Lepra:Eine Krankheit im Abseits

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In Kürze soll die Elimination der Lepra gefeiert werden. Doch wirklich ausgerottet ist die Krankheit damit noch nicht. Das Leiden geht vielmehr weiter.

Christina Berndt

Eine neue Brücke könnte sie miteinander verbinden, die Gesunden und die mit dem Aussatz.

Für einen Leprapatienten speziell angefertigte Schuhe. (Foto: Foto: DAHW/Christopher Thomas)

Doch die Gräben zwischen den Menschen scheint auch das 1160 Meter lange Bauwerk nicht überwinden zu können. Er glaube nicht, dass er je über die Brücke gehen werde, sagt der 85-jährige Südkoreaner Chang Ki-jin. Seit 64 Jahren lebt er auf der Insel Sorok. Damals wurde bei ihm die Lepra ("Aussatz") entdeckt, und Sorok war der Ort der Aussätzigen.

Seither hat Chang die Insel nie mehr verlassen. Das war auch nur schwer möglich, denn die Fähre zum Festland dürfen die Bewohner von Sorok bis heute nur mit einer Ausnahmegenehmigung benutzen.

Die neue Brücke aber hat keine Verbotsschilder. Vor kurzem wurde sie feierlich eröffnet. Gern gesehen werden die 650 zumeist hochbetagten Bewohner von Sorok auf dem Festland trotzdem nicht. Reinigungen verweigern die Annahme ihrer Wäsche, in Restaurants werden sie nicht bedient.

Einer Umfrage zufolge wollen 86 Prozent aller Koreaner nicht, dass ihre Kinder Nachkommen von Menschen heiraten, die einmal mit Lepra infiziert waren. Dabei spielt keine Rolle, dass Menschen mit Lepra dank hochwirksamer Medikamente längst nicht mehr ansteckend sind.

Nicht nur die Infizierten sind Aussätzige geblieben. Auch die Krankheit selbst droht ins Abseits zu geraten - und das hochoffiziell. Schon vor Jahren hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Ziel gesetzt, die Lepra zu "eliminieren".

Ausrotten ist derzeit unmöglich

Damit meint sie nicht etwa, dass sie die Krankheit ausrotten will, das nämlich gilt derzeit als unmöglich. Die Eliminierung ist ein willkürliches Ziel: Wenn sich in einem Land weniger als einer von 10.000 Menschen mit Lepra infiziert, sei die Krankheit eliminiert, heißt es nach dem Willen der WHO. Die Infektionszahlen würden dann automatisch immer kleiner werden.

Lepra-Experten aber halten diese Strategie für gefährlich: "Die Krankheit droht dadurch aus der Wahrnehmung zu verschwinden", sagt Adolf Diefenhardt von der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe, die früher Deutsches Aussätzigen Hilfswerk (DAHW) hieß und eine der weltweit führenden Hilfsorganisationen gegen die Lepra ist. "Wenn die Aufmerksamkeit nachlässt, dümpelt die Krankheit unbeobachtet vor sich hin und könnte nach Jahren wieder aufflammen."

Gleichwohl greifen viele Schwellenländer das Vorhaben der WHO begierig auf. Zuletzt meldete Indien einen starken Rückgang seiner Leprazahlen. Auf dem Welt-Lepra-Kongress Anfang 2008 in Hyderabad soll die Elimination groß gefeiert werden. Über viele Jahre hinweg stammten etwa drei Viertel aller weltweiten Neudiagnosen aus Indien.

Zwischen 2001 und 2005 aber sanken die dortigen Infektionszahlen um 75 Prozent. Das hat Diefenhardt zufolge nicht nur mit besserer Seuchenkontrolle zu tun: "Hinter diesen Zahlen steckt viel Politik", sagt der Arzt. "Wissenschaftlich ist es jedenfalls nicht erklärbar, warum es bei einer Krankheit mit einer jahrzehntelangen Inkubationszeit jetzt plötzlich so wenig Fälle sein sollen."

Global und über lange Zeiträume betrachtet, sind die Erfolge groß, gewiss. Noch vor 20Jahren erkrankten weltweit 15 Millionen Menschen pro Jahr an Lepra. 2006 ist diese Zahl offiziell erstmals unter 300.000 gefallen. Den Tabellen der WHO zufolge sind derzeit nur noch vier Länder stärker von der Infektionskrankheit betroffen - Brasilien, die Demokratische Republik Kongo, Mosambik und Nepal; im Jahr 2000 waren es noch 22 und 1985 noch 122 Länder.

Für Klaus Leisinger ist die Welt daher sehr in Ordnung. Als Direktor der Novartis-Stiftung für Nachhaltige Entwicklung verschenkt er seit sieben Jahren die potenten Lepramedikamente in alle Welt; WHO-Berechnungen zufolge hat er damit rund 4,5 Millionen Menschen geheilt.

Wenn die Therapie früh genug beginnt, können sogar die entstellenden Geschwulste zurückgehen, welche der Lepra-Erreger häufig im Gesicht verursacht, bevor er Finger, Hände oder Füße abfallen und Augen erblinden lässt. Und weil das Mycobacterium leprae wie seine Opfer selbst verstümmelt ist - die Mehrzahl seiner Gene sind unbrauchbar -, ist der Keim nicht einmal in der Lage, dem Angriff des Arznei-Cocktails zu entgehen.

Auch nach Jahrzehnten des Einsatzes hat der Lepra-Erreger keine Resistenzen gegen die drei Medikamente entwickelt. Die WHO habe die Sache damit im Griff, freut sich Leisinger. Und der internationale Lepra-Kongress in Hyderabad sei erst einmal der letzte.

Adolf Diefenhardt hofft, dass zumindest regional noch weitere Tagungen stattfinden. "Pro Jahr erkranken immer noch mehrere hunderttausend Menschen", sagt er. "Und jeder Infizierte, der nicht behandelt wird, überträgt die Krankheit weiter." Es reiche nicht, sich auf die Arzneitherapie zu konzentrieren, mahnt auch die Internationale Vereinigung der Leprahilfswerke.

Schwerwiegende soziale Folgen

Wegen des Stigmas habe Lepra bis heute schwerwiegende soziale Folgen. Schließlich sieht man einem Menschen, dem Nase oder Finger fehlen, nicht an, dass er nicht mehr ansteckend ist. Aus Angst vor Ausgrenzung verschweigen viele Infizierte daher, wie es um sie steht. Wer die Krankheit zu früh für tot erkläre, gebe ihr so alle Möglichkeiten, in einigen Jahren mit Macht zurückzuschlagen, warnt Diefenhardt.

Oder wollen sich die Lepra-Hilfswerke nur selbst am Leben erhalten, wie böse Zungen behaupten? "Es gibt genug Krankheiten, um die wir uns auch noch kümmern", weist Diefenhardt den Vorwurf zurück. Die DAHW habe nicht nur die Tuberkulose in ihren Namen aufgenommen, sie widme sich auch Aids-Kranken und Menschen mit Leishmaniose, Buruli oder Elefantiasis.

Unterstützung bekommen die Hilfsorganisationen auch von einem, der der Parteinahme unverdächtig ist: "Die WHO sollte ihre Rhetorik über die Eliminierung der Lepra endlich beenden", fordert der Infektionsexperte Paul Fine von der London School of Hygiene and Tropical Medicine. "Sonst werden die wichtigen Anstrengungen gegen die Krankheit ebenfalls eliminiert."

© SZ vom 3./4.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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