Künstliche Lebewesen:Wunschtraum und Horrorvision

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Craig Venter will die erste künstliche Lebensform geschaffen haben. Diese Entwicklung könnte am Ende Organismen hervorbringen, die beispielsweise Umweltgifte abbauen, aber auch neue biologische Waffen.

Patrick Illinger

Ohne Motor, Räder und Treibstoff würde kein Automobil der Welt auch nur einen Meter weit fahren - und hätte dementsprechend diese Bezeichnung nicht verdient. Aber wie steht es um Fensterheber, Klimaanlage und Einparksensoren? Das sind nette Annehmlichkeiten, die ein modernes, sozusagen auf der Evolutionsskala der Fahrzeugtechnik höher entwickeltes Auto von einem primitiveren Modell unterscheiden. Doch für die ureigene Aufgabe, das Vorwärtskommen, sind diese Zusätze nicht nötig.

Und so wie man die Frage stellen kann, wo ein Auto eigentlich anfängt, ein Auto zu sein, darf man fragen: Wann kann ein Wesen als Lebewesen bezeichnet werden? Welche minimalen Fähigkeiten braucht ein Organismus, um zu leben?

Gelänge es, diese Frage zu beantworten, so ließe sich womöglich ein Minimalorganismus konstruieren, sozusagen die nackte Grundversion eines Lebewesens. Darauf aufbauend könnten Gentechniker beliebige Eigenschaften nach einer Art Baukastensystem hinzufügen. Die Designer-Mikrobe wäre geboren.

Bislang hat die moderne Biologie das Analysieren existierender Lebensformen zur Perfektion getrieben. Aber in Zukunft könnte die Technik auch dazu benutzt werden, künstliche Lebewesen zusammenzusetzen. Theoretisch ist es möglich, einen Strang aus Erbgut-Molekülen aus einfachen Basismolekülen zusammenzufügen, daraus eine Art Chromosom zu formen und dieses in eine Zelle einzuschleusen. Das künstliche Genom könnte den Organismus zum Leben erwecken. Der entscheidende Test wäre: Teilen sich diese Zellen, um sich zu vermehren?

Diesem Durchbruch ist Craig Venter, der wohl schillerndste Akteur in der internationalen Biotech-Szene, offenbar ein Stück näher gekommen. 1999 erregte er Aufsehen dadurch, dass er mit seinem Privatunternehmen Celera dem öffentlich finanzierten internationalen Humangenom-Projekt den Rang ablief bei der Entzifferung des menschlichen Erbguts.

Nach einem Ausflug in die Meeresbiologie leitet Venter nun ein nach ihm benanntes Institut im amerikanischen Rockville, wo er daran arbeitet, das erste Lebewesen mit einem vollständig künstlichen Genom zu erschaffen. Zu den namhaften Wissenschaftlern, die Venter für dieses Projekt gewinnen konnte, gehört der Nobelpreisträger Hamilton Smith, der seit 1998 für ihn tätig ist.

Ausgangspunkt der ambitionierten Pläne Venters ist das verhältnismäßig primitive Mycoplasma-Bakterium, dessen Genom aus nur 500 Genen besteht. An diesem Organismus erkunden seine Mitarbeiter zurzeit, welche Bestandteile des Erbguts verzichtbar wären und - so wie Fensterheber oder Parksensoren in einem Fahrzeug - ausgebaut werden könnten, ohne dem Lebewesen seine vitalen Funktionen zu nehmen.

Bereits im vergangenen Jahr legte Venter eine Liste mit 100 verzichtbaren Genen vor. Auf diesem Weg wollen die Wissenschaftler die Minimalversion eines Genoms finden. Dies könnte als Basis für maßgeschneiderte Bakterien dienen, denen man nach Belieben neue Fähigkeiten hinzufügt.

381 Genabschnitte hat Venter nun als Minimalgenom indentifiziert und dessen DNS mit modernen Sequenziermaschinen nachgebaut. Das Problem ist: Diese muss danach in eine Zelle eingefügt werden, die exakt auf das künstliche Erbgut abgestimmt ist. Hier sehen Experten das größte Problem. Das so genannte Cytoplasma, die Zellflüssigkeit zwischen der Zellhülle und der DNS muss exakt den Bedürfnissen des Erbguts entsprechen, sonst kommt der Stoffwechsel nicht in Gang.

Nach einem Bericht der britischen Zeitung The Guardian vom Wochenende könnte das Expertenteam in Venters Institut diesen Schritt jedoch bereits gemeistert und ein komplettes Lebewesen mit künstlichem Genom erschaffen haben. Die Veröffentlichung des Durchbruchs könnte dem Guardian zufolge bereits an diesem Montag erfolgen. "Wir gehen vom Lesen unseres genetischen Codes dazu über, ihn zu schreiben", sagte Venter dem britischen Blatt.

Datenbank mit 1500 potentiell verwendbaren Genomteilen

Bereits im Juni war es Venters Team gelungen, ein Chromosom aus einem Bakterium in ein anderes zu transplantieren. Venter sagte nun, er sei sicher, dass man dies auch mit einem künstlichen Genom tun könne. Die Arbeiten von Venters Institut sind nur ein exponiertes Beispiel für das wachsende Forschungsgebiet der Synthetischen Biologie. So wie einst Ingenieure die Erkenntnisse der Elektrodynamik nutzten, um die Elektrotechnik zu entwickeln, wollen Biologen ihr Wissen nun dazu verwenden, neue Strukturen und Organismen zusammenzusetzen. Am Massachusetts Institute of Technology bei Boston gibt es bereits eine Datenbank mit 1500 potentiell verwendbaren Genomteilen.

Am Ende der Entwicklung könnten neue Organismen stehen, die beispielsweise Umweltgifte in harmlose Stoffe umwandeln oder gar das Treibhausgas CO2 in der Erdatmosphäre zersetzen. Doch die gefährliche Seite dieser Forschung liegt auf der Hand. Sollte es möglich werden, Bakterien mit neuen Eigenschaften auszustatten, bieten sich den Entwicklern biologischer Waffen neue Chancen, die auch für Diktatoren und Terroristen interessant sein dürften.

Ohne viel Aufhebens hat Venter bereits im vergangenen Oktober die Patente auf seinen künstlichen Organismus beantragt. Das hat Proteste ausgelöst, beispielsweise der forschungskritischen ETC-Gruppe in Kanada. Sie fordert, eine weitreichende Technologie wie einen künstlichen Organismus nicht in die Hand eines Unternehmens zu geben. Dass es in der Tat um eine neue Ära der Biologie geht, bestreitet Venter nicht. Sonst hätte er seiner Mikrobe wohl kaum den innovativen Namen Mycoplasma laboratorium verliehen.

© SZ vom 08.10.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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