Medizin:Viren weggefegt

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Zum zweiten Mal ist ein Patient von HIV befreit worden. Der Mann hatte Stammzellen mit einer seltenen Genmutation gespendet bekommen.

Von Hanno Charisius

Zum zweiten Mal weltweit ist ein HIV-Patient nach einer Stammzellen-Transplantation von den Viren befreit worden, die die Immunschwächekrankheit Aids auslösen können. Das berichten Mediziner in der Fachzeitschrift Nature. Dem an Lymphdrüsenkrebs erkrankten Mann waren Stammzellen eines Knochenmark-Spenders mit einer seltenen genetischen Veränderung transplantiert worden. Bei dem "Londoner Patienten" gebe es nun, fast drei Jahre nach dem Eingriff, keine Anzeichen von HI-Viren mehr im Blut. Vor knapp 19 Monaten hörte der Patient auf, Medikamente gegen die Viren zu nehmen. Die Ärzte wollen jedoch noch nicht von einer dauerhaften Heilung sprechen. Bisher gibt es weltweit erst einen vergleichbaren Fall. Der Patient in London hatte sich eigentlich der Stammzellen-Transplantation unterzogen, um eine Krebserkrankung zu bekämpfen.

Deutsche Wissenschaftler betonten, der neue Bericht habe eine große Bedeutung, mahnten aber zur Vorsicht. "Wiederholbarkeit ist ein entscheidendes Kriterium wissenschaftlicher Evidenz", sagt der Direktor der Abteilung Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg, Hans-Georg Kräusslich. Auch künftig werde aber die Transplantation mit Stammzellen keine Option für die Heilung der HIV-Infektion darstellen, wenn die Transplantation nicht aufgrund anderer Erkrankungen erforderlich sei. Es handele sich um einen massiven Eingriff, der "angesichts einer in der Regel gut verträglichen und langfristig wirksamen antiviralen Therapie nicht vertretbar wäre, wenn er nicht aus anderen medizinischen Gründen indiziert wäre".

Die Stammzellen wiesen eine genetische Veränderung auf, die eine HIV-Infektion verhindert

Die bisher einzige dokumentierte Befreiung vom HI-Virus ist der Fall des US-Amerikaners Timothy Brown vor rund zehn Jahren. Auch er wurde durch die Stammzellen eines Knochenmark-Spenders geheilt. Die Stammzellen wiesen eine genetische Veränderung auf, die eine Infektion mit HIV verhindert - wie auch jetzt im Fall des "Londoner Patienten".

Beide Patienten hatten Glück, dass sie von ihren jeweiligen Knochenmarkspendern Stammzellen bekamen, die dank einer Mutation im Erbgut auf natürliche Weise resistent sind gegen manche HI-Viren. Bei Menschen mit dieser Art HIV-Resistenz wird durch die Genmutation ein Rezeptor auf der Oberfläche von Immunzellen, der sogenannte CCR5-Rezeptor, fehlerhaft gebildet und funktioniert nicht. Viele HIV-Varianten brauchen diesen Rezeptor als Eintrittspforte, um Immunzellen zu infizieren. Ohne den funktionierenden Rezeptor sind ihre Angriffe wirkungslos.

Die Erkrankungen der beiden Patienten, die eine Behandlung mit gespendeten Blutstammzellen notwendig machten, waren jedoch verschieden. Der "Berliner Patient" Timothy Brown litt an Leukämie und musste damals seinen gesamten Körper bestrahlen lassen, bevor die Ärzte die Spenderzellen übertragen konnten. Das war beim "Londoner Patienten" nicht nötig. Brown erlitt zudem einen Rückfall der Leukämie nach der ersten Transplantation und brauchte eine weitere Knochenmarkspende. Seither leidet er an neurologischen Störungen.

Diese Komplikationen haben nichts mit der HIV-Infektion zu tun, sie zeigen jedoch, dass eine Knochenmarkspende alles andere als ein einfacher Eingriff ist. "Wenn allerdings bei HIV-Patienten eine zusätzliche Erkrankung auftritt, die eine Stammzell-Transplantation erfordert, sollte versucht werden, einen passenden Spender mit CCR5-Deletion zu finden", sagt Kräusslich. Nur etwa ein Prozent der Bevölkerung trägt diese Mutation. Geschätzt 37 Millionen Menschen sind weltweit mit dem HI-Virus infiziert.

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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