum das so ist, lässt sich nach Ansicht von Blessing nicht einfach mit dem gesellschaftlichen Rollenverständnis von Männern und Frauen erklären.

Gegen diese These spricht, dass etwa in Dubai oder Syrien, wo die Rollen der Geschlechter viel strenger getrennt sind als in Europa, technische Fächer an den Universitäten hauptsächlich von Frauen belegt werden.

Blessing will demnächst untersuchen, ob Frauen Produkte tatsächlich nach anderen Kriterien entwickeln als Männer. Zumindest scheinen sie keine Angst vor Klischees zu haben. Das zeige ein Automodell, dass vor einigen Jahren bei Volvo von einem reinen Frauenteam vorgestellt wurde. Der Frauenvolvo habe nicht nur eine Einparkhilfe sondern auch noch eine Art Stoßrand rundherum, damit der Lack nicht zerkratzt, wenn man trotzdem aneckt.

© SZ vom 17.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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