Kunst:Kopfgeburten

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Wie aus monströsen Drachen bizarre Science-Fiction-Wesen wurden: Künstler bewiesen schon immer große Fantasie, wenn sie Dinosaurier zeichneten.

Von Hubert Filser

1853/54

In einem provisorischen Holzhaus in der Nähe des Glaspalasts Crystal Palace im Londoner Stadtteil Sydenham baute der englische Naturforscher Benjamin Waterhouse Hawkins insgesamt 33 Plastiken von Dinosauriern nach seinen Vorstellungen. Es sind die ersten dreidimensionalen Darstellungen der Tiere überhaupt. Das Iguanodon in der Mitte bestand aus 600 Steinen, 650 halb runden Drainageziegeln und 900 Flachziegeln. Im Inneren der Skulptur richtete Hawkins sogar mal ein Dinner für geladene Gäste aus.

(Foto: Author)

1886

Die frühen Paläontologen malten Dinosaurier eher noch so, wie man sich im Mittelalter monströse Drachen, antike Sphinxen oder Hydren vorgestellt hatte. Ende des 19. Jahrhunderts begannen Zeichner wie Georges Devy, die ordnende Macht der Naturwissenschaften zu beschwören. Auf seinem Bild versammeln sich bunt gemischt moderne und prähistorische Tiere, darunter ein paar eher ungeduldige Dinosaurier um einen Naturforscher, der sie klassifiziert und so Ordnung schafft. Immer wenn der Wissenschaftler geurteilt hatte, trompetete der Engel.

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1943

Hundert Jahre nach den ersten Dinosaurier-Zeichnungen war zwar das Wissen über die Anatomie der Tiere stark angewachsen. Doch Künstler wie Rudolph Zallinger kümmerten sich nicht darum. In der Studie für sein 33,5 Meter großes Wandfresko "Das Zeitalter der Reptilien" im Yale Peabody Museum of Natural History entwirft er eine knallbunte Phantasiewelt mit brodelnden Vulkanen. Hübsch sind auch die Details: Aus dem Maul des Brontosaurus fällt ein Blatt, die Haut des Tyrannosaurus ist voller blauer Adern. Das Fresko ist das bekannteste Werk der Paläo-Kunst.

(Foto: Taschen Guest)

1902

Um die Jahrhundertwende konnte man bereits von einer regelrechten Dinomanie sprechen, die nun auch konsumorientierte Unternehmen zu Werbezwecken nutzen. Sie begannen, die Urzeittiere ihren Produkten beizulegen, etwa Tee- und Zigarettenschachteln oder auch Schokoladenpackungen. Mit der richtigen Zuordnung zur Familie der Dinosaurier nahm man es nicht immer so genau. Dieses grimmige Urzeit-Krokodil etwa gehörte zu einer Edition von insgesamt 60 Sammelkarten des deutschen Schokoladenherstellers "Kakao-Compagnie Theodor Reichardt". Der Künstler, eine offenbar dubiose Person namens John F., liebte es, bizarre Wesen in Science-Fiction-Landschaften zu malen, es war eine Welt feindseliger Monster, getaucht in glühende Gelb- und Orangetöne. John zeigt die Vorgeschichte als rätselhaftes Universum, das mit unserer Lebenswelt absolut nichts gemein hatte.

(Foto: N/A)

1933

Im 20. Jahrhundert waren Dinosaurierbilder etabliert. Die Szenen wurden immer dramatischer. Hier erlegt ein vier Meter großer Inostrancevia einen nur etwas kleineren Pareiasaurus. Das säugetierähnliche Reptil, vor rund 260 Millionen Jahren das dominante Raubtier, reißt mit seinen Säbelzähnen ein Stück Fleisch aus dem Körper des Opfers. Der Superkontinent Pangäa war zu dieser Zeit auch aufgrund hoher Vulkanaktivität mit Wüsten übersät. Die BBC inszenierte 2005 in der berühmten Dinosaurier-Doku "Walking with Monsters" exakt den gleichen Kampf.

(Foto: Yuri Palmin)

1955

Dieser Tarbosaurus, ein Tyrannosaurier ähnlich groß wie T. rex., ist Teil eines riesigen Ölgemäldes des einflussreichen russischen Wissenschaftlers und Künstlers Konstantin Fljorow. Unter dem Sowjetregime erreichte die Paläo­Kunst einen Höhepunkt. Heroische Bilder spiegelten den Stolz Russlands. Orangenes Sonnenlicht, violette Berge, schimmernde Monster: Fljorow setzte, obwohl Wissenschaftler und Museumsdirektor, fast gänzlich auf (Farb-)Effekte - und ergänzte ohne Rücksicht auf anatomisches Wissen Stacheln, Hörner oder Buckel, wenn es der Dramatik diente.

1961

Auf diesem Bild von Konstantin Fljorow treffen zwei Arten von Meeressauriern aufeinander, die sich im wirklichen Leben bestimmt nie in irgendeinem Meer begegnet sind. Der mit zwei Metern relativ kleine Ichthyosaurus lebte nämlich rund 40 Millionen Jahre früher als der deutlich größere Pliosaurus. Und dass Ichtyhosaurier wie Delfine aus dem Wasser springen konnten, halten Paläontologenfür ziemlich unwahrscheinlich. Immerhin jagte der bis zu sieben Meter lange Pliosaurus tatsächlich Fische und andere Meeresreptilien.

(Foto: Canadian Museum of Nature)

1976

Für ihren Platecarpus gestaltete Ely Kish ein leuchtendes Unterwasserszenario. Sie ist eine der wenigen Künstlerinnen der Paläo-Szene. In den 1970er Jahren waren auch erstmals weibliche Dinosaurier auf Bildern zu sehen, ein Zeichen des gesellschaftlichen Wandels, den die Dino-Bilder von Anfang an widerspiegelten. Kish war auch eine der ersten, die die Tiere als biologische und nicht als mythische Wesen wahrnahmen. Sie zeichnete ausgehungerte, magere Tiere und entwarf Szenarien des Massensterbens nach dem Meteoriteneinschlag.

Abbildungen aus: Zoë Lescaze, Walton Ford: Paläo-Art. Darstellungen der Urgeschichte, 292 S., Taschen Verlag, 75 €

© SZ vom 09.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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