Medikamentenforschung:Der untreue Patient

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Ärzte setzen auf Kombipillen, die mehrere Wirkstoffe in einer Tablette enthalten. Doch diese Mischpräparate verbessern das Einnahmeverhalten nicht. Mündige Patienten wollen selbst entscheiden, welche Medikamente sie weglassen und was sie weiterhin nehmen.

Von Werner Bartens

Patienten gelten als ziemlich schwierige Klientel, zumindest aus ärztlicher Sicht. Einerseits scheinen sie nur dann zufrieden zu sein, wenn sie die Arztpraxis mit einem Rezept verlassen. Andererseits nehmen sie die verordneten Arzneimittel nicht sehr zuverlässig ein. Insbesondere bei chronischen Erkrankungen brechen viele Patienten die Behandlung ab; nach mehreren Jahren schluckt oft nur noch die Hälfte die verordneten Tabletten. Diese mangelnde "Therapietreue" beklagen Mediziner immer wieder. Wie sich die Medikamenten-Compliance verbessern lässt, versuchen Ärzte deshalb seit Jahren zu ergründen. Im Fachmagazin BMJ Open (online) haben Allgemeinmediziner aus Norddeutschland vor Kurzem gezeigt, unter welchen Umständen Patienten die Tabletten-Einnahme leichter fällt.

Thomas Grimmsmann vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Mecklenburg-Vorpommern und Wolfgang Himmel vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Göttingen haben die Daten von 8000 Patienten analysiert, die erstmals Medikamente gegen Bluthochdruck verschrieben bekamen. In der Therapie der Hypertonie reicht ein Mittel zur Einstellung eines optimalen Blutdrucks oft nicht aus, daher werden Kombinationen empfohlen, etwa von Betablockern und Diuretika oder Diuretika und ACE-Hemmern. Seit Jahren gibt es diese Mittel nicht nur einzeln, sondern als Kombinationspräparate, die mehrere Medikamente in einer Tablette vereinen.

Ärzte vermuten, dass die Kombipillen es Patienten leichter machen, Medikamente langfristig einzunehmen - schließlich müssen sie dann nur an ein Mittel denken und sich nicht an mehrere erinnern. "Das ist offenbar ein Mythos oder entspricht einem zu schlichten Menschenbild", sagt Himmel. "Die Therapietreue ist sowohl bei Monopräparaten als auch bei fixen Kombinationen in einer Tablette besonders schlecht - bei freien Kombinationen mit mehreren hingegen deutlich besser."

Die All-inclusive-Tablette ist keine Wunderwaffe - Patienten wollen ihre Therapie selbst steuern

In der aktuellen Studie nahmen nach vier Jahren nur noch etwa 40 Prozent der Hochdruck-Patienten weiterhin ihre Tabletten ein, wenn sie ein einzelnes Präparat oder eine fixe Kombination erhielten. Wer hingegen eine freie Kombination, also zwei unterschiedliche Tabletten zur Behandlung des Bluthochdrucks erhielt, führte mit 56 Prozent die Therapie weitaus häufiger fort. "Es ist offenbar ein Fehlschluss, dass die Medikamenten-Compliance davon abhängt, wie einfach das Therapieschema ist", sagt Himmel. "Es geht vielmehr um den verantwortlichen Umgang mit den Medikamenten. Und da bieten zwei Tabletten Patienten die Möglichkeit, mal die eine oder andere wegzulassen, zu experimentieren und auch etwas auszuprobieren, etwa ob die Nebenwirkungen geringer werden."

Himmel und Grimmsmann vermuten, dass Patienten selbst bei guter ärztlicher Aufklärung womöglich keinen Unterschied darin sehen, ob sie ein oder zwei Medikamente von ihrem Doktor erhalten. Sie lassen dann - sei es geplant oder aus Vergesslichkeit - unabhängig von der Anzahl der erhaltenen Medikamente eher eine Tablette weg, als die tägliche Dosis um gleich zwei Tabletten zu reduzieren.

"Mehrere Tabletten erhöhen nicht die Wahrscheinlichkeit, dass die Medikamente komplett verweigert werden, wohingegen das Weglassen eines fixen Kombinationspräparates tatsächlich den kompletten Ausstieg aus der Behandlung bedeutet", so die Forscher. "Bevor weiter fixe Kombinationspräparate als Wunderwaffe empfohlen werden, sollte genauer geprüft werden, wer von einem einfachen Einnahme-Schema profitiert und wer umgekehrt die Einnahme von zwei oder mehr Medikamenten als Chance und Appell an die eigene Verantwortung versteht." Einfache Angebote müssen nicht automatisch die besseren sein. Patienten wollen offenbar das Gefühl haben, ihre Behandlung selbst steuern zu können.

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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