Nach Armtransplantation:Wettlauf der Eitelkeiten

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Münchner Ärzte haben der Öffentlichkeit den weltweit ersten Patienten mit zwei transplantierten Armen präsentiert - abseits der Scheinwerfer streiten sie sich um den Ruhm.

Christina Berndt

Ein wenig verlegen betritt der Patient den Saal der Pressekonferenz im Münchner Klinikum rechts der Isar. Sogleich ist ein Pulk Fotografen zur Stelle, um diesen Mann abzulichten, der nun, nach einem grässlichen Unfall und einem riskanten Entschluss, ein lebendes Prestigeobjekt der Medizin geworden ist. "Der Arme!", seufzt eine Journalistin in der zweiten Reihe.

Der 54-jährige Allgäuer Landwirt Karl Merk ist eine medizinische Weltsensation. (Foto: Foto: dpa)

Die Ärzte haben weniger Mitleid. Edgar Biemer, einer der Ärzte, die dem verstümmelten Mann vor zehn Wochen in einer spektakulären Operation die Arme eines Toten angenäht haben, zieht seinem Patienten das umgehängte Jacket von den Schultern.

So gibt er frei, was alle sehen wollen: die Narben, an denen sich Tod und Leben treffen, und jene Konstruktion, die dem Mann hilft, seine neuen noch schlaffen Arme zu tragen. Biemer lächelt stolz, während der Patient stoisch das endlose Blitzlichtgewitter über sich ergehen lässt.

Er trägt ein ärmelloses Hemd, so sind die Arme besser zu sehen, die aus dem 54-jährigen Allgäuer Landwirt Karl Merk, eine medizinische Weltsensation gemacht haben. Nie zuvor sind einem Menschen die Arme eines Toten transplantiert worden.

Nach vielen Minuten wird das Knipsen selbst den Journalisten zu viel. "Liebe Kollegen, könnt Ihr mal aufhören?", fragt einer. Im Laufe folgenden Pressekonferenz sprechen fünf Ärzte und der Patient, der an diesem Tag "im Mittelpunkt steht", wie Hans-Günther Machens, der Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie, an der die Operation stattfand, überflüssigerweise betont.

Nun ist das Geheimnis gelüftet, wer der Mann ist, der sich für das chirurgische Wagnis zur Verfügung gestellt hat. Nun kann der Patient hoffentlich ein wirklich neues Leben beginnen. Bis jetzt durfte er nur ein paarmal im Klinikgarten spazieren gehen, weil seine Ärzte Angst vor Paparazzi hatten; die ersten zwei Monate nach der Operation verließ Merk das Krankenhaus gar nicht. Er durfte nur im Zimmer auf und ab gehen.

Trotz allem: Der Patient zeigt sich zutiefst dankbar. Er kann mit seinen neuen Armen schon ein bisschen fühlen. "Unter den Narben kribbelt es", erzählt er, "ich bin so froh." Er könne die Arme bereits ein wenig bewegen, sogar Türen damit öffnen und das Licht anknipsen. Nun sei es sein sehnlichster Wunsch, eines Tages wieder selbständig essen zu können - "und ich möchte eine Runde mit dem Motorrad drehen."

40 Stunden Physiotherapie pro Woche

Ob das je möglich sein wird, konnte ihm aber auch am Tag seiner Enttarnung kein Arzt versprechen. Es kann noch zwei Jahre dauern, bis die Nerven und mit ihnen das Gefühl in die Hände eingewachsen sind, die derzeit noch weiß und fleischig aussehen und eher leblos wirken.

Es kann immer noch viel schiefgehen, auch wenn Merk pflichtbewusst seine 40 Stunden Physiotherapie pro Woche hinter sich bringt. Dort versuchen Krankengymnasten die Durchblutung der Arme anzuregen; Elektroreize sollen den Handmuskeln signalisieren, dass sie noch gebraucht werden; und ein neurokognitives Training lehrt das Gehirn von Neuem, wie sich eine Flasche anfühlt, wenn man sie mit den Händen anfasst, oder die Haut eines Menschen.

Merk nimmt das alles klaglos in Kauf. Er wollte sie unbedingt, die Arme eines Toten. Mit seinen Prothesen kam er nicht klar. Deshalb wagten die Ärzte die riskante Operation bei ihm - und wegen seiner starken Persönlichkeit, die an diesem Tag auch die Journalisten beeindruckt.

