Milzbrand:Verwechslung mit der Verwandtschaft

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Die meisten Labors tun sich schwer, den Milzbrand-Erreger von harmlosen Bazillen zu unterscheiden.

Christina Berndt

(SZ vom 05.11.2001) - Gut sechs Stunden dauerte der Spuk. Dann signalisierte das Robert-Koch-Institut (RKI) Entwarnung. Schnell war sich die Berliner Behörde zur Seuchenabwehr sicher, dass sie es eher mit Gips und Sand denn mit lebensgefährlichen Milzbrand-Erregern zu tun hatte.

Anthrax oder nicht? Bis die Frage eindeutig geklärt ist vergeht manchmal viel Zeit. (Foto: N/A)

Gut sechs Stunden dauerte der Spuk. Dann signalisierte das Robert-Koch-Institut (RKI) Entwarnung. Schnell war sich die Berliner Behörde zur Seuchenabwehr sicher, dass sie es eher mit Gips und Sand denn mit lebensgefährlichen Milzbrand-Erregern zu tun hatte.

Erleichtert, aber auch verärgert, fragten sich von da an viele Menschen, wie es zu der folgenschweren Verwechslung kommen konnte. Immerhin hatte ein Labor des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) in Jena zuvor geglaubt, Bacillus anthracis in dem Brief von "Achmed" aus "Islamabad" und in den Gips-Paketen aus Schleswig-Holstein nachgewiesen zu haben.

Für den Milzbrand-Spezialisten Wolfgang Beyer von der Universität Hohenheim ist die Antwort klar: "Das Dilemma ist, dass die Labors nicht das Know-how haben, um Anthrax-Erreger sicher zu identifizieren", sagt er. "Sie haben sich seit Jahren nicht mit Anthrax beschäftigt und beherrschen die verschiedenen Methoden nicht."

Ob es sich um Bacillus anthracis handelt, lasse sich aber nur herausfinden, wenn mehrere Techniken parallel eingesetzt würden, sagt Beyer, der zu den wenigen deutschen Forschern gehört, die mit dem Erreger arbeiten.

So hat sich das Jenaer Labor vornehmlich auf einen Nachweis mit Antikörpern verlassen. Das sind Eiweißstoffe des Immunsystems, die Krankheitskeime binden und sie dadurch kenntlich machen. "Die meisten Antikörper können Anthrax aber nicht von anderen Bazillen unterscheiden", betont Beyer.

Und über hochspezialisierte Antikörper, die ausschließlich den Milzbranderreger erkennen, verfügten nur sehr wenige Labors.

Weil das BgVV nicht dazu gehört, hat es in den Postsendungen einen harmlosen Verwandten des Milzbrand-Erregers aufgetan - vermutlich einen Bacillus der Art cereus, mycoides oder thuringiensis, glaubt Beyer und betont: "Hier hat niemand Bakterien verschickt. Diese Bazillen sind zufällig da gewesen, weil sie überall in der Umwelt vorkommen."

Diese Verwechslungsgefahr hätte jedoch bekannt sein müssen, sagt Jan van Aken vom "Sunshine Project" zur Ächtung von Biowaffen. Er kritisiert, dass das BgVV glaubte, es habe "mit großer Wahrscheinlichkeit" Anthrax-Erreger nachgewiesen.

Erst das Robert-Koch-Institut bemerkte den Fehler - allerdings, wie Beyer meint, weil die Wissenschaftler Glück hatten; auch im RKI sei keine unfehlbare Methodik angewendet worden. Die dortigen Wissenschaftler suchten das Erbgut der Keime mit "Markern" ab, dieMilzbrand- typische Gen-Abschnitte erkennen. Dieses Verfahren sei "außerordentlich zuverlässig und sensitiv", erklärte die Behörde.

Beyer betont hingegen, dass sich die verschiedenen Bazillus-Arten auch in ihrer Erbinformation stark ähneln. "Drei Viertel der Marker, die das RKI verwendet hat, sind nicht spezifisch für den Anthrax-Erreger, sondern binden auch an das Erbgut seiner Verwandten.

Nur weil keiner der Marker ansprach, konnten die Wissenschaftler sicher sein, dass die Probe keine Bakterien der Gattung Bacillus enthielt und damit auch keinen Anthrax-Erreger."

Hochspezialisierte Antikörper und die richtigen Marker - das sind Wolfgang Beyer zufolge die fehlenden Werkzeuge in den staatlichen Labors. Zudem, schlägt der Mikrobiologe vor, sollten die Bakterien auf Nährböden mit bestimmten Stoffen angezüchtet werden, auf denen nur der Milzbrand-Erreger wachsen kann.

Und um ganz sicher zu gehen, müssten am Ende noch Mäuse mit dem verdächtigen Bakterium infiziert werden.

"Erst einmal mit den Antikörper-Tests zu beginnen, ist sicherlich richtig", meint Jan van Aken. "Allerdings sollten sich die Behörden mit Experten zusammensetzen und festlegen, ob sie auf der Grundlage dieser Tests künftig Alarm schlagen wollen."

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