Künstliche Lunge:Das gezüchtete Organ

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Einem Forschungsteam um den Österreicher Harald Ott ist es gelungen, einen neuen Lungenflügel aus biologischen Komponenten zu züchten. Mit Hilfe dieser künstlich gewachsenen Lunge konnten Ratten sechs Stunden atmen.

Katrin Blawat

Einen halben Tag lang hielten die Ratten durch. Dann verstopfte Schleim ihre Atemwege, sie mussten künstlich beatmet werden. Dennoch staunen Forscher derzeit über diese Tiere: Die Nager haben länger als jemals ein Lebewesen zuvor mit einer künstlich gezüchteten Lunge überlebt.

Eine sogenannte bioartifizielle Lunge haben Forscher Ratten eingepflanzt, denen sie zuvor einen Lungenflügel entfernt hatten. Die Tiere atmeten damit sechs Stunden lang annähernd normal. (Foto: Harald C Ott)

Einem Team um den in Boston forschenden Österreicher Harald Ott ist es gelungen, diese neuen Lungenflügel ausschließlich aus biologischen Komponenten zu züchten ( Nature Medicine, online). Das sogenannte bioartifizielle Organ pflanzten die Wissenschaftler Ratten ein, denen sie zuvor einen Lungenflügel entfernt hatten.

Das nachgezüchtete Ersatzorgan funktionierte einigermaßen, zumindest konnten die Ratten sechs Stunden lang annähernd normal atmen. Erst drei Wochen zuvor hatten Thomas Petersen von der Yale University und sein Team ähnliches geschafft, allerdings hatten sie die bioartifiziellen Lungenflügel nur zwei Stunden lang in lebenden Ratten getestet.

Derartig gezüchtete Organe könnten in ferner Zukunft das Ende vieler schwerer Krankheiten bedeuten. Zumindest bei Ratten kommen die Wissenschaftler auch voran: Vor einigen Jahren war es gelungen, bioartifizielle Rattenherzen zu züchten, die für eine kurze Zeit im lebenden Tier funktionierten.

Die nun hergestellten Lungen sind wissenschaftlich ein größerer Erfolg, weil sich Gewebe für Lungen schwerer züchten lässt als für Herzen. Das Fernziel der Forscher ist es, Lunge, Herz, Leber, Blase und andere Organe auf Bestellung liefern zu können. Damit könnte ein Großteil der heutigen Transplantationen unnötig werden. Dass es stets zu wenige Spenderorgane gibt und diese vom Körper des Empfängers nach der Übertragung oft abgestoßen werden, wäre dann kein Problem mehr.

Das Prinzip, wie sich aus einem natürlichen, aber möglicherweise geschädigten Organ ein neues züchten lässt, klingt simpel. Zunächst wäscht man alle Zellen aus dem Organ heraus. Übrig bleibt eine Art Gerüst aus Eiweißen und Kohlenhydraten, das dem Organ Struktur gibt. An diesem Gerüst entlang sollen dann neue, gesunde Zellen des jeweiligen Gewebetyps wachsen, so dass ein funktionstüchtiges Organ entsteht.

Die Idee ist verlockend, doch ihre Ausführung wird noch jahrelang große Schwierigkeiten bereiten, wie auch die Studienautoren betonen. Nicht nur müssen die nachgezüchteten Organe Jahrzehnte statt Stunden funktionieren. Schwierig - und teuer - ist es vor allem, genügend Zellen zu gewinnen, die das Organgerüst neu besiedeln können.

Theoretisch eignen sich dafür Stammzellen, die sich, versorgt mit den jeweils passenden Zutaten, in alle möglichen Gewebetypen entwickeln können. Doch auch hier stehen die Wissenschaftler noch vor mehreren Hindernissen: Stammzellen sind nur begrenzt verfügbar, und welcher Gewebetyp nach welchen Zutaten verlangt, ist nur in den wenigsten Fällen bekannt.

Eine falsche oder schlecht dosierte Substanz kann schwere Folgen wie Krebs haben. Zudem könnte der menschliche Körper auch ein bioartifizielles Organ, ähnlich wie das eines Spenders, irgendwann für einen Fremdkörper halten und abstoßen.

© SZ vom 15.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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