"Herr Merk ist ein phantastischer Empfänger", lobt der Chirurg Biemer. Er habe hervorragend mitgemacht. "Der Heilverlauf ist erstaunlich gut, besser als wir erwartet haben." Es ist nicht einmal zur gefürchteten Abstoßungsreaktion gekommen; Karl Merks Immunsystem hat die fremden Arme nicht bekämpft.

Doch hinter dem Rücken des Patienten tobt ein umso heftigerer Kampf. "Zwei Arme, ein Team", lautete zwar das Motto der Pressekonferenz, doch mit dem Teamgeist ist es unter den beteiligten Chirurgen nicht weit her. Ein intriganter Disput um Ruhm und Ehre hat sich entwickelt.

Immer wieder preschen Ärzte aus dem insgesamt 40-köpfigen Team vor, weil ihnen das Prestige offenbar wichtiger ist als die gemeinsame Sache - und mitunter auch als das Wohl des Patienten. Vor kurzem gelangten sogar Fotos von Merks Krankenbett an die Öffentlichkeit, die dessen Persönlichkeitsrechte verletzten. Der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums, Reiner Gradinger, hat den Chirurgen nun in einer Krisensitzung mit Rausschmiss gedroht, sollten sie weiter gegen die Abmachungen verstoßen.

Beteiligt am Wettlauf der Eitelkeiten sind inzwischen fast alle Ärzte, die an entscheidender Stelle an der Sensations-Operation beteiligt waren. Kurz nach der geglückten Verpflanzung ließ sich Edgar Biemer von einem Münchner Boulevardblatt feiern - gegen alle Absprachen, denen zufolge die Presse erst nach einigen Tagen informiert werden sollte. Biemer, einst Direktor der Plastischen Chirurgie, sei wegen dieser Operation eigens an das Klinikum zurückgerufen worden, so das Blatt, denn eigentlich arbeitet Biemer längst als Schönheitschirurg an der schicken Maximilianstraße.

Vor der Präsentation des bisher anonym gebliebenen Patienten gab Biemer erneut geheime Details an eine Zeitung. Und auf der Jahrestagung der plastischen Chirurgen in Stuttgart berichtete er vor wenigen Tagen zum Ärger der Kollegen über die Operation.

Das alles mochten sich die Mitverantwortlichen offenbar nicht länger gefallen lassen. Als Reaktion lieferte der zweite federführende Chirurg Christoph Höhnke nach Informationen der SZ seine Sicht der Dinge vorab dem Magazin Focus. Höhnke bestreitet das, er habe aber eine Pressekonferenz mit Herrn Biemer in Stuttgart verhindert, sagt er. "Da hat es fast einen Aufstand gegeben."

"Es gab erhebliche Differenzen", räumt auch Biemer ein. Zu der Pressekonferenz am gestrigen Mittwoch wäre er beinahe nicht mehr eingeladen worden. Es sei mittlerweile eine Schlammschlacht. "Es ist furchtbar, mehr als traurig", sagt er. "Aber ich sehe es nicht ein, dass ich zurückstecke, wenn ich das alles vorbereitet habe."

Ein Arzt an jedem Arm

Auch Biemers Nachfolger, Klinik-Direktor Machens, setzte sich zum Missfallen seiner Mitarbeiter in Szene. Dabei war er es, der die Operation viele Monate lang verhindert hat - entweder weil er medizinisch nicht überzeugt war ("Das ist immerhin eine Riesen-OP") oder weil er seinem Vorgänger die Großtat nicht gönnte.

Kurz nach der Operation aber schrieb er im Alleingang einen Artikel für die Zeitschrift "Handchirurgie, Mikrochirurgie, Plastische Chirurgie". "Das verlief unglücklich", sagt er heute und verweist darauf, dass es sich nicht um eine echte wissenschaftliche Publikation handele, sondern nur um "eine Mitteilung". "Ich habe mich sehr geärgert, dass ich dort als alleiniger Autor genannt werde. Wir haben den Verlag gebeten, das zurückzuziehen."

Der Patient hat den Zwist bisher wenigstens nicht zu spüren bekommen. In seiner Gegenwart treten die Ärzte friedlich und einig auf. Sie teilen sogar redlich: Wenn Oberarzt Höhnke und Ex-Klinikchef Biemer zur Visite kommen, verbindet einer den rechten Arm und der andere den linken.

© SZ vom 09.10.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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