Medizin:Der Kampf um Scharons Leben

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Nach einem Schlaganfall müssen eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen werden, um das Leben des Patienten und die Funktionen seines Gehirns so weit es geht zu erhalten.

Werner Bartens

"Das ist ein Zustand am Rande des Lebens, eine Vita minima", sagt Manfred Abel, Chefarzt für Anästhesie am Krankenhaus Köln-Porz, über das Künstliche Koma.

Am vergangenen Mittwoch hatten Ärzte Israels Ministerpräsidenten Ariel Scharon in den schonenden Heilschlaf versetzt, nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte. Am gestrigen Montag wurde in der Hadassah-Klinik in Jerusalem damit begonnen, den 77-jährigen schrittweise wieder aus dem künstlichen Koma zurückzuholen.

"Es ist eine medizinische Schutzmaßnahme", erklärt Narkosespezialist Abel. "Denn durch das künstliche Koma sinken Sauerstoffbedarf und Energieverbrauch der Organe und dem Körper wird die Möglichkeit zur Erholung gegeben."

Zudem laufen im Wachzustand bewusst und unbewusst Reaktionen ab, die die Genesung beeinträchtigen können: Das vegetative Nervensystem, das sich willkürlich nur wenig beeinflussen lässt, führt mehrmals täglich zu Blutdruckspitzen und Pulsanstiegen, einer Erhöhung der Atemfrequenz und Schmerzreaktionen.

Nach einem Schlaganfall kann das desaströse Folgen für geschädigte Hirnareale haben und weitere Nervenzellen zerstören. Eine Abkühlung des Körpers um wenige Grad würde die Organe zwar zusätzlich schonen. Nach einer Gehirnblutung, wie Scharon sie erlitten hat, verbietet sich die Senkung der Körpertemperatur aber, denn dazu müsste das Blut verdünnt werden.

Um Patienten in ein Künstliches Koma zu versetzen, werden Schmerz- und Schlafmittel in die Vene geleitet. Häufig setzen Anästhesisten auch Medikamente zur Muskelerschlaffung ein.

"Der einzige Unterschied zur Narkose besteht darin, dass nicht zwangsläufig operiert wird", sagt Manfred Abel. Zudem sind die Medikamente etwas länger wirksam als bei einer Narkose, die nur wenige Stunden anhalten und schnell steuerbar sein soll.

Da Schluckreflex und Atemantrieb medikamentös unterdrückt werden, müssen Patienten im Künstlichen Koma beatmet und künstlich ernährt werden. Sie bekommen dazu eine Magensonde, einen Beatmungsschlauch und mehrere Infusionen gelegt. Auf der Intensivstation werden permanent Herz, Puls, Atmung, Blutdruck und die Sauerstoffsättigung im Blut überwacht.

Künstliche Koma ist ärztliche Routine

Patienten ins Künstliche Koma zu versetzen ist ärztliche Routine. "Jede erfahrene Intensivstation kann das", sagt Manfred Abel. Nach einer Woche können jedoch Nebenwirkungen den Nutzen übersteigen. Infektionen, besonders Lungenentzündungen, drohen.

An den Einstichstellen für die Infusionen können sich Keime ansiedeln, die im schlimmsten Fall Blutvergiftungen verursachen. Gefürchtet sind auch Thrombosen und Embolien sowie Druckschäden an Organen, weil sich die Patienten nicht bewegen können und ihr Blutdruck gedrosselt ist.

Das "Erwecken" aus dem Künstlichen Koma ist für Ärzte nichts Geheimnisvolles: "Die Dosis der Medikamente wird geordnet zurückgefahren", so Abel.

Üblicherweise dauert dies zwei bis drei Stunden. Die einschläfernden Mittel verlieren ihre Wirkung und - im günstigen Fall - funktionieren Kreislauf und Atmung dann wieder von allein und die Patienten erlangen das Bewusstsein.

"Der Ministerpräsident atmet selbstständig", sagte Schlomo Mor-Josef, Direktor der Hadassah-Klinik, in der Scharon seit sechs Tagen liegt, am gestrigen Montag. "Er ist aber weiter an eine Beatmungsmaschine angeschlossen, die ihn unterstützt." Dazu messen moderne Geräte den Eigenanteil am Atemvolumen und ergänzen den fehlenden Rest.

Nach Scharons Schlaganfall wurden zwar die Hirnströme des Politikers ständig kontrolliert und mittels Computer- und Kernspintomographen geschädigte Hirnareale erfasst. Wie viele Einschränkungen bleiben und ob Scharon wieder das Bewusstsein erlangt, wird sich aber erst in Tagen bis Wochen zeigen. Denn bei einem Schlaganfall sind nicht nur direkt geschädigte Nervenzellen in Gefahr.

Es kommt fast immer auch zum Hirnödem: In Folge der Mangeldurchblutung im Gehirn schwellen Zellen an, die nicht unmittelbar geschädigt aber eine Weile unterversorgt wurden. Daraufhin steigt der Druck im Schädel und kann nicht entweichen - weitere Schäden sind die Folge.

30 Prozent der Betroffenen überleben das erste halbe Jahr nach einem Schlaganfall nicht. Von den Überlebenden bleiben 30 Prozent pflegebedürftig.

Israelischen Medienberichten zufolge schätzte Scharons Neurochirurg José Cohen die Überlebenschancen des Premiers als "sehr hoch" ein. Er rechnete aber damit, dass seine Denk- und Urteilsfähigkeit eingeschränkt sein werde.

© SZ vom 10.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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