Kommentar:Notwendig, aber nicht so

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Tierversuche sind derzeit für den biomedizinischen Fortschritt unverzichtbar. Doch gibt es begründete Zweifel, ob wirklich alle Experimente nötig sind. Umso fragwürdiger ist es, wenn die Deutsche Forschungsgemeinschaft alle Kritik vom Tisch wischen will.

Von Kathrin Zinkant

Ein paar Monate nur hat es keinen großen Skandal um Tierversuche in der deutschen Forschung gegeben - und schon wird die Wissenschaft übermütig. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG hat am Mittwoch ein Papier veröffentlicht, das vor Beschwerden und Forderungen nur so strotzt. Demnach hindert ein Genehmigungsstau hiesige Forscher daran, Experimente an Tieren durchzuführen. Laut DFG verstoßen die zuständigen Kommissionen gegen das Gesetz, weil sie Bearbeitungsfristen überschreiten. Die Gemeinschaft fordert deshalb, inhaltliche Vorprüfungen zu streichen, Rückfragen zu beschränken und endlich den Weg frei zu machen für jene, die forschen wollen. Und klar, in einem hat die DFG immer recht: Tierversuche sind vorläufig unverzichtbar. Weder Biochips noch Zellen noch künstliche Organe können hinreichend klären, wie lebendes Gewebe funktioniert oder wie Medikamente im atmenden Körper wirken.

Trotzdem muss man sich über den aktuellen Vorstoß der DFG sehr wundern. Denn obwohl die Notwendigkeit von Tierversuchen Konsens ist, gibt es erhebliche und begründete Zweifel daran, ob alle Experimente nötig sind. Diskussionen um Affenversuche und Haltungsbedingungen an deutschen Forschungseinrichtungen hatten daher ein Umdenken angeregt. Die deutsche Wissenschaft richtete ein Webportal für den Dialog mit der Gesellschaft ein. Und nicht zuletzt sollten strenge Prüfungen sicherstellen, dass neue Standards eingehalten werden. Hat nach Jahrzehnten des ungehemmten Tierverbrauchs also nicht endlich die kritische Selbstreflexion begonnen?

In Deutschland wird weiterhin großzügig mit Tieren experimentiert

Es mag sein, dass dieses Umdenken stattfindet. Der Beweis aber steht aus. Die jüngste Tierverbrauchsstatistik legt nahe, dass in Deutschland weiter großzügig experimentiert wird. Die Zahl der Versuchstiere nimmt sogar wieder zu. Das gemeinsame Informationsportal tierversuche-verstehen.de erinnert derweil mehr an eine Imagekampagne als an eine offene Auseinandersetzung mit den Problemen von Tierversuchen.

Wer sich in dieser Situation beklagt, sollte deshalb erst mal vor der eigenen Tür kehren. Und tatsächlich, das 16-seitige Papier der DFG enthält einen versteckten Hinweis auf das, was zuallererst passieren muss. In einem sehr kurzen Absatz mahnt die DFG nämlich Sorgfalt von ihren Wissenschaftlern an: Zum einen sollen die Anträge sorgfältig ausgearbeitet und formuliert sein. Noch wichtiger aber ist der Hinweis, dass Tierversuche gut geplant werden und sich konsequent am sogenannten 3R-Prinzip orientieren sollen. Dahinter verbirgt sich das bereits 1959 formulierte Ziel, Tierversuche zu reduzieren, zu verfeinern (refine) und zu ersetzen (replace). Und das bleibt doch auch knapp 60 Jahre später ein gutes Vorhaben.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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