Kommentar:Schöne neue Hässlichkeit

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Die Teilchenphysik steckt in der Krise, weit und breit keine Revolution zu sehen. Und wenn es einen Fortschritt gibt, könnte der unschön aussehen.

Von Marlene Weiß

Unter Teilchenphysikern wurde viel gewettet in den vergangenen Jahren, was wohl daran liegt, dass es in ihrem Fach seit entsetzlich langer Zeit keine Revolutionen gegeben hat. Also bleibt nur Spekulation über künftige Messungen, was nicht verwerflich ist, sondern Notwendigkeit: So oder so muss jeder sich entscheiden, worauf er seine Hoffnungen setzt. Um diese düstere Rätselei etwas unterhaltsamer zu machen, wird eben auch mal ein Einsatz vereinbart. Im Vergleich zur sehr realen Gefahr, sein wissenschaftliches Leben an einen Irrtum zu verschwenden - was sind da schon Schokotaler, etwas Geld oder je eine Flasche Cognac, wie bei der Kollektiv-Wette unter prominenten Teilchenphysikern über die sogenannte Supersymmetrie, die kürzlich in Kopenhagen offiziell bei einer Konferenz entschieden wurde?

Das Traurige ist, dass bislang stets die Pessimisten diese Wetten gewonnen haben. Nein, der Beschleuniger LHC am Cern hat noch kein neues Teilchen gefunden, auch keines, das auf diese Supersymmetrie hinweisen würde; sie teilt jedem Teilchen einen noch unbekannten Partner zu. Wer naiv auf so etwas vertraut hatte, ist nun eine schöne Flasche los.

Es wäre nett gewesen von der Natur, hätte sie neue Teilchen in den Beschleuniger gelegt

Das Allertraurigste ist, dass mit jeder verlorenen Wette die Zweifel daran wachsen, dass in der Physik alles einfach, schön und logisch ist. Und damit bis auf ein paar Details im Grunde vorhersagbar. Diese Idee war tatsächlich lange enorm erfolgreich. Teilchen wie das Top-Quark oder auch das Higgs-Boson wurden postuliert, weil die Theorie ohne sie unvollständig gewesen wäre. Brav tauchten sie wie bestellt in Experimenten auf.

Doch je weiter Physiker sich von den Experimenten entfernen und nach neuer Physik tasten, die über das erprobte Standardmodell hinausgeht, desto schlechter scheint das Prinzip zu funktionieren. Die Supersymmetrie etwa, an der die meisten Verlierer der Cognac-Wette trotz allem festhalten, ist mathematisch wunderschön und könnte diverse Unstimmigkeiten in der Theorie erklären. "Natürlicher" sei das, meinen viele Physiker. Klar, es wäre nett gewesen von der Natur, wenn sie ein paar Supersymmetrie-Teilchen in den LHC gelegt hätte. Hat sie aber nicht. Und je länger der LHC läuft, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sie es noch tut.

Vielleicht gehört zur Natur auch Hässlichkeit, Chaos, Unlogisches. Oder vielleicht ist alles zwar im Grunde einfach, aber auf ganz andere Weise, als man es sich heute vorstellen kann. Vielleicht ist auch gerade das ein Teil der Schönheit der Natur: dass sie sich nicht vorschreiben lässt, was natürlich ist. Das aber wäre eigentlich gar nicht mehr so traurig und locker eine Flasche Cognac wert.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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